Sachverständigenanhörung zu Bayerns Artenvielfalt und Naturschönheit fünf Jahre nach dem Volksbegehren „Rettet die Bienen“ und dem Artenschutzgesetz
Die Richtung stimmt, aber der Weg ist noch weit
7. November 2024
MÜNCHEN. Mit dem bisher erfolgreichsten bayerischen Volksbegehren „Rettet die Bienen“ waren 2019 große Hoffnungen verknüpft. Trotz des daraus entstandenen Artenschutzgesetzes kritisieren BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die SPD, dass die Ziele nicht erreicht seien. Auf Antrag der beiden Fraktionen debattierten zwölf Sachverständige im Umweltausschuss darüber, wie es um Bayerns Artenvielfalt und Naturschönheit steht. Fazit: Viele Maßnahmen sind umgesetzt, dennoch ist die Hälfte der Tierarten weiterhin gefährdet.
Für Nicolas Liebig, Landessprecher der Bayerischen Landschaftspflegeverbände, war das Volksbegehren ein „Booster“. In den letzten fünf Jahren wuchs die Anzahl der Landschaftspflegeverbände um zwölf auf 72. „Damit sind wir auf 90 Prozent der Landesfläche aktiv“, sagte Liebig. 85 Prozent der Kommunen seien Mitglied. Verbesserungsbedarf sah er bei der Finanzierung der Projekte. Oft müssten die Landschaftspflegeverbände in Vorleistung gehen, was insbesondere für kleinere Organisationen problematisch sei.
Richard Mergner, Vorsitzender des Bund Naturschutz und Mitinitiator des Volksbegehrens, begrüßte, dass es seitdem mehr Geld, Personal und Förderprogramme gebe. Doch: „Es gibt noch keine Trendumkehr beim Artensterben“, warnte er. Über die Hälfte der 3000 Arten sei gefährdet, und entgegen der Ziele der Staatsregierung würden täglich noch 12 Hektar Fläche verbraucht. Dies sei der Hauptgrund, warum es noch keinen funktionierenden Biotopverbund gebe. Auch in der ökologischen Landwirtschaft sah er Defizite.
Dr. Norbert Schäffer, Vorsitzender des Landesbundes für Vogel- und Naturschutz in Bayern, ließ die Umsetzung des Volksbegehrens anhand von 35 wissenschaftlichen Indikatoren untersuchen. Sein Fazit: „Der bayerische Streuobstpakt, Gewässerrandstreifen oder der Umgang mit Grünland – all das trägt Früchte.“ Allerdings sei es noch ein weiter Weg, bis sich die Artenvielfalt dadurch erhole. Bis dahin müsse sichergestellt sein, dass konsequent genug Gelder für die Biodiversität bereitgestellt werden.
Bessere Evaluierung gefordert
Für Dr. Martin Sommer, Projektleiter beim Deutschen Verband für Landschaftspflege, war das Volksbegehren ein Erfolg, weil „noch nie in Deutschland so viele förderliche Gesetze und Mittel für die Artenvielfalt bereitgestellt wurden“. Er wünscht sich aber neben dem quantitativen Monitoring ein qualitatives: „Denn bisher haben alle Maßnahmen nicht zum Stopp des Artenschwundes beigetragen.“ Neben den Tieren sei auch der Rückgang des Mähgrünlands und der Ackerwildkräuter besorgniserregend.
Auch landwirtschaftliche Vertreter sahen Licht und Schatten. Stefan Köhler, Mitglied des Europäischen Parlaments und Umweltpräsident des Bayerischen Bauernverbandes, sprach von „vielen Wunden“, die das Volksbegehren hinterlassen habe. „Viele Grundeigentümer haben Angst, dass, wenn sie etwas für die Natur tun, eine Schutzkulisse über ihr Land gezogen wird“, klagte er. Bei der Pestizidreduktion und im Ökolandbau sah er die Landwirtschaft auf einem guten Weg, „auch wenn wir noch nicht am Ziel sind“.
Bernhard Breitsameter, Präsident des Bayerischen Waldbesitzerverbandes, äußerte ebenfalls Vorbehalte. Er bemängelte, dass der Wald beim Volksbegehren nicht im Fokus stand, es nun aber trotzdem Vorgaben für die Waldbesitzer gebe. Ein dringender Punkt sei etwa die Synchronisierung der Bejagungszeiten.
Menschen geben weniger Geld für Bio-Lebensmittel aus
Christine Singer, ebenfalls Mitglied des Europäischen Parlaments und Bayerische Landesbäuerin, betonte, dass man bäuerliche Familienbetriebe nicht für den Rückgang des Artenschutzes verantwortlich machen dürfe. Sie wünscht sich mehr Unterstützung von Verbänden und Gesellschaft, auch im Verkauf regionaler und ökologischer Produkte. Die aktuelle Lage sei schwierig, da Menschen zunehmend sparten. Positiv bewertet sie die Vermittlung von Alltagskompetenz an Schulen, etwa über das Verhalten in der Natur.
Der Landwirtschafts- und Gärtnermeister Werner Kuhn, der mit einem Beratungsunternehmen tätig ist, berichtet von einem schwindenden Interesse der Menschen an Biodiversitätsprojekten. „Bei den Blühpatenschaften gab es einen regelrechten Hype“, sagte er. Auch die Energiegewinnung aus Wildpflanzen, der sogenannte Bienenstrom, sei inzwischen kaum noch gefragt. Außerdem kritisierte er die geplante Strafe bei unzureichendem Erosionsschutz.
Alexander Stärker, Vorsitzender der Familienbetriebe Land und Forst Bayern, betonte, dass Land- und Forstwirte von ihrem Eigentum leben müssten. „Wenn wir im Wald zeitlich und örtlich begrenzt nicht einschlagen dürfen, bedeutet das Einkommenseinbußen, die wir uns nicht leisten können.“ Stärker plädierte für mehr staatliche Unterstützung oder eine öffentlich-private Partnerschaft.
„Maßnahmen auf Sinnhaftigkeit prüfen“
Landwirt Werner Kriegl sieht die Lage differenzierter: „Am Anfang war ich ein Gegner des Volksbegehrens, weil es sich gegen die Landwirtschaft richtete“, erzählte er. Durch das Begleitgesetz seien viele Maßnahmen aber umsetzbar. Allerdings müsse jede auf ihre Sinnhaftigkeit geprüft werden. „Grünland muss nicht per se ein Vorteil für die Biodiversität sein, genauso wenig wie etwa Gewässerrandstreifen.“
Aus Sicht der Wissenschaft ist das euphorisch gestartete Volksbegehren der Ernüchterung gewichen, meinte Prof. Dr. Christoph Moning, Vizepräsident des Zentrums für Forschung und Wissenstransfer an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. „Mit Ver- und Geboten kommen wir nicht mehr weiter.“ Er sieht Potenzial in der Nutzung von Flächen rund um Windräder oder Solaranlagen und fordert dafür unter anderem mehr Plan- statt Projektstellen in den Bezirksregierungen.
Prof. Dr. Josef Reichholf von der Technischen Universität München, der schriftlich Stellung nahm, lobte die Bedeutung des Volksbegehrens für Randstreifen als Biotope und extensiv bewirtschaftete Flächen. Allerdings seien die angestrebten Verbesserungen bisher kaum sichtbar und oft von anderen Faktoren wie dem Wetter abhängig.
CSU: 90 Prozent der Maßnahmen bereits umgesetzt
In der Fragerunde betonte Dr. Petra Loibl (CSU), dass 90 Prozent der 140 Maßnahmen des Volksbegehrens umgesetzt seien. Dies sei möglich, weil „alle an einem Strang gezogen haben“, so Loibl – ohne Quoten oder Bevormundung der Landwirte. Beim Thema Ökolandbau bestehe noch Luft nach oben, was jedoch auch an den Marktbedingungen liege.
Marina Jakob (FREIE WÄHLER) forderte, die Menschen erneut von der Wichtigkeit des Artenschutzes zu überzeugen. In den letzten Jahren seien andere Themen in den Vordergrund gerückt, etwa der Krieg in der Ukraine. Sie sprach sich gegen den Ausbau des Ökolandbaus ohne entsprechende Nachfrage aus, da dies nur die Preise drücke.
Gerd Mannes (AfD) meinte, das Volksbegehren sei schon 2018 unnötig gewesen. „Nicht, weil wir gegen Artenschutz sind, sondern weil wir auf die Landwirte vertraut haben.“ Sie wüssten selbst am besten, wie sie Biodiversität schützen könnten – ganz ohne Regularien.
Grüne: Naturschutzziele kommen immer als Erstes unter die Räder
Patrick Friedl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kritisierte, dass sich trotz des Weltnaturschutzabkommens von Montreal kaum etwas beim 30-Prozent-Ziel für Ökolandbau bewegt habe. „Sobald sich die Kassenlage eintrübt, geraten Naturschutzziele ins Hintertreffen.“
Ruth Müller (SPD) verwies auf die zunehmenden Naturkatastrophen in Bayern und Europa, die verdeutlichten, wie eng Natur- und Klimaschutz miteinander verbunden seien. Entsprechende Maßnahmen in der Landwirtschaft sollten finanziell stärker entlohnt und bei der Ausbildung und im Studium von grünen Berufen gelehrt werden.
/ David Lohmann