„Das Schlimmste für den Bürger ist, wenn er mit diesen Aufgaben allein gelassen wird“

Sozial- und Verfassungsausschuss halten gemeinsames Fachgespräch zum Betreuungsrecht ab

17. Februar 2022

MÜNCHEN.    Der Sozial- und der Verfassungsausschuss des Bayerischen Landtages haben am vergangenen Donnerstag Experten und Expertinnen zum gemeinsamen Fachgespräch „Betreuungsrecht“ eingeladen. Hintergrund der Anhörung war die vom Bund verabschiedete Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts. Die Neuregelungen zielen auf eine Stärkung des Selbstbestimmungsrechts und der Autonomie unterstützungsbedürftiger Menschen. Die Experten und Expertinnen diskutierten mit den Abgeordneten die unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Umsetzung der Regelungen auf Landes- und kommunaler Ebene. Dabei stand insbesondere die Stärkung der Rechtsstellung der Betreuungsvereine im Fokus des Fachgesprächs.

Grundlegende Neustrukturierung des Betreuungsrechts

Klaus Lerch, Referent beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Bayern für den Bereich „Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ erläuterte einleitend die Auswirkungen der neuen Gesetzgebung auf die Betreuungsvereine: So erhielten künftig ehrenamtliche Betreuer die Möglichkeit der Anbindung an anerkannte Betreuungsvereine. Auf Grund der vorgesehenen fachlichen Begleitung und Unterstützung durch die Vereine sei mit einer merklichen Verbesserung des Informations- und Kenntnisniveaus ehrenamtlicher Betreuer zu rechnen. Zur Wahrnehmung der ihnen zugewiesenen Aufgaben sei allerdings eine bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung der Betreuungsvereine mit öffentlichen Mitteln notwendig. Denn durch die neuen Aufgaben für Betreuungsvereine steige auch der personelle Bedarf. Nur eine verlässliche öffentliche Förderung durch Länder und Kommunen könne für Betreuungsvereine die benötigte Planungssicherheit gewährleisten, betonte Lerch.

Stärkung der Rechtsstellung der Betreuungsvereine

„Jeder kann unerwartet zum Betreuungsfall werden“, gab Regina Hinterleuthner, Fachgebietsleiterin der Schuldner- und Insolvenzberatung des Caritasverbands für die Diözese Augsburg e.V., zu Beginn ihrer Ausführungen zu bedenken. Die meisten Menschen kümmerten sich jedoch nicht um Fragen einer potenziellen Betreuung. Im Betreuungsfall käme daher den Betreuungsvereinen eine umso wichtigere Aufgabe zu. Könne ein Bürger nicht einer der – zunehmend spezialisierten – Beratungsstellen zugewiesen werden, stelle die rechtliche Betreuung das letzte Auffangbecken dar. „Ich bin deshalb sehr froh darüber, dass in der Gesetzesreform die Unverzichtbarkeit der Betreuungsvereine endlich anerkannt und deren Aufgabenprofil geschärft wurde“, so Hinterleuthner. Größte Herausforderung sei nun die Umsetzung des Bundesgesetzes auf Länderebene sowie die damit einhergehende Sicherstellung einer bedarfsgerechten Finanzierung für Betreuungsvereine.

Elfriede Melbert, Leiterin der Betreuungsstelle des Landratsamt Ebersberg unterstrich ebenfalls die Bedeutung einer ausreichenden Finanzierung. Wichtige Bestandteile des Aufgabenprofils der Betreuungsvereine sei die Unterstützung der ehrenamtlichen Betreuerinnen und Betreuer sowie die Beratung zu Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen. Diese Aufgaben erforderten jedoch einen hohen personellen Aufwand. Den durch die Gesetzesreform entstehenden personellen Mehraufwand schätzte Melbert auf ca. 1 Vollzeitstelle pro 100.000 Einwohner. Oberstes Ziel, so Melbert, müsse es jetzt sein, Ehrenamtliche zu finden, zu motivieren und zu unterstützen. Den Worten ihrer Vorrednerin, dass „Ehrenamt gerade im Betreuungsfall kein Selbstläufer“ sei, schloss sich Melbert vollumfänglich an. „Denn das Schlimmste für den Bürger ist, wenn er mit diesen Aufgaben allein gelassen wird“, so Melbert. Dies gelte sowohl für ehrenamtliche Fremdbetreuer als auch Familienangehörige. Die Praxis zeige, dass dann, wenn Betreuer keine Ansprechpartner für ihre Fragen hätten, er oder sie die Aufgabe nicht länger ausführen möchten.

Fachkräftemangel und bedarfsgerechte Finanzierung als größte Herausforderungen

Carina Reb, Leiterin des Katholisches Jugendsozialwerks München e.V. betonte, dass insbesondere der Fachkräftemangel den Betreuungsvereinen zu schaffen mache. Der personelle Engpass sei durch die Corona-Pandemie zusätzlich verschärft worden, da Betreuungsanfragen seit Beginn der Pandemie um ein Drittel gestiegen seien. Aus ihrer Sicht, sei mit der Gesetzesreform auch ein Paradigmenwechsel eingetreten: Bisher hätten die Betreuungsvereine Personal für die Betreuungsarbeit vorgehalten und lediglich Zuschüsse für Querschnittsaufgaben erhalten. Mit der Gesetzesreform müsse nunmehr zusätzliches Personal eigens für die Querschnittsarbeit vorgehalten werden, so Reb. Da die Betreuungsvereine als Arbeitgeber den Anforderungen des Arbeitsrechtes unterlägen, sei eine verlässliche Planung notwendig. Insbesondere müsse verlässlich budgetiert werden können, wie lange Personal vorgehalten werden solle.

Dr. Klaus Schulenburg, Stellvertreter des Geschäftsführenden Präsidialmitglieds und Sozialreferent beim Bayerischen Landkreistag, hob die unterschiedliche Lage in den jeweiligen Landkreisen hervor: Zum einen hätten manche Landkreise „toll funktionierende Freiwilligenagenturen“. Das „bürgerliche Engagement dort“, so Schulenburg „funktioniere sehr gut“. Andere Landkreise wiederum verfügten nicht einmal über einen einzigen Betreuungsverein. Vor dem Hintergrund dieser strukturellen Ungleichheit mahnte Schulenburg an, das bayerische Ausführungsgesetz dazu zu nutzen, die Struktur der Betreuungsbehörden und der Betreuungsvereine in Bayern insgesamt zu verbessern.

Maria Seidnitzer, Leiterin des Betreuungsvereins der Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Nürnberg e.V. betonte die grundlegende Rolle des Ehrenamtes bei Betreuungsangelegenheiten. Damit Ehrenamtliche bestmöglich unterstützt werden könnten, sei eine engmaschige Zusammenarbeit der Betreuungsvereine mit Behörden und Gerichten notwendig. Die Gesetzesreform sei insbesondere auch im Hinblick auf die Bekanntheit der Betreuungsvereine positiv zu beurteilen: Ob Behörden und Gerichte auf die Arbeit von Betreuungsvereinen aufmerksam gemacht hätten, sei bisher mehr oder weniger dem Zufall überlassen geblieben. Nun sei es für die Betreuungsvereine möglich, proaktiv auf ehrenamtliche Betreuer zuzugehen und diese zu unterstützen.

Philip Sing, von der Betreuungsstelle der Landeshauptstadt München ergänzte, dass ehrenamtliche Betreuer sich früher hilfesuchend erst dann an einen Betreuungsverein wandten, „wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen war“. Durch die Gesetzesreform würde den Betreuern dagegen die Zusammenarbeit mit Betreuungsvereinen bereits frühzeitig angeboten, unterstrich Sing.

Die Reform tritt zum 1.1.2023 in Kraft

Bereits am 12.5.2021 wurde das Reformpaket im Bundesgesetzblatt verkündet. Um den Betroffenen eine Übergangszeit einzuräumen, in der sie sich fachlich und organisatorisch auf die Änderungen einstellen können, tritt die Reform erst zum 1.1.2023 in Kraft. Ersatzlos gestrichen werden mit diesem Zeitpunkt das bisher geltende Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz sowie das Betreuungsbehördengesetz.

/ Eva Mühlebach

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