Expertenanhörung im Wirtschaftsausschuss zur Sicherung des Chemiestandorts Bayern

„Wir können nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren“

5. Dezember 2024

MÜNCHEN.        Chemie steht am Anfang vieler Wertschöpfungsketten und ist ein Innovationstreiber. Doch in Bayern melden immer mehr Produktionsstandorte Kurzarbeit, einige stecken in einer existenziellen Krise. Der Wirtschaftsausschuss des Bayerischen Landtags hat sich am Donnerstag auf Vorschlag der CSU-Fraktion mit den Zukunftsfragen zur Sicherung des heimischen Chemiestandorts beschäftigt. Dazu waren namhafte Experten der bayerischen Chemiebranche eingeladen. Die Liste der Wünsche an die Politik in der EU, im Bund, aber auch in Bayern war lang.

Dr. Markus Born vom Verein der Bayerischen Chemischen Industrie begrüßte, dass die Expertenanhörung von allen Fraktionen befürwortet wurde. „Denn die Lage ist ernster denn je.“ Die Produktion sei 2023 um 13 Prozent, die Aufträge sogar um 20 Prozent zurückgegangen. Als Grund nannte Born die hohen Strom- und Energiekosten, aber auch die nicht wettbewerbsfähigen Unternehmenssteuern. Sorgen bereiten ihm auch die Bürokratie, die EU-Abwasserrichtlinie und der Wassercent in Bayern. Sollte künftig auch Kühlwasser bepreist werden, koste das die Unternehmen Millionen.

Dr. Peter von Zumbusch von Wacker Chemie unterstrich die Wichtigkeit der Chemiebranche für die Transformation in eine nachhaltige Zukunft, beispielsweise durch die Rohstoffherstellung für Photovoltaikanlagen. „Gleichzeitig befinden wir uns in der schwersten strukturellen Krise, die ich in 30 Jahren Berufserfahrung erlebt habe.“ Er forderte einen Strompreis von vier Cent pro Kilowattstunde, eine bessere Strominfrastruktur – etwa durch den Ausbau der 380-KV-Hochspannungsleitung ins Chemiedreieck – und die Verlängerung des Konzessionsvertrags für die Nutzung von Wasserkraft.

Dr. Roland Geres von FutureCamp wies darauf hin, dass die CO2-Kosten seit 2005 vollständig in den Strompreis eingepreist werden. Noch gebe es zwar für die Industrie eine kostenlose Zuteilung – diese werde aber zunehmend reduziert. Durch den Green Deal der EU endet die Verfügbarkeit für Emissionsrechte im Jahr 2030. „Die Transformation der Chemieindustrie in Richtung Klimaneutralität ist richtig, aber sehr zeitintensiv und nicht ohne finanzielle Mittel möglich“, unterstrich Geres. Deutschland solle daher auf das europäische Recht nicht noch zusätzlich nationale Vorgaben „draufsatteln“.

Genehmigungsverfahren dauert oft viele Jahre

Dr. Sven Hartmann von Alzchem beklagte neben den hohen Strom- und Energiepreisen insbesondere die Bürokratie. „Wir merken, dass der Aufwand bei uns und bei den Behörden deutlich zugenommen hat“, berichtete er. Genehmigungsverfahren seien oft auf mehrere Landratsämter verteilt, der Dokumentationsaufwand immens. Allein die Einleitgenehmigung für Kühlwasser habe drei Jahre gedauert und 1,5 Millionen Euro gekostet. Hinzu kämen europäische Kriterien, die international nicht abgestimmt seien. Das verschaffe Ländern wie China erhebliche Vorteile.

Dr. Stefan Plenk von der IG Bergbau-Chemie-Energie (BCE) berichtete von Investitionsrückgängen, Verlagerungen und Schließungen: „So etwas kannten wir als Chemiegewerkschaft bisher nicht.“ Zusätzlich kämpfe die Branche erstmals mit sinkenden Ausbildungszahlen. Um eine schleichende Deindustrialisierung zu verhindern, fordere er eine Kompensation für die hohen Strom- und Energiepreise sowie eine langfristige Wasserstoff- und CO2-Strategie. Von bayerischer Seite verlangte Plenk mehr Investitionen in die Infrastruktur und eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren.

Dr. Bernhard Langhammer von der Initiative ChemDelta Bavaria berichtete, dass die Produktionsmengen im bayerischen Chemiedreieck seit 2017 von 8,6 auf 6,3 Millionen Tonnen gesunken sind. „Diese Mengen sind nicht verschwunden, sondern werden jetzt nur woanders produziert.“ Als rohstoffarmes Land müsse Deutschland neben günstigeren Strom- und Energiekosten vor allem die Netzkapazitäten zukunftsgerecht ausbauen. Nicht zuletzt müsse Bayern das Problem der Belastung durch Perfluoroctansäure (PFOA) in der Umwelt in den Griff bekommen.

„Keine pauschalen Chemikalienverbote“

Dr. Daniel Steppich von SGL Carbon kritisierte das geplante EU-Verbot für bestimmte per- und polyfluorierte Chemikalien (PFAS). „Toxische Substanzen, die leicht in die Umwelt gelangen können, müssen verboten werden.“ Doch derzeit werde eine Vielzahl der 10.000 Einzelsubstanzen pauschal in einen Topf geworfen und gleich behandelt. Auch kritisierte Steppich die EU-Taxonomie, ein Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten. Dies sei insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen eine zeitliche und finanzielle Herausforderung.

Tilo Rosenberger-Süß von InfraServ im Chemiepark Gendorf sprach ebenfalls von vielen bürokratischen Hemmnissen – nicht nur in der EU oder im Bund, sondern auch in Bayern. „Die Verlängerung einer bestehenden Einleiterlaubnis für Kühl- und Abwasser sei selbst nach fünf Jahren noch nicht abgeschlossen.“ Ebenso würden Ansiedlungsanfragen aus der Recyclingwirtschaft auf Flächen im Besitz des Freistaats nicht genehmigt. „Wir haben das Gefühl, man will uns hier gar nicht mehr“, sagte er.

Chemiker und Autor Dr. Helmut Waniczek machte die Klimaschutzpolitik der letzten Jahrzehnte für die aktuelle Situation verantwortlich. Besonders durch das Klimaabkommen von Paris habe sich die westliche Industrie „stranguliert“, während Länder wie Indien und China ihren CO2-Ausstoß weiter erhöhen könnten. Dabei stecke in jedem von uns Kohlenstoff, also CO2, erläuterte er. Statt in den Industriestandort Deutschland zu investieren, werde immer noch zu viel Forschungsgeld in Klima- und Energiewendeprojekte gesteckt, so Waniczek, der zugleich Sprecher der AfD Rheinisch Bergischer Kreis ist.

CSU: Bundesregierung und EU müssen liefern

In der anschließenden Fragerunde betonte die stellvertretende Ausschussvorsitzende Kerstin Schreyer (CSU), dass der nachhaltige Transformationsprozess für die Klimaneutralität zwar richtig, aber auch sehr herausfordernd sei. Sie forderte vom Bund und von Brüssel mehr Planungssicherheit, günstigere Strompreise, schnellere Genehmigungsverfahren und – auch in Bayern – weniger bürokratische Prozesse.

Rainer Ludwig (FREIE WÄHLER) erklärte, dass sich die Lage der Chemieindustrie seit der letzten Anhörung vor einem Jahr weiter verschlechtert habe. Er kritisierte ebenfalls Bund und Brüssel, die die „Weckrufe“ nicht hörten. Die bayerische Opposition zeige zwar immer mit dem Finger auf die Staatsregierung, aber ohne die richtigen Rahmenbedingungen seien dem Freistaat die Hände gebunden.

Oskar Lipp (AfD) äußerte die Sorge, dass durch die „Deindustrialisierung“ Produktion und Arbeitsplätze zunehmend ins Ausland abwandern könnten. Er schlug vor, neue Wege zu gehen, etwa durch die Einrichtung einer Sonderwirtschaftszone mit gesenkten Gewerbe- oder Grundsteuern. Durch die CO2-Bepreisung befürchtete Lipp, könne in Bayern bald kein Plastik mehr kostendeckend produziert werden.

Grüne: Strompreis liegt auf dem Niveau von 2021

Martin Stümpfig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hob hervor, dass der Industriestrompreis durch Steuer- und Abgabensenkungen wieder auf dem Niveau vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine liege. Eine weitere Reduzierung sei seiner Meinung nach nur über eine Halbierung der Netzentgelte möglich, erklärte er in Richtung der Experten.

In eine ähnliche Richtung argumentierte Florian von Brunn (SPD). Die Strompreise lägen auf dem europäischen Mindestmaß, und die Absenkung der Netzentgelte werde bald beschlossen. Außerdem gebe es Zeiten der Überproduktion, in denen der Strompreis ins Negative falle. Auch bei der Beseitigung der Bürokratie gebe es Fortschritte, etwa bei der Genehmigung von Batteriespeichern.

/ David Lohmann

 

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