Suche nach Wegen aus der Kita-Krise

Expertenanhörung im Sozialausschuss

MÜNCHEN. Die Kindertagesstätten in Bayern leiden zunehmend unter Geld- und Personalmangel. Dies droht sich auch auf die Qualität der Einrichtungen auszuwirken. Bei einer Anhörung im Ausschuss für Arbeit, Soziales, Jugend und Familie zur anstehenden Reform des bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes plädierten zahlreiche Sachverständige für eine bessere Kita-Förderung, Bürokratieabbau und die Entlastung des Personals.

Die mehr als 10.000 Kitas in Bayern befinden sich aktuell in einer Zwickmühle aus hoher Nachfrage, Fachkräftemangel und Erhalt des Qualitätsanspruchs. So schilderte in einer Expertenanhörung vor dem Ausschuss für Arbeit, Soziales, Jugend und Bildung Alexa Glawogger-Feucht, Geschäftsführerin im Landesverband katholischer Kitas, die Lage. Um den wachsenden Anforderungen auch künftig gerecht werden zu können, ohne Kommunen und Eltern finanziell zu überlasten, müsse die freistaatliche Basisförderung von 60 auf mindestens 90 Prozent steigen. "Damit wären wir einen Riesenschritt weiter", sagte Glawogger-Feucht. Konkret würde dies einen Zuwachs in der Kita-Förderung um rund eine Milliarde Euro pro Jahr bedeuten.

Verbände fordern deutlichen Anstieg der staatlichen Förderung

Lena Sophie Weihmayer vom Paritätischen Wohlfahrtsverband ergänzte, in vielen Kitas bröckele auch wegen laufend steigender Betriebskosten gerade das Fundament. Zunächst müsse die akute Finanzlücke geschlossen werden, dann brauche es langfristig die genannte Steigerung der Basisförderung auf 90 Prozent. Christiane Münderlein von evangelischen Kita-Verband Bayern drängte noch mehr aufs Tempo. "Die 90 Prozent dürfen nicht irgendwann kommen, sondern mit dem nächsten Doppelhaushalt", erklärte sie.

Nach Angaben des stellvertretenden Geschäftsführers des Bayerischen Städtetags, Manfred Riederle, zerreißt die Kinderbetreuung inzwischen viele kommunale Haushalte. Die Kommunen kämen dem nicht aus, da sie gesetzliche Vorgaben zu erfüllen hätten. "Es besteht dringender Handlungsbedarf, sonst droht das System zusammenzubrechen", sagte Riederle. Die durch staatliche Anforderungen und die Ausweitung von Rechtsansprüchen ausgelösten Erwartungen an die Kitas dürften nicht enttäuscht werden. Hermine Brenauer vom Bayerischen Roten Kreuz fügte an, die Träger der Einrichtungen bräuchten eine "solide, planbare und auskömmliche Finanzausstattung". Nur so könnten Elternbeiträge bezahlbar bleiben.

Der Erste Bürgermeister der fränkischen Stadt Stein, Kurt Krömer, gab einen praktischen Einblick in die kommunale Situation. So gebe die Politik die Kita-Ausbauziele vor, die Kommunen müssten sich dann um die Umsetzung kümmern. Gelinge dies wegen Geld- oder Personalmangel nicht ausreichend, "dann stehen die Eltern bei uns vor der Rathaustür". Weil gemeinnützige Träger zunehmend aus wirtschaftlichen Gründen ihre Trägerschaft zurückgeben müssten, falle den Kommunen die Aufgabe zu, deren Einrichtungen zu übernehmen. "Unser Spielraum wir immer enger, die Hütte brennt", sagte Krömer. Mit der aktuellen Deckelung des Fördersatzes auf 60 Prozent seien die Aufgaben im Kita-Bereich nicht zu stemmen, an einen weiteren Ausbau sei nicht zu denken.

Bildungs- und Betreuungsziele kaum mehr erreichbar

Zahlreiche Träger berichteten von einem wachsenden Personalmangel bei stetig steigender Nachfrage nach freien Kita-Plätzen. So schilderte Patricia Lang-Kniesner von der Gemeinde Höhenkirchen-Siegertsbrunn, dass sie aktuell rund 100 eigentlich zur Verfügung stehende Plätze wegen Personalmangel nicht belegen könne. Bevor an den weiteren Ausbau gedacht werden könne, müssten erst die Rahmenbedingungen der Berufsausübung für Erzieherinnen verbessert werden, meinte sie. Dem pflichtete Lisa Pfeiffer vom Kita-Fachkräfteverband Bayern bei. Es bringe nichts, mehr neue Fachkräfte ins System zu bringen, wenn es ein Großteil davon nach wenigen Jahren frustriert wieder verlasse. "Unter den gegebenen Bedingungen sind alle Betreuungs- und Bildungsziele in den Kitas nicht zu erreichen", betonte Pfeiffer. Man brauche mehr Zeit und Ressourcen, um den steigenden Anforderungen und vielfältigen Bedürfnissen der Kinder unterschiedlicher sozialer oder kultureller Herkunft gerecht zu werden.

Mehr Entlastung des pädagogischen Personals

Als mögliche Maßnahmen wurden aus der Runde der Einsatz von mehr nicht-pädagogischem Personal für Verwaltungs- und reine Betreuungsaufgaben genannt. Dadurch könnten sich Kita-Leitungen und Erzieherinnen wieder stärker auf ihre eigentlichen pädagogischen Aufgaben konzentrieren. Julia Sterzer, Geschäftsführerin bei der Arbeitswohlfahrt in München, regte für Kitas mit einen hohem Anteil an Migrantenkindern die Einstellung von Sprachfachkräften an. Damit könne ein großes, in diesen Kindern schlummerndes Potenzial erschlossen werden. In diesem Zusammenhang mahnte Christiane Stein, Vorständin in der Landesarbeitsgemeinschaft der Elterninitiativen, an, die Perspektive der betreuten Kinder nicht außer Acht zu lassen. Diese müssten sich in den Kitas wohl und angenommen fühlen können, damit die Bildungs- und Erziehungsziele erreicht werden könnten. Dies gelinge nur mit ausreichendem und motiviertem Fachpersonal.

Chancen der Kindertagespflege nutzen

Auf die Chancen der privat organisierten Kindertagespflege als Ergänzung zu den Kitas verwies Christina Ramgraber vom Landesverband Kindertagespflege in Bayern. Diese sei in anderen Bundesländern deutlich besser ausgebaut. Die Angebote müssten aus Ramgrabers Sicht besser bekannt gemacht und auf eine Stufe mit der Kita-Betreuung gestellt werden. Die Tagespflege in kleinen Gruppen sei auch ein Angebot an Eltern und Kinder, die sich in den großen Strukturen der Kitas "verloren" fühlten. Bedenken äußerte in diesem Zusammenhang Brigitte Zach von der Gewerkschaft Verdi. Aus ihrer Sicht würde eine Gleichstellung über Jahre ausgebildeter Erzieherinnen mit im Regelfall angelernten Kräften Qualitätsansprüche in Frage stellen und am Gerechtigkeitsempfinden der Fachkräfte rütteln.

Auf die besonderen Herausforderungen für Kinder mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen verwies Jürgen Auer, Landesgeschäftsführer der Lebenshilfe Bayern. Für diese fehlten unter den gegenwärtigen Förderbedingungen in Regel-Kitas ausreichend Plätze. Zudem müsse mehr für die Barrierefreiheit in den Einrichtungen getan werden. Auf Bürokratieabbau nicht nur in den Kitas selbst, sondern auch bei Förderung und Vorschriften drängte Städtetagsvertreter Riederle. "Das System hat ein Ausmaß an Komplexität erreicht, das kaum noch administrierbar ist", sagte er. Kommunen und Träger bräuchten wieder "mehr Luft zum Atmen".

Frühkindliche Bildung minimiert Bildungsungerechtigkeit

Auf die Bedeutung einer qualitativ hochwertigen frühkindlichen Bildung verwies aus wissenschaftlicher Sicht Fabienne Becker-Stoll, Direktorin am Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz. Sie verwies darauf, dass die Bildungsschere unter Kindern bereits lange vor der Einschulung auseinandergehe. Die "Leistungskluft" öffne sich schon ab dem dritten Lebensmonat, Ursache sei vor allem die soziale Herkunft der Kinder. "Bildungsbenachteiligung beginnt schon in den Jahren vor der Einschulung", zitierte Becker-Stoll aus mehreren Studien. Kitas könnten diese Unterschiede ausgleichen, vor allem Kinder aus sozial benachteiligten Familien profitierten davon besonders. "Investitionen in die frühkindliche Bildung zahlen sich langfristig für die Gesellschaft aus und sind auch rentabler als eine spätere Korrektur von Fehlentwicklungen", erklärte sie. Deshalb brauche es dringend eine bessere Finanzausstattung vor allem in den Kitas, in denen viele Kinder aus mehrfach benachteiligten Lebenslagen betreut würden.

/Jürgen Umlauft

 

 

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