Landtagspräsidentin Aigner: „Wir sind noch nicht in Gänze die Gesellschaft, die wir sein wollen!“

Gedenkakt zu Ehren der Opfer des Nationalsozialismus 2021 in Würzburg

Montag, 25.01.2021
 

  • Der Bayerische Landtag und die Stiftung Bayerische Gedenkstätten haben heute in einem gemeinsamen Gedenkakt an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert.
  • Als Ort wurde aufgrund des Schwerpunktthemas Deportationen der im Juni 2020 eröffnete „DenkOrt Deportationen“ am Würzburger Hauptbahnhof gewählt.
  • Coronabedingt wurde der Gedenkakt in diesem Jahr in kleinem Rahmen ohne Gäste abgehalten.
  • Landtagspräsidentin Ilse Aigner: „Die Deportation war eine Reise in den Tod – bürokratisch organisiert, barbarisch durchgeführt. Machen wir uns den ideologischen Wahn gerade in diesem Jahr bewusst – 2021.“
     

MÜNCHEN/WÜRZBURG.                   Der Bayerische Landtag und die Stiftung Bayerische Gedenkstätten haben heute in einem gemeinsamen Gedenkakt an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Der Schwerpunkt lag in diesem Jahr auf dem Thema Deportationen. Deshalb haben sich Landtagspräsidentin Ilse Aigner und der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Karl Freller, entschieden, das Gedenken heuer in der Stadt Würzburg abzuhalten, wo im Juni vergangenen Jahres vor dem Hauptbahnhof der „DenkOrt Deportationen“ eröffnet wurde. Neben Landtagspräsidentin Ilse Aigner und Stiftungsdirektor Karl Freller sprachen der Oberbürgermeister der Stadt Würzburg, Christian Schuchardt, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, sowie die ehemalige Landtagspräsidentin Barbara Stamm bei dem Gedenkakt. Die Feierstunde endete mit einer Kranzniederlegung zu Ehren der Opfer.

Landtagspräsidentin Ilse Aigner erklärte in ihrer Rede: „In diesem Jahr haben wir uns am „DenkOrt Deportationen“ eingefunden. Er ist mitten im Leben. Bahnhof, Trubel, Verkehr. Ein Ort der Begegnung – heute. Damals war es nicht anders. Die Deportationen geschahen offen – sichtbar. Die Deportation war kein Umzug. Sie war eine Reise in den Tod – bürokratisch organisiert, barbarisch durchgeführt. Die Menschen sollten ausgelöscht werden – aus der Gesellschaft, der Kultur, dem kollektiven Gedächtnis. Machen wir uns den ideologischen Wahn gerade in diesem Jahr bewusst – 2021.“ Und mit Blick auf demokratiefeindliche Strömungen in unserer Gesellschaft mahnte Aigner: „Wir sind noch nicht in Gänze die Gesellschaft, die wir sein wollen. In jeder Generation müssen wir neu anfangen, dem Erinnern eine positive Kraft zu geben. Es kann kein Ende der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus – mit dem Holocaust – geben. Im Gegenteil: Es gibt nur immer wieder neue Anfänge.“

Der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, Karl Freller wandte sich gegen jegliche Relativierungsversuche: „Das heutige Gedenken gilt besonders den ehemaligen Mitbürgern der Stadt Würzburg und aus Unterfranken, denen in den Jahren 1941-1944 ihr Recht auf Leben genommen wurde. Es sollte nichts mehr an die 2069 Menschen erinnern, an die Mütter, Väter, Kinder, an diese Menschen aus Bayern. Denjenigen, welche die damalige Situation völlig deplatziert und bösartig mit den Vorkehrungen in der derzeitigen Pandemie vergleichen, sei gesagt: Die Männer, Frauen und Kinder, von denen hier die Rede ist, wurden am Würzburger und Kitzinger Bahnhof in Züge gesetzt und ‚wegtransportiert‘ – die Ziele hießen unter anderem Theresienstadt, Izbica und Auschwitz-Birkenau. Dort wurden sie in Lagern inhaftiert und ermordet. […] Jedes Land braucht eine Gedenkkultur, eine Erinnerung an die Vergangenheit. Sie ist die Basis für die Gestaltung der Zukunft.“

Der Würzburger Oberbürgermeister Christian Schuchardt ging in seinen Gedenkworten auf die Erinnerungsarbeit in der unterfränkischen Stadt ein: „Der Würzburger Hauptbahnhof war selbst Schauplatz von zwei Deportationen. Hier, wo sich täglich viele Menschen aus freien Stücken auf eine Reise begeben, erinnern wir an unsere Mitbürger, für die es keine Rückkehr mehr gab. Das Denkmal ist ein wertvoller Beitrag zu der vielfältigen, lebendigen Würzburger Erinnerungskultur im Zusammenhang mit der Shoa. […] Die erschreckende Zunahme rassistisch und antisemitisch motivierter Straftaten, von der Hassrede im Internet bis hin zu den Mordanschlägen von Halle und Hanau, zeigt eindringlich, wie notwendig es ist, die Erinnerung an die beispiellosen Verbrechen wachzuhalten, zu denen dieser menschenverachtende Ungeist in unserem Land schon einmal geführt hat“

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster, sprach als Vertreter aller Opfergruppen. Er schilderte das Leid, das seine Familie unter den Nationalsozialisten zu erdulden hatte und forderte größere Anstrengungen bei der Vermittlung von Kenntnissen über die Shoa und die NS-Zeit: „Was jedoch generell das Wissen über den Nationalsozialismus und die Shoa angeht – da bin ich manchmal erschüttert. Erschüttert über die Lücken, über die Defizite. Weder sind in der Breite der Bevölkerung die Fakten bekannt, noch kennen die Jüngeren die Verstrickung ihrer Großeltern und Urgroßeltern in die NS-Verbrechen. Wenn hier nicht bald mehr Sensibilität erzeugt wird, dann darf sich Deutschland schon in naher Zukunft nichts mehr einbilden auf seine vorbildliche Aufarbeitung der Nazi-Zeit. Denn diese Aufarbeitung muss in jeder Generation neu geleistet werden.“

Die ehemalige Landtagspräsidentin und Würzburgerin Barbara Stamm schließlich sprach die Schlussworte des Gedenkakts in Form eines Gebets: „Wir verbeugen uns vor denen, derer wir gedenken. Wir geben denen, die ihrer Stimme und ihres Lebens beraubt wurden, unsere Stimme, unsere Erinnerung. Wir halten uns die Menschen vor Augen, die ausgelöscht wurden. Das erfüllt unser Herz mit Scham. Und es schärft unser Gewissen mit der festen Einsicht, dass wir Zukunft nur gewinnen können, wenn wir dem Vergangenen aufrichtig begegnen und den Opfern die Ehre geben.“

Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen auf Grund des Lockdowns sollte zum Tag der Opfer des Nationalsozialismus, der jedes Jahr in Erinnerung an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz im Januar stattfindet, auch heuer ein sichtbares Zeichen gegen Antisemitismus und jede Form von Diskriminierung und Rassismus gesetzt werden. Coronabedingt konnte der Gedenkakt nur in kleinem Rahmen ohne Gäste stattfinden.

Jugendliche aus Würzburg gestalteten den Gedenkakt mit. Musikalisch wurde die Feier von einem Bläserduo des Matthias-Grünewald-Gymnasiums Würzburg sowie einem Bläserquartett der Musikhochschule Würzburg umrahmt. Schülerinnen und Schüler der Gustav-Walle-Mittelschule Würzburg trugen berührende Texte zu Schicksalen von Opferfamilien vor und vermittelten das Leid der Betroffenen in eindringlicher Weise.

Pressefotos des Gedenkakts in Würzburg können kostenlos heruntergeladen werden unter www.bayern.landtag.de/aktuelles/presse/pressefotos/.

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