Ausstellung „IN MEMORIAM“ – Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen „Euthanasie“-Programms

23. Januar 2018

- Von Zoran Gojic -

MÜNCHEN.               Nach der verqueren Ideologie der Nationalsozialisten wäre es nicht denkbar, dass eine junge Frau mit mehrfachen Behinderungen das tun kann, was Michaela Haider im Bayerischen Landtag tat – sie spielte virtuos Chopin und Beethoven am Klavier. Besser als es viele andere könnten. In der Vorstellungswelt der Nazis freilich sollten nur geistig und körperlich „gesunde“ Menschen etwas zur Gesellschaft beitragen dürfen. Auf Anordnung von Adolf Hitler wurden zwischen 1939 und 1945 über 200 000 Menschen aufgrund ihrer geistigen oder körperlichen Behinderung ermordet – mit Hilfe von Ärzten und Wissenschaftlern.

Anlässlich des internationalen Gedenktags an die Opfer des Nationalsozialismus stellte der Landtag dieses Jahr die Toten des sogenannten „Euthanasieprogramms“ in den Mittelpunkt des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Den Auftakt bildete die Ausstellungseröffnung „IN MEMORIAM – Eine Ausstellung im Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen ‚Euthanasie‘-Programms“, die vom 23. Januar bis zum 2. Februar im Landtag zu sehen ist.
Irmgard Badura, Behindertenbeauftragte des Freistaats Bayern, mahnte dazu, nicht nur zu gedenken, sondern auch den Blick aufmerksam auf die Gegenwart zu richten. „Mir ist wichtig den unerträglich vielen Opfern des NS-Wahns würdig zu gedenken. Andererseits ist es mir ein großes Anliegen den Bogen in die heutige Zeit zu spannen. Wie sieht heute der Umgang mit Menschen mit Behinderung aus? Ist Teilhabe selbstverständlich und möglich?“
Auch Landtagsvizepräsident Reinhold Bocklet betonte in seinem Grußwort, das Erinnern sei immer auch ein Auftrag. „Gerade in Zeiten, in denen das ehrende Andenken an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft für manche nicht mehr selbstverständlich ist, sollten wir eine sehr klare Haltung einnehmen."

„Hungerdiät" für Menschen mit Behinderung

Moderiert von Claudia Decker erinnerten sich Zeitzeugen wie die 97-jährige Melitta Burger an die Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung. Burgers Mutter war wegen einer psychischen Erkrankung in eine geschlossene Anstalt verbracht worden, wo man sie verhungern ließ, wie Burger erst später erfuhr. Die Ärzte, die damals für die „Hungerdiät“ verantwortlich waren. leiteten die Anstalt auch nach dem Krieg. Burgers Mutter wog bei ihrem Tod nur noch 30 Kilogramm. Josef Mederer, Präsident des Bayerischen Bezirketags, wies auf die Verantwortung der Bezirke zur Aufbereitung der Geschichte hin, schließlich seien die Bezirke Träger der Anstalten, die damals am „Euthanasieprogramms“ teilgenommen hatten. „Wir gehen sehr offen damit um und erinnern beispielsweise an die ersten Transporte von Menschen mit Behinderung aus dem Bezirkskrankenhaus Haar. Aber es war ein langer Prozess, das stimmt. Aber wir müssen das aufarbeiten, das ist meine feste Überzeugung.“

Es waren nicht nur Einzeltäter

Professor Michael von Cranach, Kurator der Ausstellung, sah eines der großen Probleme im Verdrängen des „Euthanasieprogramms“ an. Erst ab 1980 hatte man sich in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Thema auseinandergesetzt. „Es gab keine Unterbrechung, die Ärzte und Pfleger waren ja dieselben die gleichen wie während des Krieges.“ Erst seit 30 Jahren beschäftige sich die deutsche Psychiatrie intensiv mit der Aufarbeitung dieser schrecklichen Taten. Kliniken dokumentieren ihre Vergangenheit, Historiker erhellen die Zusammenhänge, Mahnmale und Gedenkstätten wurden errichtet. Angehörige der ermordeten Kranken beginnen zu recherchieren und holen die Opfer in das Familiengedächtnis zurück. „Wir dachten anfangs, das wären einige Einzeltäter, aber das war die Elite der Ärzteschaft“, erklärte von Cranach. „Das waren christlich geprägte, differenziert denkende, humanistisch gebildete Menschen, die für diese unglaublichen Taten verantwortlich waren“. Auch wenn die Ereignisse heute aufgearbeitet werden, müsse man darauf achten, dass Menschen mit Behinderung auch heute noch aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. „Wir müssen von der Diskriminierung der Menschen mit Behinderung wegkommen, so wie es die UN-Behindertenkonvention fordert. Wir müssen weg von der Idee, dass Menschen mit Behinderung etwas fehlt. Sie sind anders, sie sind Ausdruck der Vielfalt des Lebens.“ Josef Mederer widersprach allerdings der Aussage, Behinderte würden immer noch in Ghettos leben. „Weg von der Fürsorge hin zur Teilhabe, das ist unser Motto. Und wir leisten hier viel. Jeder Mensch ist wertvoll, wir grenzen niemand aus. Hier lebt niemand in Ghettos.“
Dass es dennoch viel zu tun gibt bei der Inklusion von Menschen mit Behinderung, ließen die Wortmeldungen von Betroffenen aus dem Publikum ahnen. Es bleibt eine Herausforderung die Barrieren im Kopf zu überwinden. 

Die Ausstellung wurde für den 11. Weltkongress für Psychiatrie in Hamburg (1999) von Michael von Cranach und Katharina von Cranach konzipiert. Anhand von Original-Dokumenten schildert sie Planung, Durchführung und Konsequenzen des „Euthanasieprogramms“.



Die Ausstellung ist von 23. Januar 2018 bis 02. Februar 2018 jeweils Montag bis Donnerstag von 09.00 bis 16.00 Uhr und Freitag von 09.00 bis 13.00 Uhr zu besichtigen. Der Eintritt ist frei.


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