Anhörung zum Bayerischen Klimaschutzgesetz
Viel Kritik der Experten
MÜNCHEN. Die Staatsregierung hat nach der ersten Expertenanhörung den Entwurf des Bayerischen Klimaschutzgesetzes geändert. In der zweiten Landtagsanhörung im Umweltausschuss zeigten sich aber die meisten Sachverständigen weiter unzufrieden. Kritik gab es besonders an fehlender Verbindlichkeit, Sektorvorgaben und Zwischenzielen sowie an Mängeln bei der Finanzierung und beim Infrastrukturausbau.
Die Ausschussvorsitzende Rosi Steinberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) begrüßte zunächst, dass die Staatsregierung das Gesetz nachgebessert habe, bevor sie den Sachverständigen das Wort erteilte.
Julia Dade, Vorstandsmitglied der BUND-Jugend Deutschland, kritisierte: „Das Gesetz reicht nicht für die Ziele, die erreicht werden müssen.“ Zwar sei zu begrüßen, dass die bayerische Zielvorgabe zur Klimaneutralität vom Jahr 2050 auf 2040 vorgezogen werde, aber die Absenkung um 65 Prozent beziehe sich auf das Vergleichsjahr 1990 und pro Kopf. Die Bevölkerung Bayerns sei aber stark gestiegen und das verringere absolut gesehen die Reduktionszahl. „Außerdem schweigt der Entwurf weiterhin dazu, wie diese Emissionsminderung erreicht und kontrolliert wird“, so Dade. Es fehle an einem Klagerecht und ausreichender Finanzierung. Zudem sei versäumt worden, Klimaschutz „auf allen Ebenen zur Pflichtaufgabe“ zu machen.
Eine Frage des Überlebens
Seinen Schwerpunkt legte Christian Essers, Director Global Energy Procurement der Wacker Chemie AG, auf den Ausbau erneuerbarer Energien. Dieser fehle praktisch komplett im Gesetzentwurf. „Wir sind, durch Prozess-Emissionen und auch den hohen Energieverbrauch, Verursacher für Emissionen. Andererseits sind viele Produkte, die wir herstellen, einfach notwendig, um mehr Klimaschutz zu erreichen.“ Essers nannte als Beispiel Hochleistungsmaterialien für Solarzellen und Batterietechnik. „Ein Klimagesetz muss den Rahmen dafür schaffen, dass die Transformation zur Klimaneutralität ermöglicht werden kann. Da hilft es nicht, nur das Ziel zu verschärfen. Wir haben jetzt Europa 2050, Deutschland 2045, Bayern 2040. Wer bietet mehr? Das reicht nicht. Da müssen Programme und Maßnahmen drunter, um die sportlichen Ziele zu erreichen.“ Im Moment brauche man alle Stromerzeugungskapazitäten, für die Zukunft aber zügig die lokale Herstellung von grünem Wasserstoff in großen Mengen und genügend Speicher. Es müssten alle Kraftwerke erneuerbarer Energien wie Wind, Solar, Biomasse und Wasser genutzt und ausgebaut werden, ebenso die Verteilnetze. Der Strom-Binnenmarkt müsse europäisch gedacht, Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. „Für die energieintensive Industrie ist das eine Überlebensfrage“, so Essers.
Aus 94 Maßnahmen im ersten Gesetzentwurf seien nun 145 geworden, lobte Dr. Johannes Gnädinger, Klimarat und geschäftsführender Gesellschafter der Prof. Schaller UmweltConsult. „Aber die wesentlichen Schwachpunkte des bayerischen Klimaschutzgesetzes sind nicht behoben worden.“ Er griff zwei Bereiche heraus: Die Sektoren Verkehr, Industrie und Landwirtschaft seien im Entwurf zu kurz gekommen. Gerade beim Straßenausbau könne viel für den Klimawandel getan, etwa Mittel für den ÖPNV verwendet werden. Und die besonders geforderten Gemeinden bräuchten mehr Unterstützung, finanziell und fachlich. Fehlen würden außerdem regelmäßige Berichtspflichten, echte Kontrolle sowie bei vielen Maßnahmen quantitative Vorgaben.
Mehr Unterstützung, mehr Möglichkeiten
Dr. Florian Janik, Oberbürgermeister der Stadt Erlangen forderte: „Wenn wir uns als Kommunen in Richtung Klimaneutralität bewegen, muss dauerhaft große finanzielle Unterstützung geleistet werden. Aber bitte keine Förderprogramme“ - wegen des hohen bürokratischen Aufwands. Beim ÖPNV rede man viel über Ticketpreise, notwendig sei jedoch ein „Ausbau des Angebotes“, nicht nur in den Städten, sondern in den Stadt-Land-Beziehungen und dort auch auf den besonders defizitären Strecken. Nur damit könne man das Pendlerproblem in den Griff bekommen. Auch bei der Wärmeversorgung brauche man mehr Unterstützung, denn alleine die Umstellung der 160 Heizungsanlagen in Erlangen würde 170 Millionen Euro kosten. Zudem wünschten sich einige Kommunen mehr rechtliche Möglichkeiten, etwa Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit einzuführen oder Parkgebühren für Anwohner zu erhöhen. Die Solarpflicht auf Neubauten sei „über kommunales Planungsrecht nur mit sehr hohem Aufwand möglich“ - besser sei eine klare Pflichtvorgabe im Baugesetzbuch.
„Der Gesetzentwurf ist ein kleiner Schritt voran, vor allem durch die Angleichung der Ziele von Bund und Land“, erklärte Prof. Dr. Remo Klinger, Honorarprofessor der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Klar sei aber auch: Nach dem Pariser Abkommen müsste man bereits 2038 klimaneutral sein. Klinger kritisierte, dass es „keinen verbindlichen Reduktionspfad bis 2030“ und keine Zwischenziele gebe. Nicht einmal stetig abnehmende Emissionen seien vorgegeben. Auch konkrete Fristen für die Instrumente des Gesetzes würden nicht genannt. Subjektive Klagerechte gebe es zwar nicht, auch nicht im Bundesgesetz - Klagen blieben trotzdem möglich.
Der zweite Klimarat unter den Sachverständigen, Marcus Steurer, Geschäftsführer der infra fürth Unternehmensgruppe, sprach als Vertreter der bayerischen Energieversorgung. Er forderte mehr Verbindlichkeit: „Wenn ich als Staat Pflichten vorgebe, kann ich auch die Richtung vorgeben.“ Auch er bemängelte das Fehlen von Leitungsnetzen und Einspeisemöglichkeiten für Strom aus erneuerbaren Energien. „Wir brauchen große Übertragungstrassen, die faktisch nicht da sind. Dadurch können wir den Ausgleich zwischen Süd und Nord nicht herstellen.“ Auch bei Flatterstrom, ergänzt durch konventionelle Stromerzeugung, sei „groß denken“ wichtig. Außerdem habe der Freistaat sich zwar eine Solarpflicht auf eigenen Dächern gegeben, „aber nur nach Kassenlage“. Beim ÖPNV müsse man die Betriebskosten unterstützen. Der Verlust allein in Fürth liege hier bei 17 Millionen Euro pro Jahr.
Bayern ist keine Insel
Abweichend von der Meinung der anderen Experten hält Michael Limburg, Vizepräsident von EIKE e.V. - nach eigener Aussage ein Zusammenschluss von Ingenieuren und Wissenschaftlern zum Thema Klimaschutz - das Gesetz für falsch: „Bayern kann die genannten Ziele in Bezug auf einen imaginären Klimaschutz niemals erreichen.“ Zum einen gebe es kein Weltklima, sondern nur lokale Klimate. Und sämtliche Maßnahmen hätten keinen Einfluss, schon weil China, Indien und andere Staaten ihren CO2-Ausstoß stetig erhöhten. Er warnte: Die vom Gesetz erwarteten Beschleunigungen des EU-Programmes „Fit for 55“ hätten nur für Bayern Kosten in Höhe von bis zu 130 Milliarden Euro bis 2030. Flatterstrom müsse durch Grundlast ausgeglichen werden, dafür müsse man eigene Ressourcen wie Kohle, Schiefergas und Atomkraft nutzen. „Wir sollten diese Gesetzgebung auf zehn Jahre stoppen, um zu sehen, wie wir durch diese Krise hindurchkommen“, meinte Limburg abschließend.
Prof. Dr. Karen Pittel, Klimarätin und Leiterin des ifo-Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen, bestätigte, dass der Einfluss Bayerns auf Treibhausemmissionen weltweit sehr gering sei. Dies sei aber kein Grund, sich der Verantwortung zu entziehen. „Wir dürfen Bayern nicht als Insel betrachten“, betonte Pittel. Auch sie forderte verbindliche Vorgaben, Zeiträume und Daten sowie Ausgleichs- und Kompensationsregeln. Zwar komme man vom Gas nicht so schnell weg, aber: „Der Weg zu niedrigeren Preisen ist der Ausbau der erneuerbaren Energien.“ Dabei seien nicht nur Flächen und fehlende Akzeptanz das Problem, sondern auch das Fachpersonal. Hier müssten Ausbildungsziele festgelegt werden und es brauche Zuwanderung. Selbst Ungelernte könnten nach einer Umschulung hilfreich sein.
„Wir müssen den Fokus auf den Boden richten, auf dem wir leben, der nicht nur Bayern ernährt, sondern global einer der wichtigsten Player im Klimageschehen ist“, betonte Prof. Dr. Jörg Völkel vom Lehrstuhl für Geomorphologie und Bodenkunde der TU München. Hierzu gebe es Ansätze im Gesetzentwurf. Immer wieder sei es der Boden „als Schnittstelle zwischen Atmosphäre, Biosphäre, Hydrosphäre und Litosphäre“, der die Steuerung übernehme. Die Schäden, die man ihm zugefügt habe und zufüge, etwa durch Nitratbelastung oder den Verlust an Biodiversität, seien nicht im Gesetz eingepreist. Teil der Lösung sei die Landwirtschaft, aber auch die Renaturierung von Auen und Mooren.
Dreiklang und Mehrstimmigkeit
In der anschließenden Fragerunde der Fraktionen griff Patrick Friedl von den Grünen die Kritik auf und nannte das Gesetz „ambitionslos“ und möglicherweise sogar verfassungswidrig, weil es kein verbindliches Handeln für kommende Generationen fordere. Florian von Brunn (SPD) forderte, Windkraft, Solaranlagen sowie die Wasserstoffproduktion für die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft auszubauen. Christoph Skutella (FDP) wollte wissen, wie Kommunen mit den unterschiedlichen Zielvorgaben zur Klimaneutralität von EU, Bayern und Bund umgehen sollen.
Eric Beißwenger von der CSU betonte, das Gesetz stehe für den Dreiklang Wirtschaftlichkeit, soziale Verträglichkeit und Klimaschutz. Eine Verpflichtung der Kommunen sei wegen des Subsidiaritätsprinzips nicht einfach umsetzbar. Benno Zierer (FW) erinnerte daran, dass Straßenbau etwa bei Ortsumfahrungen auch Lebensqualität in den Orten bedeute und sicheren Radverkehr ermögliche. Wichtig sei der strikte Abbau von bürokratischen Hemmnissen, nicht der Aufbau von Personal. Prof. Dr. Ingo Hahn (AfD) wollte wissen, ob man als Industrienation den Energiebedarf hauptsächlich mit Windrädern decken könne.
/Andreas von Delhaes-Guenther