Reformbedarf im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Zweiter Teil der Expertenanhörung im Wissenschaftsausschuss

7. Juli 2023

MÜNCHEN.    In der Landtagsanhörung im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst zum Thema „Reformbedarf im öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ diskutierten die Experten viele neue Ansätze, waren sich aber einig, dass Reformen notwendig sind.

Zehn Experten konnte der Ausschussvorsitzende Robert Brannekämper (CSU) zu dem durchaus strittigen Thema der Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) begrüßen.

Prof. Dr. Christoph Degenhart, Professor (em) für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Medienrecht an der Universität Leipzig und Richter am Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen a.D., verwies auf den „neuralgischen Punkt“, weil die Anstalten weitgehend autonom über ihr Angebot entscheiden könnten. Bereits seit 2017 laufe eine Strukturreform in der ARD in Sachen Verwaltung, Technik, Verbreitung. Bis 2028 würde damit knapp eine Milliarde Euro gespart, was aber bei knapp 100 Milliarden Euro Beitragsaufkommen bis 2028 nicht viel sei. Reformen auf programmlicher Ebene seien angedacht. Fraglich sei, ob ARD und ZDF Profisport und Unterhaltungsbranche sponsern müssten. Für die Jugend sei man in den sozialen Medien aktiv, was aber Werbung für zweifelhafte Portale wie Tiktok sei. Die Behauptung, der ÖRR sei aufgrund der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), den Rechnungshöfen und den Verwaltungsräten die bestkontrollierte Institution, was die Finanzen betrifft, sei angesichts der Affäre Schlesinger im RBB schwer zu glauben.

Dr. Heinz Fischer-Heidlberger, Vorsitzender der KEF von 2009 bis 2022 und ehemaliger Präsident des Bayerischen Obersten Rechnungshofes, erklärte, der Auftrag der Rundfunkanstalten bestimme laut Bundesverfassungsgericht den Finanzbedarf. Den Auftrag hätten die Länder in Medienstaatsverträgen festgelegt. „Wenn man wirklich kostenrelevante Einsparungen haben will, dann geht es nur über den Auftrag“, also über die Länder, so Fischer-Heidelberger – und das auch nur mittel- oder langfristig. Zu den Aufgaben gehörten Bildung, Beratung, Information, Unterhaltung und Kultur. Der letzte Medienstaatsvertrag habe die Aufgaben aber erweitert, etwa bei der Digitalisierung. Man solle aber nicht internationalen Streamingkonzernen Konkurrenz machen. Die Strukturen, insbesondere der ARD mit neun Landesrundfunkanstalten und über 65 Radioprogrammen, einer Vielzahl von Spartensendern und Standorten, verursachten hohe Personal-, Gebäudetechnik- und Investitionskosten.

Zeit für Reformen

Prof. Dr. Kai Gniffke, Vorsitzender der ARD und Intendant des SWR, erklärte, die ARD habe ein klares Motto „Jetzt ist die Zeit für Reformen“. Man sei bereits auf dem Weg zu einem schlankeren, moderneren und effizienteren Verbund mit mehr Kooperation. Die ARD werde gebraucht, „weil unser Land vor gewaltigen Herausforderungen und Problemen“ stehe. Die fünf ausländischen, marktbeherrschenden Medienkonzerne spielten nach anderen Regeln. „Denen ist Regionalität, Brauchtum, Tradition egal“, betonte Gniffke. Weil sich junge Menschen nicht mehr über das Fernsehen informierten, sei es „unser Ziel, Heimat auch in der digitalen Welt Gesicht und Stimme zu geben". Man wolle gemeinsam mit dem ZDF das relevanteste Streamingangebot werden, dann mit Partnern aus Österreich und der Schweiz sowie privaten Medienhäusern erweitern - dafür müsse man investieren. „Wir werden erhebliche Teile der Social-Media-Bereiche reduzieren, weil wir da zu viel Kraft in zu wenig Wirkung stecken“, so der ARD-Chef. Insgesamt sollten 250 Millionen Euro eingespart werden. Leider mache man auch Fehler, zuletzt etwa im Angebot „funk“ zum Thema: „Was ist rechts?“ Es sei schädlich für die Demokratie gewesen, Demokraten und Antidemokraten in einen Topf zu werfen. „Aber bitte messen sie uns nicht nur an unseren Fehlern - bei hunderten Stunden Programm täglich.“

„Es geht nicht nur um die ARD, sondern die Probleme umfassen alle beitragsfinanzierten Sender, auch das ZDF“, betonte Helmut Hartung, Chefredakteur von medienpolitik.net. Reformen seien längst überfällig. Der effektivste Weg für Einsparungen sei, fünf statt neun Landesrundfunkanstalten zu bilden. Eine Generaldirektion könne dieses Dilemma lösen, die „für die Führung, Koordinierung, Strategie und Kommunikation sowie die technische Infrastruktur der ganzen ARD zuständig“ sei, ähnlich wie in der Schweiz. Einfacher wäre aber eine Fusion von ZDF und Deutschlandradio. Die Aufgabenbeschreibung im fünften Medienstaatsvertrag müsse geändert werden, dazu gehöre die Reduzierung der Hörfunkprogramme und die Einschränkung von Podcastproduktionen. Man könne die ARD-Audiothek für die jungen Leute einsetzen. Für digitale Produktionen dürften keine zusätzlichen Kosten entstehen und eine gemeinsame Mediathek brauche einen festen und verbindlichen Start. „Es braucht auch ein Beitragsmoratorium“, forderte Hartung.

Prof. Dr. Jürgen Kühling, LLM, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Immobilienrecht, Infrastrukturrecht und Informationsrecht an der Universität Regensburg, sah die Medienlandschaft von“ einem dramatischen Wandel geprägt“, in dem ein finanzierbarer und leistungsfähiger ÖRR wie auch der private Rundfunk- und Medienbereich weiter wichtige Rollen spielen müssten. Das notwendige Reformtempo sei aber nicht hoch genug. Man müsse den Auftrag „fokussieren“, wie man Programme umgestalte. Es brauche zudem konsequente Qualitätsorientierung, in die die Aufsichtsgremien stärker einbezogen werden müssten. „Dazu gehört auch die konsequente Mehrwertorientierung in allen öffentlich-rechtlichen Angeboten“, so Kühling. Die Frage müsse stets lauten, ob das nicht private Medienanbieter leisten könnten. Zur Finanzierung müssten unnötige Mehrfachstrukturen und redundante Programmangebote reduziert, einzelne Programme in den nonlinearen Bereich verlagert und Kooperationen mit privaten Medien lanciert werden.

Zwei Säulen

Der Verband Privater Medien (VAUNET) vertritt die Interessen von 160 Unternehmen aus den Bereichen Radio, Fernsehen und Onlinemedien, erklärte dessen stellvertretender Vorsitzender Dr. Michael Müller, zugleich Chief Distribution Officer bei der ProSiebenSat.1 Media SE. Private Medien seien die zweite Säule der dualen Medienordnung. „Veränderungen in einer Säule wirken sich immer auch auf die andere Säule aus“, betonte Müller. Angesichts der Herausforderungen für die Meinungsvielfalt in Deutschland durch internationale Digitalunternehmen und verändertes Nutzerverhalten würden gemeinsame Interessen wachsen. So ziehe man schon erfolgreich an einem Strang, wie bei der Plattformregulierung der großen BigTech-Unternehmen, aber auch im Urheberrecht. Auf der anderen Seite müsse sich das Angebot des ÖRR klarer von den Angeboten der privaten Medien, insbesondere bei Unterhaltung und Sport, abgrenzen. Eine Hyperlokalisierung des ÖRR sei nicht im Sinne der vielen privaten lokalen Medienanbieter. Bei Werbung und Sponsoring lehnten die Privaten eine Ausdehnung des ÖRR ab, da dies ihre wesentliche Refinanzierungsgrundlage sei. „Der Werbetopf wird nicht größer und verschiebt sich ohnehin schon zu Facebook, Google und Co“, sagte Müller.

Prof. Dr. Stephan Ory, Rechtsanwalt und Honorarprofessor für Rundfunkrecht und Urheberrecht an der Universität des Saarlandes sowie Direktor des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR), stellte fest: „Der Auftrag bestimmt das Geld.“ Aufgabe des ÖRR sei der Content, nicht nur das Programm, sondern auch das nichtlineare Onlineangebot. „Es geht beim Demokratiebezug um den Argumentationshaushalt einer auseinanderdriftenden Gesellschaft“, warnte Ory. Die Argumente der einen Seite müssten jeweils der anderen Seite zur Verfügung stehen, dies sei die Aufgabe des ÖRR. Bestimmte Formate seien dafür besser geeignet. Es stelle sich die Frage, wie man mit eigenem Content auf Drittplattformen umgehe. Steigere man den „product value“ dieser Konzerne, etwa durch Podcasts auf Spotify? Zudem müssten die Kontrollgremien passend aufgestellt werden. Vergütungen müssten auch angemessen und marktgerecht sein, denn oft würde der ÖRR den privaten Unternehmen die klugen Leute abwerben.

Dr. Susanne Pfab, Generalsekretärin der ARD, ergänzte, dass nach den Vorkommnissen beim RBB die Compliance-Regeln rasch in der gesamten ARD angeglichen worden seien. Man arbeite seit 2015 an einem Ausbau der Transparenz, auch zur Verwendung des Rundfunkbeitrags. Hier werde offengelegt, wie viel man in welche Bereiche investiere, auch Kosten für Sendeplätze oder Sportmoderatoren, heuer auch noch für Intendanten und die Führungsebene. „Wir arbeiten an der Stärkung der Funktionsfähigkeit unserer Gremien, die gerade im Qualitätsmanagement besser eingebunden werden sollen“, betonte Pfab. Der ÖRR koste Geld, schaffe aber auch selbst einen hohen ökonomischen Wert. „Wir investieren jedes Jahr über 850 Millionen Euro in die Beauftragung von Produktionen, die in die Kreativwirtschaft fließen.“ 98 Prozent der Waren und Dienstleistungen würden zudem im Inland abgerufen. Auf einen Arbeitsplatz innerhalb kämen drei außerhalb der ARD, das sei das 2,5- bis 3-fache an Wertschöpfung.

Regionaler Fokus

Prof. Dr. Annika Sehl, Inhaberin des Lehrstuhls für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, ging auf die wichtigen externen und internen Herausforderungen des ÖRR ein. Eine davon sei „die Akzeptanz in der Gesellschaft“. Immer noch 62 Prozent der Menschen erklärten, dass sie dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen sehr oder eher vertrauten. Allerdings kritisierten Teile der Bevölkerung und Parteien immer wieder die Höhe der Rundfunkgebühr sowie fehlende Distanz zur Politik. „Auch die föderale Struktur wird kritisiert, die viele Vorteile bietet, aber Doppelstrukturen und hohe Kosten verursacht“, so Sehl. Zentral dabei sei, dass man sich nicht von den Wünschen einzelner Gruppen oder nur der Kosteneffizienz leiten lasse, sondern vom Funktionsauftrag des ÖRR für die demokratische Gesellschaft. Der sei gerade in Zeiten von Fragmentierung, Polarisierung und Desinformation aktueller denn je. Die Berichterstattung müsse „den Grundsätzen der Objektivität, Unparteilichkeit, Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit“ folgen.

Der BR unterstütze die ARD-Reformagenda nachdrücklich, betonte Dr. Katja Wildermuth, Intendantin des Bayerischen Rundfunks (BR). So sei der BR federführend in der 2022 neu geschaffenen ARD-Koordination für Dokumentationen, einem „Schlüsselfeld für unsere Zukunft“. Es gelte, Kräfte zu bündeln. Zugleich bleibe es wichtiger denn je, sich auf regionale Eigenheiten zu konzentrieren. „In Unterfranken stellt sich die Trockenheit anders da als in Oberbayern. Heizen mit Holz sieht man in Bodenmais anders als in Bogenhausen.“ Wildermuth weiter: „Dort, wo demokratische Meinungsbildung stattfindet, müssen wir auch sein, also auch auf Tiktok.“ So sei die Tagesschau, die im Fernsehen jeden Tag 10 Millionen im Schnitt 63-Jährige erreiche, auf Tiktok die erfolgreichste Nachrichtenmarke, im Schnitt für 26-Jährige. Unterhaltung im BR seien die Wirtshausmusikanten oder die Welle BR Heimat, wo Musikgruppen aus Bayern einen Auftritt hätten, nach denen weder Pro7, noch Netflix oder Amazon je fragen würde. Ebenso die Tatorte aus Franken oder München, die mit 8,7 Millionen den stärksten Zuspruch seit zehn Jahren und bei den 14- bis 49-jährigen einen Marktanteil von 30 Prozent hätten.

Doppelstrukturen abbauen

In der anschließenden Fragerunde der Fraktionen wollte Winfried Bausback (CSU) Informationen, wie journalistische Objektivität im ÖRR angesichts zunehmender „Haltung“ bei Journalisten gesichert wird, auch aufgrund des jüngsten Fehlers der „funk“-Redaktion. Ein guter Journalist sollte sich auch mit der guten Sache nicht gemein machen, mahnte Christoph Degenhart. Kai Gniffke wies darauf hin, dass nun Maßnahmen entwickelt würden, um solche Verstöße künftig auszuschließen. Eine Studie solle ermitteln, wie vorurteilsfrei die Berichterstattung ist. Susanne Kurz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fragte, wie man soziale Härten bei den Gebührenzahlungen und andererseits Doppelstrukturen vermeiden könnte. Die Experten wiesen darauf hin, dass Beitragshärten in einem Massenverfahren eigentlich unvermeidbar seien, empfahlen aber weniger „Sturheit“ der GEZ. An den Doppelstrukturen werde im ÖRR bereits intensiv gearbeitet, es gebe bereits eine „Flottenstrategie“. Uli Henkel (AfD) erkundigte sich nach den „unmoralischen Altersbezügen“ des ÖRR und der geringen Bereitschaft in der Bevölkerung, die Gebühren zu zahlen. Die Altersbezüge sollten sich am Öffentlichen Dienst orientieren, empfahl Degenhart. Hohe Altersbezüge beträfen aber Altverträge vor 1993. Die Zahlungsbereitschaft für die Gebühren des ÖRR sei in der Tat geringer als die Zustimmung zu den Sendern, räumte Annika Sehl ein. Helmut Markwort (FDP) wollte wissen, wie man mehr bei Technik und Produktion einsparen könne. Die Experten erwiderten, dass aktuell auf Werkstätten und Fernsehstudios verzichtet werde sowie Teams reduziert würden. Inzwischen ersetzten kleine Rucksäcke die Ü-Wagen.

/Andreas v. Delhaes-Guenther

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