Sozialausschuss: Fachgespräch zur Überlastung von Kindern und Jugendlichen, die pflegen

Donnerstag, 4. April 2019
– Von Miriam Zerbel –

Wenn Jugendliche schwerkranke Angehörige pflegen und damit Aufgaben übernehmen, die nicht altersgerecht sind, ist das eine starke Belastung. In der öffentlichen Debatte spielt das Thema allerdings kaum eine Rolle. Auf Antrag der Landtags-Grünen befasst sich deshalb der Sozialausschuss mit der Frage, wie staatliche Angebote diese jungen Menschen unterstützen können.

Im vergangenen Jahr hat die Gruppe der „Young Carer“, also der Kinder und Jugendlichen die in Deutschland Angehörige pflegen mit der Geschichte von Lana Rebhan aus Bad Königshofen ein Gesicht bekommen. Wie es ist, als 14jährige den eignen Vater zu versorgen und pflegen, während andere Kinder spielen, schilderte Lana im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend und Familie.

Dass Lanas Geschichte kein Einzelfall ist, zeigt eine Studie des Bundesgesundheitsministeriums, wonach in Deutschland 480.000 junge Leute im Alter zwischen 12 und 18 Jahren Pflegetätigkeiten für ein chronisch krankes Familienmitglied leisten, die in der Regel nur von Erwachsenen durchgeführt werden sollten. Dabei geht es um Aufgaben, die nicht altersgemäß sind, beispielsweise ihre Angehörigen waschen, ihnen Medikamente verabreichen, sie füttern bis hin zum  Verabreichen von Spritzen. In ihrem Alltag bekommen diese Familien keine Hilfe von außen. Die Betroffenen selbst sind häufig zu jung oder unerfahren, um aktiv Unterstützung nachzufragen, die sie vor Überlastung schützen könnte.

Pflege ist kein Kinderspiel

Während des Fachgesprächs im Sozialausschuss kritisierte Lana, dass es in der Öffentlichkeit kein Bewusstsein für die Nöte der Young Carer gebe. Das Mädchen forderte die Abgeordneten mit einem dringenden Appell auf, zu überlegen, wie Schulen, Jungendämter, Städte, Krankenkassen und Ärzte besser für dieses Thema sensibilisiert werden können. Unterstützung erhielt sie dabei von Ralph Knüttel von der Würzburger Johanniter-Unfall-Hilfe. Knüttel verwies auf Österreich, wo staatlichen Stellen die Problematik sehr viel bewusster sei. Nach dem Vorbild Österreichs hat Knüttel vor drei Jahren das Projekt „superhands“ gegründet, das pflegende Kinder entlasten soll.

Diese Internetplattform richtet sich direkt an pflegende Kinder und Jugendliche. Sie informiert in kindgerechter Sprache, gibt Tipps für den Pflege-Alltag, bietet Hilfe beim Umgang mit Behörden und weist auf Unterstützungsmöglichkeiten hin. „Es geht darum Vertrauen zu gewinnen, damit die Kinder sich überhaupt mit uns in Verbindung setzen“, sagt Knüttel. Er gab zu, das sei eine Gratwanderung zwischen konkreten Alltagstipps und der Überforderung der Kinder durch die Pflege. Auch deshalb müsse das Bewusstsein an den Schulen geschärft und das Thema „Young Carer“ in den Sozialkunde-Unterricht aufgenommen werden. Zudem kritisierten Lana und Knüttel, dass gesetzlichen Regelungen zufolge, Kinder ab 12 Jahren grundsätzlich von den Krankenkassen nicht mit einer Haushaltshilfe unterstützt werden dürften.

Unterschätzte Überforderung

Lana pochte in dem Fachgespräch darauf, die Psyche der Kinder nicht zu vergessen. Dabei gehe es nicht nur um die Belastung durch die Pflegesituation, sondern auch um dadurch entstehende Schulprobleme wie schlechter werdende Noten. „Kinder haben keine Wahl“, so Lana. „Man denkt, das bin ich meinen Eltern schuldig, dass ich mich um sie kümmere.“ Ergänzend verwies Knüttel auf die verbreitete Angst, dass die Kinder von den Jugendämtern aus den Familien gerissen würden, sobald die Pflegesituation bekannt würde.

Im Namen des Ausschusses würdigte die Vorsitzende Doris Rauscher (SPD) Lanas Engagement und Mut, als 14jähriges Mädchen nicht nur den Abgeordneten Rede und Antwort zu stehen, sondern auch anderen Betroffenen mit ihrer Website weiterzuhelfen. In der Aussprache mahnte Kerstin Celina (BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN) mehr Aufklärung, Information und Hilfe von staatlicher Seite an. Ebenso wie ihr Fraktionskollege Johannes Becher, der für unbürokratische Unterstützung plädierte. Auf die Frage von Andreas Schalk (CSU), welche konkreten Maßnahmen nötig seien, schlug Knüttel als Ansatzpunkt die Schule vor, wo kompetente Schulpsychologen und der -sozialdienst Hilfe leisten könnten. Ausschussmitglied Celina sprach von einem Austauschraum für die Young Carer, der beispielsweise psychologische Hilfe anbiete. Das könne nicht Aufgabe von Betroffenen wie Lana sein, die aktuell mit ihrem Blog für Young Carers Kindern und Jugendlichen Hilfe bietet.

„Mich nimmt niemand ernst“

Lana hatte zuvor von ihren ernüchternden Erfahrungen berichtet, wonach auf ihre schriftlichen Anfragen nach Hilfsangeboten für Young Carer bei Kommunen Wohlfahrtspflege und Krankenkassen selten eine Antwort folgte. „Mich nimmt dort einfach niemand ernst“, sagte sie und formulierte ihre Hoffnung, dass das sicher anders sei, wenn sich der Landtag der Sache annehme.

Das federführende Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales war zum Leidwesen der Ausschussvorsitzenden Rauscher nicht im Fachgespräch präsent. Allerdings verwies eine Mitarbeiterin des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege, auf den unterschiedlichen und sehr breit gefächerten Informations- und Hilfsbedarf der jungen Pflegenden. Sie sprach von einem Querschnittsthema und regte an, schon bestehende Strukturen wie beispielsweise Fachstellen für pflegende Angehörige zu sensibilisieren. Es dürfe nicht das Ziel sein, Kinder zu Pflegekräften auszubilden, sondern über externe Hilfe eine solche Pflege unnötig zu machen.

Am kommenden Donnerstag, den 11. April geht es in einem zweiten Fachgespräch ebenfalls um eine Gruppe von jungen Leuten, die besonderen Belastungen ausgesetzt sind. Als „Care Leaver“ werden junge Erwachsene bezeichnet, die in Heimen, Pflegefamilien oder Wohngruppen aufwachsen und mit Erreichen der Volljährigkeit aus diesen Hilfsangeboten herausfallen. Häufig besuchen sie aber noch die Schule oder machen eine Ausbildung und benötigen Bezugspersonen, die ihnen weiterhelfen können.

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