Herkulesaufgabe und Chance

Anhörung zum Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk

10. Mai 2023

MÜNCHEN.     Den Reformbedarf im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erörterte der Ausschuss für Wissenschaft und Kunst. In der Anhörung machten die Experten viele Änderungsvorschläge, sahen aber auch die Notwendigkeit eines solchen Medienangebotes.

Prof. Dr. Patrick Barwise, Autor des Buches „The War Against the BBC“ und Emeritus Professor der Management and Marketing London Business School, schilderte, wie 2020 Forscher untersuchten, inwieweit die Öffentlichkeit in 18 Ländern Online-Desinformationen begegnete. Dabei habe Deutschland mit Großbritannien die stärkste Widerstandsfähigkeit aufgewiesen. „Die Bevölkerung in den USA war besonders anfällig für Desinformation, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk dort nur schwach ausgeprägt ist“, betonte Barwise. In einer anderen Studie habe man 2015 Kritiker der Gebühren gebeten, die BBC für neun Tage nicht zu nutzen. Danach hätten 65 Prozent gesagt, dass die BBC doch ihr Geld wert sei. „Politische Entscheidungen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk sollten sich an Tatsachen orientieren.“

Jimmy Gerum, Initiator der Bürgerinitiative „Leuchtturm ARD - ORF – SRG“, erklärte, dass die Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) „von unschätzbarem Wert für die Demokratie und unser kulturelles Selbstverständnis“ sei. Er kritisierte zugleich die zunehmende Verletzung der Meinungsvielfalt sowie fehlende Ausgewogenheit und Staatsferne. Dies habe 2022 auch eine Schweizer Studie ergeben, die das Angebot in 18 Ländern verglich. „Die bestehenden Kontrollinstanzen und Rechenschaftspflichten für diese Pflichten reichen nicht aus, dafür braucht es einen unabhängigen Blick von außen“, so Gerum. Die Einrichtung des ARD- und ZDF-Zukunftsrates 2023 sei zu begrüßen, jedoch finde sich dort weder eine Stimme der Beschäftigten noch der Beitragszahler.

„Das Optimale herausholen“

Lauri Kivinen, ehemaliger CEO der Finnish Broadcasting Company und Berater im Bereich von Medien und Technologie sagte, ein reformiertes System, bei dem alle Bürger einen staatsfernen und unabhängigen ÖRR langfristig, solide, aber nicht zu großzügig bezahlen, sei ein Baustein der Demokratie. „Wenn die Ressourcen knapp sind, sind die Entscheidungen besser“, betonte Kivinen. Die Aufsicht sollte darum professionell sein und nicht so komplex wie in Deutschland, da dies Reformen erschwere. Bremsen eines Wandels seien auch die hohen Personalkosten beim ÖRR, teure Sportereignisse und fehlende Kooperation.

Laut Prof. Dr. Jürgen Kühling, LLM, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Immobilienrecht, Infrastukturrecht und Informationsrecht an der Universität Regensburg, ist der ÖRR mit einer auskömmlichen Finanzierung verfassungsrechtlich geboten, rechtspolitisch „als zentrale und seriöse Säule unserer Medienordnung“ gewünscht und daher mit einem geringen Reformspielraum versehen. Gleichwohl habe man „das Ende der Beitragsentwicklung erreicht“, da Deutschland den Spitzenplatz in der absoluten Beitragshöhe als auch in der relativen pro Person besetze. Der Fokus müsse darum darauf liegen, schneller als bisher „das Optimale aus diesen Mitteln“ herauszuholen. Mit dem Dreistufentest: Was ist der inhaltliche Mehrwert, können das nicht auch die Privaten und was kostet es?

„Kabel, Satelliten, Internet und Streaming haben zu einer Vielfalt medialer Produkte geführt, weg von Radio und Fernsehen“, erklärte Prof. Dr. Lucy Küng, internationale Expertin für Digitale Transformation. Dadurch öffne sich die Tür zu einer grundlegenden Überarbeitung des ÖRR. Die BBC habe festgestellt, dass das Fernsehen vor fünf Jahren noch 80 Prozent der jungen Erwachsenen erreichte, heute nur noch 50 Prozent. Dadurch verlagerten sich auch die Werbeausgaben und erhöhten sich die Kosten. Wenn Nachrichten nicht im Internet und sozialen Medien präsent seien, wären die Zielgruppen aber anfälliger für Desinformation. Amazon, Apple, Youtube und Google bedrohten zudem durch ihre Größe die Existenz vieler Medien.

Kooperation und Fokussierung

Dr. Thorolf Lipp, Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der Deutschen Akademie für Fernsehen, vertritt rund 800 Programmmacher. Er forderte den Aufbau eines beitragsfinanzierten Medieninnovationsfonds für neue Perspektiven, Transparenz und effizienteres Handeln. ARD, ZDF und Deutschlandradio seien „extrem hierarchisch mit vielen überkommenen Pfadabhängigkeiten“ strukturiert. Beim aktuellen Reformprozess gebe es keinen Dialog mit den Medienschaffenden. „Wir brauchen auch mehr Bandbreite bei der Themenauswahl von Produktionen“, so Lipp. Er kritisierte, dass sich der ÖRR zum Teil über die freien Mitarbeiter „saniere“.

„Jede Änderung im öffentlich-rechtlichen System hat auch Folgewirkung für die private Seite“, warnte Dr. Thorsten Schmiege, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien. Eine Vertrauenskrise des ÖRR strahle auf alle Medien aus. „Die TOP drei unserer Überlegungen für einen Reformprozess sind mehr Kooperation, mehr Fokussierung und mehr Kontrolle.“ Beispielhaft für Kooperation sei etwa die Nutzung der Technologie „DAB+“ des BR für den digitalen Hörfunk, die auch private Medien nutzten. Die Mittel sollten auf die Bereiche Information und Bildung fokussiert werden, wo der ÖRR unverzichtbar und stark sei. Compliance werde im neuen Staatsvertrag aufgegriffen. Die Reform sei darum eine „Herkulesaufgabe, aber auch eine Chance, die man nutzen sollte“.

Dr. Michael Schweizer, Rechtsanwalt, Gründer und Inhaber der „Schweizer recht AG“ und zuvor Chefjurist des größten Schweizer Medienhauses SRG SSR, mahnte, Vergleiche zwischen Rundfunkordnungen verschiedener Länder seien in einer digitalisierten und zunehmend fragmentierten Gesellschaft zwar „spannend“, aber aufgrund der unterschiedlichen Staatsorganisation, Rechtsgrundsätze, Geografie, Kultur und Markt auch schwierig. Die Eignung verschiedener Elemente aus anderen Rundfunkordnungen seien daher immer „kritisch im Gesamtkontext zu prüfen“, da aus ihnen die Wirkungskraft des ÖRR und dessen Verankerung in der Bevölkerung erwachse.

Reformen und Kritik

Die Akzeptanz in der Gesellschaft habe laut der aktuellen Langzeitstudie „Medienvertrauen“ gelitten, so Prof. Dr. Annika Sehl, Inhaberin des Lehrstuhls für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Danach hätten 62 Prozent der Menschen die Sender für eher oder sehr vertrauenswürdig erklärt, zwei Jahre zuvor noch 70 Prozent. Dennoch genossen ARD und ZDF das größte Vertrauen unter allen Medien. Studien belegten, dass starke öffentlich-rechtliche Medien positiv auf das politische Bewusstsein der Bürger wirkten. „Allerdings gibt es aus Teilen der Bevölkerung und einigen politischen Parteien auch immer wieder Kritik an den öffentlich-rechtlichen Medien.“ Neben den Gebühren werde auch immer wieder die Distanz zur Politik, die Ausgewogenheit, die föderalen- und Doppel-Strukturen kritisiert, dazu die Skandale beim RBB, die fehlende Aufsicht offenlegten. Der dritte Medienänderungsstaatsvertrag ab 1. Juli solle unabhängige Aufsichtsgremien bei der Kosten- und Programmkontrolle stärken. Anfang 2024 solle das durch mehr Transparenz und Compliance ergänzt werden.

Nathalie Wappler, Direktorin des Schweizer Radio und Fernsehens SRF, sagte, mit der künstlichen Intelligenz stehe man nach der Digitalisierung erneut vor einem großen Umbruch. „Die Geschwindigkeit, mit der neue Inhalte, Bilder, Texte und Stimmen, wahre wie falsche, generiert werden, übersteigt alles bisher Bekannte.“ In der direkten Demokratie der Schweiz liege das Vertrauen in die Medien bei 46 Prozent, für den SRF bei 73 Prozent. Dies bedeute Verantwortung für Qualität, Meinungsvielfalt und Unabhängigkeit in allen vier Sprachregionen. 2018 habe die Schweizer Bevölkerung in einer Volksabstimmung das Streichen der Mediengebühr mit 71,6 Prozent abgelehnt. Gleichwohl sei damit ein Reformauftrag und eine Gebührensenkung verbunden gewesen, was in den Transformationsprozess „SRF 2024“ mündete. Mittlerweile erreiche man das junge Publikum nachhaltig besser und sei finanziell konsolidiert.

Fragerunde

In der anschließenden Fragerunde der Abgeordneten wollte Susanne Kurz (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN) wissen, wie ein Kontrollgremium und optimale Programmstrukturen aussehen sollten. Alexander Dorow (CSU) erkundigte sich, wie man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit seiner „derzeitigen politischen Schlagseite“ objektiv, dazu modern und bezahlbar machen könne. Dr. Hubert Faltermeier (FREIE WÄHLER) bat um Hinweise, wie die Experten den Reformprozess einleiten würden. Prof. Dr. Ingo Hahn (AfD) wollte wissen, welche Erfahrungen andere Länder mit Reformen gemacht hätten. Helmut Markwort (FDP) fragte nach Einsparmöglichkeiten, ohne dass es zu Programmeinsparungen komme. Martina Fehlner (SPD) fragte, ob man bei den Werbetöchtern der Sendeanstalten Einsparungen vornehmen könne.

Die Experten verwiesen auf den Medieninnovationsfonds für ein Gremium, das Auswahlverfahren, Produktionsmodelle, Auswertungsstrategien, Lizenz- und Vergütungsmodelle und Evaluierungsmechanismen auf den Prüfstand stellen könnte. Genannt wurde auch der Dreistufentest durch ein professionalisiertes Gremium. Das „endlose Abspielen von Krimis, dieses ‚More of the Same‘“ könne damit laut Kühling beendet werden. Lauri Kivinen sagte, dass auch in Finnland die meisten Journalisten grün oder links orientiert seien, es sei deshalb Aufgabe der Intendanten, für Ausgewogenheit zu sorgen. Zu den Einsparmöglichkeiten wurde zuvorderst die Kooperation der Anstalten untereinander sowie mit privaten Medien genannt. Thorsten Schmiege nannte das Beispiel Pressekonferenz: „Es macht keinen Sinn, dass da jetzt zehn Kameras, zehn Mikrofone hingehalten werden.“ Laut Nathalie Wappler habe das Schweizer Fernsehen „durch Umschichtungen und Fokussierung“ Geld eingespart. „Sparen ist schmerzhaft, tut aber gut, dann hat man neue Möglichkeiten“, ergänzte Kivinen. Gespart hätte man in Finnland beim Personal, den Sportrechten und Doppelstrukturen. Man habe mehr von Freelancern eingekauft und sich von unnötigen Aktivitäten und Immobilien getrennt.

/ Andreas von Delhaes-Guenther

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