Strategien gegen den Arbeits- und Fachkräftemangel

Fachgespräch im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend und Familie

20. Juni 2024

MÜNCHEN. In vielen Branchen mangelt es seit Jahren an Arbeits- und Fachkräften. Laut Prognosen wird sich die Lücke auf dem bayerischen Arbeitsmarkt sogar noch vergrößern. In einer Diskussion mit Fachleuten verschafften sich die Abgeordneten des Ausschusses für Arbeit und Soziales ein aktuelles Bild der Lage und suchten nach Möglichkeiten, den Arbeitsmarkt zu stärken.

Einen Überblick über die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschaffte zunächst Dr. Markus Schmitz von der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Bayern. Im Vergleich mit den anderen Bundesländern verzeichnet der Freistaat Schmitz zufolge mit 3,5 Prozent die geringste Arbeitslosenquote. Der Vorsitzende der Geschäftsführung rechnet in diesem Jahr erstmals mit rund sechs Millionen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. "Das wird ein historischer Durchbruch sein", sagte Schmitz den Abgeordneten des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Jugend und Famile.

Megatrends als Chance

Es gebe parallel eine wirtschaftliche Eintrübung, einhergehend mit Megatrends. Dazu gehörten der demografische Wandel, die Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Automatisierung, was die Transformation der Märkte beschleunige. Das seien aber nicht unbedingt "Jobkiller":  Diese Entwicklung werde zwar die Tätigkeiten verändern, sei aber auch eine Chance. Hinzu kämen Dekarbonisierung, Folgen der Nachhaltigkeit, disruptive Krisen, wie beispielsweise der Ukraine-Krieg oder die Corona-Pandemie sowie individuelle Präferenzen, wie die Arbeitskraft zur Verfügung gestellt wird.


Schmitz lobte die starke Partnerschaft aller Akteure am Arbeitsmarkt in Bayern, ein Zusammenspiel der Arbeitsagentur mit Sozialorganisationen, Kammern sowie den Gewerkschaften und vier Staatsministerien (für Arbeit, Wirtschaft, Innenpolitik und Bildung) im Beirat der Regionaldirektion. In den kommenden zehn Jahren sieht er  mehrere Handlungsfelder: Zum einen müsse für die Jugendlichen der Übergang von der Schule in die Ausbildung und den Beruf sichergestellt werden. Zum anderen brauche es eine Doppelstrategie mit Arbeits- und Fachkräften aus dem Inland ebenso wie aus dem Ausland . Zudem müsse die Existenzsicherung der Arbeitsagenturen optimiert werden.

Demografischer Wandel hindert Handwerk

Für das Handwerk äußerte sich Dietmar Eisenschmid, Geschäftsführer der Handwerkskammer (HWK) für München und Oberbayern, unterstützt von Kathrin Rose-Hildmann, Leiterin der Abteilung Grundsatzfragen in der HWK. Nach Eisenschmids Worten sind vor allem die Branchen Bau- und Ausbaugewerbe, der Maschinenbau, das Metallhandwerk und das Kraftfahrzeuggewerbe besonders betroffen. Damit wirke der Fachkräftemangel im Handwerk in die Gesamtwirtschaft hinein. Vor allem der demografische Wandel, so Eisenschmid, mache dem Handwerk zu schaffen. 39.000 offene Stellen gebe es hierzulande im Handwerk, aber knapp die Hälfte, nämlich 19.300 seien nicht zu besetzen, weil es schlicht keine entsprechend qualifizierten Arbeitssuchenden gebe. Auch der Trend zur Akademisierung mache es schwer, Nachwuchs zu gewinnen. Die Strategie des Handwerks ist deshalb, mehr aufzuklären über Handwerksberufe oder beispielweise mit besseren Angeboten für Kinderbetreuung Potenziale bei Frauen zu heben und die Erwerbsquote zu erhöhen.


Die Leiterin der Abteilung Grundsatzfragen, Rose-Hildmann, forderte ebenfalls bessere Rahmenbedingungen und mehr Praktika für Schüler, die ansonsten mit dem Handwerk zu wenig in Berührung kämen.

Mehr Evaluation

Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) sieht in der Sicherung des Fachkräftebedarfs eine enorme Herausforderung für die Unternehmen. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer, Dr. Christof Prechtl, machte das Paradox deutlich, dass trotz der schwächelnden Konjunktur viele Unternehmen Arbeits- und Fachkräfte benötigten. Prechtl rief dazu auf, sich mehr um die Bildung zu kümmern. "Wir alle ziehen am gleichen Strang", sagte der stellvertretende vbw-Hauptgeschäftsführer: "Aus Sicht der jungen Leute gab es noch nie eine bessere, offenere, eine „Möglichkeiten-Welt“, die sich keine Generation davor nur vorstellen konnte."
Ansätze, wie die Fachkräftelücke bewältigt werden kann, sieht die vbw - ähnlich wie die Arbeitsagentur - in einer breiten Bildungsoffensive, der Verbesserung von Beschäftigungschancen, einer höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren sowie einer gezielten Zuwanderung. Dabei mahnte Prechtl, bestehende Strukturen zu hinterfragen und zu evaluieren.

Milliardenverlust durch Fachkräftemangel

Konkrete Zahlen steuerte Hubert Schöffmann, bildungspolitischer Sprecher des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK) bei. Schöffmann verwies auf eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, das analysiert hat, wo genau Arbeitskräfte fehlen. Demzufolge mangelte es schon 2022 an 160.000 qualifizierten Arbeitskräften in Bayern, 2027 werden es 180.000 sein. Dann gebe es für die Hälfte aller offenen Stellen keine passend qualifizierten Bewerber. Schon 2022 verursachte das, laut der Studie, einen Wertschöpfungsverlust von 17 Milliarden Euro. Die zentrale Frage sei also, wie diese Lücke geschlossen werden könne, sagte Schöffmann. So wie die vbw sieht auch der BIHK eine Antwort darauf im Potenzial der Frauen, Älteren und Zuwanderer. Der bildungspolitische Sprecher der BIHK lenkte den Blick darüber hinaus auf die 300.000 Erwachsenen ohne berufliche Qualifizierung im Freistaat. Zudem nahm er das Rentenalter in den Fokus. "Die Abschaffung der Rente mit 63 würde rechnerisch 26.000 Vollzeit-Äquivalente für Bayern bedeuten", so Schöffmann. "Wenn Sie die Altersrente von 67 auf 69 erhöhen würden, wären das für Bayern 80.000 Vollzeit-Äquivalente."

Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen

Als Vertreterin der Freien Wohlfahrtspflege Bayern, einem Zusammenschluss der großen Wohlfahrtsverbände, sprach deren Vorsitzende Brigitte Meyer für rund 455.000 hauptamtliche und 136.000 ehrenamtliche Mitarbeiter. Der Fachkräftemangel vor allem in Kitas und Pflege sei ein "Riesen-Problem"

betonte Meyer, auch wegen des demografischen Wandels. "Die jungen Menschen, die nachwachsen, können das einfach nicht auffangen."

Was aus Sicht der Wohlfahrtsverbände getan werden müsste, erläuterte unterstützend der Geschäftsführer der Freien Wohlfahrtspflege Bayern, Wilfried Mück: Um Quer- und Wiedereinsteiger zu gewinnen, sollten die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Der Geschäftsführer verwies auf ein Best-Practice-Modell, einen Springer-Pool, mit dessen Hilfe beispielsweise bei Ausfällen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern belastende Mehrarbeit aufgefangen werde. Um allerdings finanzielle Anreize zu setzen, seien die Verbände als Non-Profit-Organisationen auf Politik und Wirtschaft angewiesen. Mück mahnte: "Wenn es uns gut geht, geht es Ihnen allen gut."

Abschiebediskussionen hinderlich

Das Problem des Arbeitskräftemangels betrifft auch kommunale Unternehmen. Durchaus selbstkritisch beleuchtete Moritz Maluska vom Verband kommunaler Unternehmen mangelnde Internationalität. "Unsere Unternehmen werden sich öffnen müssen", erklärte der Senior-Fachgebietsleiter der Landesgruppe Bayern. Er machte aber auch deutlich: "Die Diskussionen um Einwanderung und Abschiebung sind sicherlich nicht förderlich, wenn es darum geht, Fachkräfte in Bayern begrüßen zu dürfen." Da könne Politik ihren Beitrag leisten.

Auf ein drängendes praktisches Problem in der Fort- und Weiterbildung wies Sandra Stenger hin, Geschäftsführerin der beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft. Freiberufliche Dozenten im Dienst von Bildungsträgern seien aktuell sozialversicherungspflichtig, dadurch würden Ausbildungen teurer. Stenger kritisierte: "Wir bekommen keine Praktiker aus der Arbeitswelt, die ja Unterricht bei uns machen müssen, damit wir praxistaugliche Bildung machen."

Gewerkschaft: "Kein Mangel, sondern Engpass"

Im Gegensatz zu den anderen Fachleuten wehrte sich der Gewerkschaftsvertreter gegen die Feststellung, man habe es mit einem Arbeits- und Fachkräftemangel zu tun. David Schmitt, Leiter der Abteilung Sozial- und Arbeitsmarktpolitik beim DGB Bayern sprach von einem Engpass - regional und branchenspezifisch. Ein Mangel drohe erst. Und das nicht ohne Grund. Er wies auf die nach seiner Ansicht mangelnde Attraktivität der Arbeitsbedingungen hin. "Ich bitte darum, darüber nachzudenken, ob bestimmte Arbeitsformen, beispielsweise Mini-Jobs, noch in die Zeit passen, oder ob wir da nicht andere Lösungen brauchen."

Impulse für die Ausschussmitglieder

Die Ausschuss-Vorsitzende Doris Rauscher (SPD) würdigte die vielen Impulse, die im Gespräch von den Expertinnen und Experten kamen. Die Kammern fragte sie nach Zahlen zu Ausbildungsabbrechern. Hubert Schöffmann vom Bayerischen Industrie- und Handelskammertag nannte die Zahl 24 Prozent, relativierte aber, bei den meisten handele es sich um Azubis, die in eine andere Ausbildung wechselten. Der grundsätzliche Abbruch der Ausbildung liege bei acht Prozent. Rauschers Stellvertreter Thomas Huber (CSU) bekräftigte die Aufforderung der vbw, Programme zu Berufsorientierung auch zu evaluieren. Er lud die Fachleute ein, Ideen zum Bürokratie-Abbau an den Beauftragten Walter Nussel (CSU) weiterzuleiten. Eva Lettenbauer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) fragte, ob es sinnvoll sei, beim Rekrutieren ausländischer Fachkräfte Beratung und Vermittlung an einer Stelle zu bündeln. Markus Schmitz von der Arbeitsagentur forderte "Kümmerer-Strukturen": alles, was helfe zu vereinfachen, sei gut. Nach Sprachkursen für ausländische Fachkräfte erkundigte sich Roswitha Toso von den FREIEN WÄHLERN. Laut Sandra Stenger von den beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft gibt es dazu konkrete Vorgaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge BAMF.

Miriam Zerbel

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