Reform des Chemikalienrechts

Anhörung von Sachverständigen im Wirtschaftsausschuss zur Zukunft der Chemieindustrie in Bayern

15. Juni 2023

MÜNCHEN.    Vor dem Hintergrund der in der EU geplanten Reform des Chemikalienrechts hörte der Wirtschaftsausschuss Sachverständige zu der Frage an, welche Folgen sich daraus für Bayern ergeben. Im Fokus standen besonders die Konsequenzen für die Chemieindustrie und nachgelagerte Industriezweige im Hightech- und Energiebereich.

In der von den Fraktionen der CSU und der FREIEN WÄHLER beantragten Anhörung der Expertinnen und Experten ging es zum einen um den vielfältigen Einsatz von PFAS, das sind per- und polyfluorierte Alkylverbindungen. Bekannt sind diese Substanzen auch als so genannte „Ewigkeitschemikalien“, weil sie sich in der Umwelt extrem langsam abbauen und auf der ganzen Welt zu finden sind. Die Abgeordneten im Ausschuss für Wirtschaft, Landesentwicklung, Energie, Medien und Digitalisierung diskutierten mit den Sachverständigen auch die Risiken der PFAS sowie Hoffnungen, die in die Kreislaufwirtschaft gesetzt werden. Die Argumente bewegten sich dabei zwischen der Notwendigkeit von Verboten und der Zukunftsfähigkeit der chemischen Industrie im Freistaat.

„Keine Branche kommt ohne Chemie aus“

Dr. Markus Born unterstrich die besondere Bedeutung der Chemieindustrie in der industriellen Wertschöpfung. Nach den Worten des Geschäftsführers der Bayerischen Chemieverbände stehen die rund 430 Unternehmen aus der Chemie- und Pharmaindustrie in Bayern mit ihren rund 90.000 Mitarbeitenden für rund 23,5 Milliarden Euro Umsatz jährlich. Die Chemie spiele eine besondere Rolle in der industriellen Wertschöpfung. Keine Branche komme ohne Chemie aus, sagte Born. „Was zur Zeit vorangetrieben wird, stellt eine massive Bedrohung des Wirtschaftsstandortes dar, so massiv, dass es genau richtig ist, dass sich die Politik damit befasst.“ Der Hinweis auf die Bedrohung zielte auf die EU-Chemikalienstrategie, die ein umfassendes Verbot der Herstellung, Verwendung und des Verkaufs von mehr als 10.000 PFAS vorsieht. Nach Borns Einschätzung ein Paradigmenwechsel im Chemikalienrecht, der mögliche Mangelsituationen potenzieren wird.

„Statt der Bewertung eines Risikos aus einer Exposition und einer Stoffeigenschaft soll zukünftig allein die Stoffeigenschaft Basis der Bewertung sein.“ Damit werde die Möglichkeit einer sicheren Verwendung der Stoffe außer Betracht gelassen. Der Chemiker sieht das Problem nicht in der Beschränkung der PFAS, sondern darin, dass mehr als 10.000 industriell erzeugten Substanzen als Gruppe über einen Kamm geschoren würden.

PFAS als Basis für Hochtechnologie

PFAS stecken nicht nur in wasserabweisenden Outdoorjacken, beschichteten Pizzakartons oder Teflonpfannen, sie werden auch eingesetzt bei der Beschichtung von Solarmodulen, von Rotoren für Windanlagen, in Kältemitteln in Wärmepumpen oder in Batteriezellen. In dieser Gruppe enthalten sind auch 38 Fluorpolymere, deren Eigenschaften wie Temperatur- und Chemikalienbeständigkeit nach Ansicht zahlreicher Fachleute unverzichtbar für die Industrie sind. „Es ist völlig irre, die vom Markt nehmen zu wollen“ erklärte beispielsweise Dr. Uwe Hellstern. Sie seien die Basis für Hochtechnologie. Ersetzen ließen sich die Substanzen nicht, denn sie hätten den Vorteil, dass sie resistent gegen aggressive Chemikalien seien. Ihr Nachteil liege in ihrer Robustheit.

Warnung vor Kaskadeneffekt

Dieser Einschätzung folgte auch Dr. Michael Schlipf, Geschäftsführer der FPS GmbH. Er kritisierte ein Verbot der PFAS inklusive der 38 Fluorpolymere als unwissenschaftlich. Toxische Produkte gehörten zwar nicht in die Umwelt und müssten substituiert werden, die Fluorpolymere seien aber irrtümlich in der Gruppe der PFAS gelandet und sollten dringend herausgenommen werden.

Auch Christine Völzow von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, vbw, schloss sich dem an und nannte die Fluorpolymere „elementar“. Die Leiterin der Abteilung Wirtschaftspolitik verwies auf die hohe Abhängigkeit vieler Branchen von den Zulieferungen aus der Chemieindustrie und warnte vor Engpässen durch die EU-Chemikalienstrategie und daraus resultierenden Kaskadeneffekten. Verbiete die EU diese Substanzen, dann sei auch ein Import nicht möglich, es drohten Wertschöpfungsverluste. Besser ist es nach Völzows Ansicht, bei einer Risikoabwägung zu bleiben und je nach Anwendung zielgerichtet zu regulieren.

Kein „weiter so wie bisher“

Dagegen verwies Janna Kuhlmann vom Bund Umwelt und Naturschutz in Berlin auf den gesundheitlichen Aspekt. Sie zitierte eine besorgniserregende Studie, wonach immer häufiger hohe Konzentrationen von PFAS im Blut vieler Menschen nachweisbar seien und bei jedem fünften Kind Gesundheitsprobleme auftreten könnten. Dadurch drohende Gesundheitskosten in der EU überstiegen die globalen Umsätze mit PFAS um mehr als das Doppelte. Die Chemikerin forderte eine Überarbeitung der REACH-Verordnung der Europäischen Union, die erlassen wurde, um den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt vor den Risiken, die durch Chemikalien entstehen können, zu verbessern und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit der chemischen Industrie der EU zu erhöhen. Die Chemieindustrie habe nun die Chance, Vorreiter in einer nachhaltigen Industrie zu werden. „Weiter so wie bisher ist keine Option.“

„Nachhaltigkeit lässt sich nicht aufhalten“, ist das Credo der Chefin von DexLeChem GmbH, Sonja Jost. Die Diplomingenieurin setzt weniger auf den Erhalt oder die Transformation einer alten Industrie als auf das Möglich-Machen und den Aufbau einer neuen Industrie. Jost warnte vor Panikmache und verwies auf die USA, wo Republikaner und Demokraten in seltener Einmütigkeit ein umweltrelevantes Gesetz zu nachhaltiger Chemie verabschiedet haben. Schlüssel für diesen Schulterschluss sei die Wettbewerbsfähigkeit.

Um die Verwendung von PFAS komme man nicht herum, erklärte Jonas Lang, Gewerkschaftssekretär, ICBCE Bayern und rief zu einer sachlichen Debatte auf. Ziel müsse es sein, die Chemieindustrie in Deutschland zu erhalten und einer De-industrialisierung entgegenzuwirken. Lang mahnte einen Industriestrompreis von vier Cent pro Kilowattstunde an und mehr Planungssicherheit für die Unternehmen.

Kreislauffähigkeit als Zukunftsmerkmal

Die hohe Bedeutung von Stoffkreisläufen erklärte Professor Dr.-Ing. Thorsten Gerdes von der Universität Bayreuth. Der Leiter der Keylab Glastechnologie hat an der Entwicklung der Upcycling-Anlage von Dyneon, einer Tochter des US-Konzerns 3M, mitgearbeitet. Es ist die erste und einzige Anlage, die ein chemisches Recycling von Fluorpolymeren ermöglicht. Allerdings hat der amerikanische Mutterkonzern entschieden, das Dyneon-Werk in Gendorf mit seinen derzeit 680 Arbeitsplätzen bis Ende 2025 zu schließen. Ein „Rückschritt für die Schließung der Stoffkreisläufe der Fluorpolymere“ und deren nachhaltiger Zukunft, sagt Gerdes. Denn dort wurde ein großer Teil aller in Europa insgesamt hergestellten PFAS produziert, die in vielen verschiedenen Sektoren von der Automobilindustrie bis hin zur Medizintechnik noch gebraucht werden.
Ein zukunftsfähiger Werkstoff solle sich über seine Gebrauchseigenschaften hinaus durch besondere Merkmale wie Kreislauffähigkeit, emissionsfreie Herstellung und Vermeidung von Emissionen auszeichnen. Der Professor rief dazu auf, den Ausstieg von 3M zu nutzen, als „Einstieg in eine green factory zur Herstellung von Fluorpolymeren am Standort Gendorf“.

Geschlossene Kreisläufe waren Dr. Bernhard Langhammer, Sprecher ChemDelta Bavaria, ebenfalls ein Anliegen. Schaffe man ein Regularium, so Langhammer, damit Fluorpolymere nicht in der Umwelt landen, dann sei das Restproblem überschaubar.

Klare Positionierung der Staatsregierung gefordert

In der Fragerunde interessierte die Abgeordneten, wie Transformationsprozesse angestoßen werden können, wie sich andere Nationen verhalten und ob es Alternativen zu den PFAS gibt. So hakte die Sozialdemokratin Anette Karl nach, wie eine vernünftige Einschätzung auf EU-Ebene möglich sei, ohne die eigene Wirtschaft zu gefährden. Der stellvertretende Vorsitzende Martin Stümpfig, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wollte wissen, ob die Gesundheitsschädlichkeit der erwähnten 38 Fluorpolymere geringer sei als die der anderen PFAS. Die Frage, ob die Produktionskosten in einer Kreislaufwirtschaft explodieren und welche Probleme sich beim Umstieg auf grünen Wasserstoff als Energieträger stellen, beschäftigte Gerd Mannes von der AFD. Albert Duin von der FDP-Fraktion erkundigte sich nach Abwanderungsplänen von Unternehmen der Chemieindustrie. Wie andere Staaten in Europa mit dem Thema umgehen, fragte Alexander König, CSU.

Für Zukunftstechnologien wie die klimaneutrale Energieerzeugung durch grünen Wasserstoff seien Fluorpolymere unerlässlich, hieß es aus den Reihen der Experten. Mehrheitlich forderten sie eine klare Positionierung der Staatsregierung, sahen die Zukunft im Upcycling, favorisierten das Prinzip der Risikoabwägung und sprachen sich für eine differenzierte Betrachtungsweise bei den Ewigkeitschemikalien aus.

/ Miriam Zerbel

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