Experten diskutieren über Sitzverteilung in den Kommunalparlamenten

Mittwoch, 18. Oktober 2017
– Von Jürgen Umlauft –

Bei einer Anhörung im Innenausschuss haben zahlreiche Experten empfohlen, bei der Sitzverteilung in Kreis- und Bezirkstagen sowie Stadt- und Gemeinderäten nach Kommunalwahlen nicht zum umstrittenen Höchstzahlverfahren nach d'Hondt zurückzukehren. Dies hatte die CSU-Fraktion zum Gegenstand eines Gesetzentwurfs gemacht. Gegen die Pläne hatte sich neben der Opposition auch Ministerpräsident Horst Seehofer ausgesprochen. Das Verfahren nach d'Hondt bevorzugt große Parteien und führt häufig dazu, dass kleineren Gruppierungen ein Sitz in den Gremien versperrt bleibt, betonten Mathematik- wie Rechtsprofessoren unisono. Die CSU erwägt nun, ihren Entwurf zu überarbeiten und eventuell sogar zu einer überfraktionellen Lösung zu kommen.

Hintergrund des CSU-Vorstoßes war, dass der 2010 auf Druck ihres damaligen Koalitionspartners FDP zustandegekommene Wechsel von d'Hondt zum Auszählverfahren nach Hare-Niemeyer die Tendenz verstärkt hat, dass immer mehr kleine Parteien und Gruppierungen in die Kommunalparlamente einziehen. Dies führt nach Ansicht der CSU zu einer Zersplitterung in den Räten, zu schwierigeren Mehrheitsfindungen, einem Mehraufwand für die Verwaltungen und letztlich zur Arbeitsunfähigkeit kommunaler Gremien. Eine Rückkehr zu d'Hondt und die zusätzlich erwogene 2,5-Prozent-Hürde für Kommunalwahlen sollten diese Situation wieder entschärfen.

Im Rahmen der Anhörung wurde nun deutlich, dass die von der CSU beklagten Veränderungen wohl weniger gravierend sind. Nach Berechnungen des Landeswahlleiters Thomas Gößl sind zumindest in die größeren Kommunalparlamenten per saldo kaum mehr Gruppierungen eingezogen. Vertreter der kommunalen Spitzenverbände erklärten zudem, die etwas größere Vielfalt habe bislang die Arbeitsfähigkeit der Räte nicht beeinträchtigt. Sie sahen deshalb nur dann die Notwendigkeit, die bestehende Verteilungsberechnung zu verändern, wenn damit eine dem Wählerwillen näherkommende Sitzverteilung verbunden wäre.

Diese gibt es nach Aussage der Experten im Verteilungsverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers, das schon bei der Sitzverteilung im Bundestag oder der Zuweisung der Ausschussvorsitze im Landtag zur Anwendung kommt. „Sainte-Laguë-Schepers bildet den Wählerwillen bestmöglich ab und kommt der verfassungsrechtlichen Vorgabe nach der Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen am nächsten“, urteilte der Deggendorfer Mathematik-Professor Johannes Grabmeier. Unterstützung erhielt er dafür von mehreren Staats- und Verfassungsrechtlern. Dagegen spiegele das Verfahren nach d'Hondt den Wählerwillen am wenigsten wider, während Hare-Niemeyer zwar weniger verzerrend wirke, in sich aber widersprüchlich sei.

Nach der von weiteren Juristen bestätigten Auffassung des Augsburger Rechtsprofessors Ferdinand Wollenschläger gibt es derzeit keine verfassungsrechtliche Vorgabe, welches der drei genannten Zählverfahren angewendet werden muss. Dies liege im Ermessen des Gesetzgebers. Wie sein Kollege Matthias Rossi ergänzte, thematisieren die Verfassungsgerichte aber ein „Minimierungsgebot“ für die Abweichung bei der mathematischen Zurechnung von Sitzen vom tatsächlichen Wahlergebnis für eine Partei, die sich zwangsläufig daraus ergibt, dass Wählerstimmen für Parteien, die wegen zu geringer Unterstützung keinen Sitz erringen, anteilig auf die erfolgreichen Wahlvorschläge umgerechnet werden. In die Rechtsprechung sei dieses Gebot aber noch nicht eingeflossen. Umstritten ist die Zulässigkeit einer Sperrklausel bei Kommunalwahlen. So hat Nordrhein-Westfalen dafür eine 2,5-Prozent-Hürde erlassen, diese ist aber gerade Gegenstand einer Überprüfung durch das dortige Verfassungsgericht. Die im Landtag gehörten Experten machten deutlich, dass für deren Einführung gewichtige Gründe gefunden werden müssten.

Ziel: „überparteiliche Einigung“

Die CSU sah sich in ihrer Kritik an Hare-Niemeyer bestätigt, zeigte sich aber auch beeindruckt von der massiven Expertenkritik am d'Hondt-Verfahren. Ihr Abgeordneter Andreas Lorenz schlug deshalb eine „überparteiliche Einigung“ auf Sainte-Laguë/Schepers vor. Der Ausschussvorsitzende Florian Herrmann (CSU) ergänzte, es gehe um die optimale Abbildung des Wählerwillens, aber auch um die Arbeitsfähigkeit kommunaler Gremien. Seine Fraktion werde nun intern über Konsequenzen aus der „sehr lehrreichen Anhörung“ beraten.

SPD und FREIE WÄHLER zeigten sich gesprächsbereit, betonten aber, dass es „keine Rückkehr zu d'Hondt“ geben könne. Die Anhörung habe gezeigt, dass es der CSU mit ihrem Vorstoß nur um den eigenen Machterhalt in den Kommunen gegangen sei, sagte Harry Scheuenstuhl (SPD). Eva Gottstein (FREIE WÄHLER) sprach sich für die Regelung mit besten Abbildung des Wählerwillens aus. Dagegen sah Jürgen Mistol (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) keine Notwendigkeit für Veränderungen. In der Praxis führten nach den Vergleichsrechnungen des Landeswahlleiters Hare-Niemeyer und Sainte-Laguë/Schepers zu annähernd den gleichen Ergebnissen.

Randspalte

Seitenanfang