Verfassungsausschuss diskutiert über bayerische Aufarbeitungskommission

Sexualisierte Gewalt in der Kirche

20. April 2023

MÜNCHEN.   Die Kirche und der Missbrauch: Wie lässt sich sexualisierte Gewalt, die Kinder und Jugendliche in der Kirche erfahren haben, aufarbeiten? In einer Sachverständigenanhörung im Verfassungsausschuss kamen zu diesem Thema Vertreter der großen Landeskirchen, Wissenschaftler, Vertreter der Justiz und Mitglieder der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs zu Wort. 

Die Sachverständigen und die Abgeordneten diskutierten über die Frage, was der Freistaat Bayern zur Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt in der Kirche tun kann. Sie stellten klar: Die Kirche steht nicht über dem Gesetz.

„Die Aufarbeitung ist unverzichtbar“, so Dr. Nikolaus Blum, Leiter des Landeskirchenamtes der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB). Das Thema sei nach wie vor ein Tabu. Er stellte klar, dass die ELKB mit Staatsanwaltschaft und Ermittlungsbehörden kooperiert.  

„Die Kirche fordert keine Paralleljustiz“, betonte Professor Elmar Güthoff, in seiner Funktion als Professor für Kirchenrecht. Die katholische Kirche habe ein System zur Ahndung von Straftaten, das zusätzlich zum staatlichen System bestehe.  

Ziel sei es, die Betroffenen zu ermutigen, sich zu melden, sagte Dr. Stephanie Herrmann, Amtschefin des Erzbischöflichen Ordinariats der Erzdiözese München und Freising. Auch sie betonte, dass kirchliches Recht lediglich ergänzend zur Anwendung komme.

„Kirchenversagen ist immer auch Staatsversagen“, sagte Professor Heiner Keupp, Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs in Berlin. Er forderte den Einsatz eines unabhängigen Missbrauchsbeauftragten, eines landesweiten Betroffenenbeirates und einer unabhängigen Aufarbeitungskommission in Bayern.

„Es ist höchste Zeit für eine einheitliche, transparente und repräsentative Aufarbeitung“, so Professor Holm Putzke, Strafrechtsprofessor an der Universität Passau. In den bestehenden Kommissionen sei vieles intransparent, etwa die Auswahl der Mitglieder.

Der Staat habe eine Verpflichtung, sexualisierte Gewalt zu verhindern, sagte Professor Stephan Rixen, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität zu Köln und ebenfalls Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Wenn das nicht geschehe, müsse er den Betroffenen helfen.

Reinhard Röttle, Generalstaatsanwalt in München, verwahrte sich gegen den Vorwurf, gegen die katholische Kirche sei mit „Beißhemmung“ vorgegangen worden. Wichtig zur Aufklärung seien ausreichende Beweise, so der Jurist. Dafür müssten Strafanzeigen zeitnah gestellt werden.

Wenn Anzeigen zu spät gestellt werden, gehen Beweismittel verloren und Erinnerungen werden ungenau, erklärte Michael Schrotberger, Leitender Oberstaatsanwalt als ständiger Vertreter des Generalstaatsanwalts in Nürnberg.

Ob und inwieweit eine landesweite Aufarbeitungskommission sinnvoll sei, diskutierten die Abgeordneten im Anschluss.

Die Frage sei immer: „Habe ich damit einen Benefit für die Betroffenen“, so die Ausschussvorsitzende Petra Guttenberger (CSU). Der Staat könne nur handeln, wenn er Kenntnis habe. Für einen Untersuchungsauftrag sehe sie keine rechtliche Grundlage.

Dr. Hubert Faltermeier (FREIE WÄHLER) wies darauf hin, dass es in einer solchen Kommission möglicherweise Koordinierungsbedarf bei Entschädigungen gebe, weil ein privater Sportverein andere finanzielle Mittel habe als die katholische Kirche.

Ob die anderen Kommissionen mit der Einrichtung einer landesweiten Aufarbeitungskommission nicht überflüssig werden, wollte die Abgeordnete Gabriele Triebel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wissen.

„Wer darf wo reinschauen“, fragte die Abgeordnete Alexandra Hiersemann (SPD). Eine Aufarbeitungskommission könne etwa nicht ohne Weiteres einen privaten Sportverein untersuchen, sie bräuchte beinahe schon Strafverfolgungskompetenzen.

Ihm stelle sich die Frage, inwieweit die Aufarbeitungskommission vereinbar sei mit dem Strafverfolgungsanspruch des Staates und der Unschuldsvermutung, die für Betroffene gilt, sagte der stellvertretende Ausschussvorsitzende Christoph Maier (AfD).

Eine landesweite Aufarbeitungskommission könne eine vernünftige Ergänzung sein, sagte Professor Stephan Rixen.  Sie wolle den Strafverfolgungsbehörden nicht ihre Arbeit wegnehmen. Auch bei einer Aufarbeitungskommission seien die Rechte mutmaßlicher Täter zu schützen, betonte Professor Holm Putzke.

Matthias Fischbach (FDP), erkundigte sich nach einer kircheninternen Geheimhaltungsnorm. Diese besondere Form des Amtsgeheimnisses gelte nicht bei Sexualdelikten, so Professor Güthoff. Im Nachgang der Sitzung forderte Fischbach, Versäumnisse der bayerischen Justiz aufzuklären.

/ Anna Schmid

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