Rechtsausschuss: Experten ziehen Zwischenbilanz zu Ankerzentren für Flüchtlinge

Donnerstag, 26. September 2019
– Von Miriam Zerbel –

Seit vergangenem Sommer werden Asylbewerber im Freistaat in so genannten Ankerzentren untergebracht. Das sind Sammelunterkünfte, in denen die zuständigen Behörden das gesamte Asylverfahren abwickeln. Über die Erfahrungen bislang berichteten Fachleute im zuständigen Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration.

Die Zwischenbilanz nach einem Jahr „Anker“, wie die Unterkünfte im Behördenjargon heißen, fiel bei den Experten sehr unterschiedlich aus. Während Hilfsorganisationen wie der Bayerische Flüchtlingsrat eine Abschaffung der Ankerzentren forderten, nannte sie der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein „Gebot der Vernunft“.

Ziel: schnellere Asylverfahren

In teils emotionalen Diskussionsbeiträgen und vor vielen interessierten Besuchern im Ausschuss stritten Experten wie Wohlfahrtsverbände und Juristen über die Ankereinrichtungen, von denen es in jedem der sieben bayerischen Regierungsbezirke eine gibt. Das Wort Anker steht für An(kunft), k(ommunale Verteilung), E(ntscheidung) und R(ückführung). Erklärtes Ziel ist, die Asylverfahren zu beschleunigen. Die schnellere Abwicklung soll durch die Bündelung der zuständigen Behörden, BAMF, Verwaltungsgerichte, Ausländerbehörden und Bundesagentur für Arbeit erreicht werden.

Uneinig waren sich die Fachleute bereits darin, ob die Beschleunigung der Verfahren im Verhältnis zum Aufwand steht. Nach den Worten von Rechtsanwalt Hubert Heinhold dauerten die Verfahren im Ankerzentrum Manching im vergangenen Jahr durchschnittlich 4,9 Monate, heuer 3,8 Monate. BAMF-Präsident Dr. Hans-Eckhard Sommer sah die positive Grundannahme bestätigt, weil im bundesweiten Vergleich mit den anderen Bundesländern, in denen die Verfahren im Durchschnitt 4,4 Monate dauerten, die Ankerzentren die Verfahren nach 2,2 Monaten abgeschlossen hatten. „Das ist das Resultat besserer Zusammenarbeit der Behörden“, sagte Sommer. Bayern hat als erstes Bundesland Ankerzentren eingerichtet. Mittlerweile sammeln auch mehrere andere Länder Erfahrungen mit ähnlichen Einrichtungen.

Kritik: ineffektive Rechtsberatung

Die Rechtsgrundlagen der Anker-Einrichtungen beschäftigten Fachleute und Abgeordnete ausführlich. Prof. Kay Hailbronner vom Forschungszentrum Ausländer- und Asylrecht der Universität Konstanz verwies auf den grundsätzlichen Sinn von Asylverfahren, wonach zunächst geprüft werden müsse, ob Schutzgründe vorliegen. Erst danach könne man sich Gedanken über Integration machen. Rechtsanwalt Heinhold wunderte sich über die geringere Anerkennungsquote von Flüchtlingen in Ankerzentren im Vergleich zum Bundesdurchschnitt und führte das auf ineffektive Rechtsberatung zurück. „Vor der Anhörung erhält fast keiner eine unabhängige Beratung, danach ist es dann zu spät.“ Heinhold kritisierte, Rechtsanwälte und unabhängige Berater hätten erhebliche Schwierigkeiten, Betroffene in den Ankerzentren juristisch zu beraten.

Die vom BAMF angebotene Verfahrensberatung hielt auch Dr. Constantin Hruschka vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik für nicht ausreichend. Der BAMF-Präsident argumentierte dagegen, es gebe keine „Bleibeberatung“, denn man wolle die mündliche Aussage der Asylbewerber nicht verfälschen. Eine Äußerung, die den Grünen-Abgeordneten Toni Schuberl in Aufregung versetzte. Sommer bekräftigte indes, es gehe um die Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers.

Lange Verweildauer: Grund für Spannungen

Im Fokus der Abgeordneten stand die Frage, wie lange Familien mit minderjährigen Kindern faktisch in den Ankerzentren bleiben. Neben der Ausschuss-Vorsitzenden Petra Guttenberger (CSU) fragte auch die asylpolitische Sprecherin der SPD Alexandra Hiersemann nach der entsprechenden Auslegung des Paragraphen 47 Asylgesetz und wie sich die Überschreitung der Aufenthaltsdauer in den Ankerzentren auswirke. Nach Erfahrungen der Wohlfahrtsverbände müssen selbst Eltern mit kleinen Kindern teils bis zu 24 Monate in den Ankerzentren bleiben.
Erlaubt sind nach der Einschätzung von Professor Michael Wrase, Spezialist für Öffentliches Recht, aber nur sechs Monate. Noch während der Anhörung verlautete aus dem Innenministerium, die 6-Monats-Vorgabe, die der Bund im Asylgesetz geregelt hat, schlage auf die Landesregelung durch. Künftig müssen also Kinder und ihre Familien ohne Ausnahme spätestens nach sechs Monaten in den Ankerzentren anderweitig untergebracht werden.

Für Katharina Grote vom Bayerischen Flüchtlingsrat sind die langen Aufenthaltszeiten in den Ankerzentren unter anderem ein Grund für soziale Spannungen. Das sah auch Anna Lobkowicz von den Maltesern so, die zudem die maximale Belegung kritisierte. „Wir brauchen weniger Bewachung, mehr Personal“, antwortete sie auf die Frage des stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Christoph Maier (AfD), ob es ausreichend Wachpersonal gebe.

Angemessene Beschulung: in Ankerzentren nicht möglich

Von teils erschreckenden Missständen in den Unterkünften berichteten die Wohlfahrtsorganisationen: Wachmänner, die Frauen bis in die Duschen folgen, nicht abschließbare Zimmer, keine Privatsphäre. „Die größten Verlierer der Ankerzentren sind Kinder und Traumatisierte“, sagte Dr. Daniel Drexler, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. „Die Lebensbedingungen dort machen sie krank.“

Eine längere Aufenthaltsdauer in Ankerzentren sei nicht kindgerecht, befand Professor Wrase. Allein schon, weil dort keine angemessene Beschulung möglich sei. Zudem verlange die EU-Aufnahmerichtlinie nach spätestens drei Monaten Zugang zum Regelschulsystem.





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