Wirtschaft als Teil der Lösung: Experten diskutieren Auswirkungen des Green Deal

Expertenanhörung im Ausschuss für Wirtschaft, Landesentwicklung, Energie, Medien und Digitalisierung

Donnerstag, 29.10.2020

MÜNCHEN.  Klimaneutral bis 2050: Das ist das Ziel, das die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kurz nach ihrem Amtsantritt im Dezember 2019 für Europa ausgegeben hat. Ein Zwischenziel auf diesem Weg: Bis 2030 soll der CO2-Ausstoß um 60 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Das hat das EU-Parlament in diesem Monat beschlossen.Welche Auswirkungen der Green Deal genannte europäische Fahrplan auf die Wirtschaft in Bayern hat, war nun Thema einer Expertenanhörung im Wirtschaftsausschuss.

"Die Wirtschaft ist Teil der Lösung", sagte Dr. Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der IHK für München und Oberbayern. Klimaneutralität bis 2050 hält er nicht für umsetzbar, die richtigen Technologien fehlten. Das Ziel sei lediglich ein "Hoffnungswert". Er sieht die Gefahr eines Handelskrieges, verursacht vom CO2-Grenzausgleich. Mit dieser auch Klimazoll genannten Abgabe soll verhindert werden, dass unter weniger strengen Auflagen hergestellte Produkte von außen billig in die EU importiert werden.

Markus Buchheit, Abgeordneter im EU-Parlament, ist überzeugt, dass ein Ausgleichsmechanismus an den Grenzen nicht über einen Zoll funktionieren wird. Er setzt auf den Markt und betonte: "Wir müssen das freie Spiel der Kräfte, wo immer möglich, gewährleisten." Studien belegten, dass es einen strukturellen Arbeitsplatzverlust geben wird, so Buchheit. Derselben Auffassung sind auch Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft vbw und Matthias Fifka, BWL-Professor am Institut für Wirtschaftswissenschaften in Erlangen: Dass es keinen strukturbedingten Arbeitsplatzverlust geben wird, halte er für "ein schönes Märchen", sagte Fifka. Zum CO2-Grenzausgleich sagte er, dieser werde zu "Gegenmaßnahmen" führen, die die exportorientierte bayerische Wirtschaft hart treffen.

An Arbeitsplatzverluste durch den Green Deal glaubt Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin des Unternehmensverbands UnternehmensGrün e.V. nicht. "Wir sehen Klimaschutz nicht als Last, sondern als Lust", sagte sie. Auch der grüne Unternehmerverein sagt, dass die Wirtschaft "Teil der Lösung, statt Teil des Problems" sein soll. Die Frage sei, wie weit die unternehmerische Verantwortung reicht, etwa im Hinblick auf Skandale bei VW, Tönnies oder Wirecard, so Dr. Reuter.

Zu den vielen unterschiedlichen Bereichen, die der Green Deal betrifft, gehört auch der Finanzmarkt: Wenn Anleger sich nachhaltige Finanzprodukte wünschen, müssten Banken ihnen welche empfehlen, sagte Rechtsanwalt Dr. Christian Waigel. Er kritisierte, dass nicht klar sei, wie etwa Begriffe wie "Soziale Gerechtigkeit" oder "Good Governance" definiert sind.

Dr. Matthias Ballweg, Leiter EU-Politik und Mobilität bei der SYSTEMIQ GmbH in München sagte, die Frage, ob eine Umsetzung der Ziele bis 2030 realistisch sei, sei nicht verhandelbar. Die Kosten, die entstünden, wenn die Ziele nicht erreicht werden, seien viel höher.

Professorin Karen Pittel, Leiterin des Ifo Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen, plädierte für eine Ausweitung des Emissionshandels. Handelskriege hält sie zwar für möglich, die Frage jedoch sei "was ist die Alternative?"

Ohne starke und innovative Wirtschaftsstandorte seien alle Klimaschutzziele hinfällig, sagte vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Er warnte, dass bayerische energieintensive Industrie bei stärkeren Belastungen international nicht mehr wettbewerbsfähig sei.

Frederik Moch, Abteilungsleiter Struktur-, Industrie- und Dienstleistungspolitik im DGB-Bundesvorstand sagte, der Green Deal müsse so gestaltet werden, dass die sozialen und ökologischen Disparitäten in Europa nicht verschärft werden.

In der anschließenden Aussprache meldeten sich die Abgeordneten aller Fraktionen zu Wort. Immer wieder Thema: Der Grenzausgleich. Verstößt er gegen Regularien der Welthandelsorganisation WTO? Wie kann berechnet werden, welches Produkt welchen CO2-Ausstoß verursacht?  Kommt es zum Carbon Leakage, also zu höheren Emissionen, wenn CO2-Intensive Produkte günstiger im Ausland produziert und in die EU transportiert werden?
Wie der CO2-Fußabdruck eines Produktes berechnet werde, wisse man nicht, sagte Dr. Gößl. Ein Carbon Leakage sei zu befürchten, sagte Professor Fifka. Der Grenzausgleich verstoße nicht gegen WTO-Regularien. Auf die Frage nach Alternativen sagte er: "Ich fürchte, es gibt keine".

/ Anna Schmid

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