Handlungsbedarf – Die Gestaltung der freiheitlichen Demokratie im 21. Jahrhundert

Dienstag, 6. Dezember 2016
– Von Miriam Zerbel –

Das Erstarken von Rechtspopulisten und der Brexit, die Krise der EU und Fremdenfeindlichkeit –  unsere Demokratie wird in jüngster Zeit von antipluralistischen und illiberalen Kräften herausgefordert und bedroht. Wie soll die freiheitliche Demokratie im 21. Jahrhundert darauf reagieren? Der frühere Bundesinnenminister Gerhart R. Baum, engagierter Verteidiger der Menschen- und Bürgerrechte, sieht Handlungsbedarf.

Wie gewohnt luden der Bayerische Landtag und die Akademie für Politische Bildung zum Akademiegespräch in das Maximilianeum nach München ein. Mehr als 250 Gäste folgten nach der Begrüßung durch Landtagsvizepräsidentin Inge Aures zunächst den einführenden Worten von Akademiedirektorin Ursula Münch, bevor Gerhart Baum, ehemaliger Bundesinnenminister ein leidenschaftliches Plädoyer für die Demokratie ablegte.

Zuversicht weicht Besorgnis

„Die Selbstzufriedenheit ist der Sorge um die Entwicklung der Demokratie gewichen“, mit diesem Satz begründete die Akademiedirektorin das Thema des Abends. Demokratie ist ein dynamisches System, verbunden nicht nur mit gesellschaftlichen Rahmenbedingen, dem öffentlichen Kommunikationsraum und dem materiellen Rechtsstaat, wie Münch formulierte. Auch transnationale Akteure fordern demnach die Demokratie heraus. Es gehe beispielsweise um die Fragmentierung der öffentlichen  Diskurse durch die Digitalisierung oder die von Teilen der Bevölkerung geforderte „starke Hand“.

Demokratie ist in Vertrauenskrise

Die Demokratie ist widerstrebenden Erwartungen ausgesetzt. Sie muss sich behaupten zwischen dem Streben der Bürgerinnen und Bürger nach freier Entfaltung und Selbstbestimmung einerseits  und dem Anspruch auf Sicherheit jedes einzelnen andererseits. „Wir leben in unsicheren Zeiten“, so das Credo des früheren Bundesministers des Inneren, Gerhart Baum, der als liberales Urgestein gilt. Den Beginn dieser Unsicherheit und den Anfang einer Zeitenwende kann Baum genau verorten. Seit dem Jahr 2008, mit dem Zusammenbruch der Finanzmärkte, sei das Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit der Politik geschwunden. Die Situation hat sich seitdem zugespitzt: Flüchtlingsströme durch Kriege und Hunger werden kein vorübergehendes Phänomen bleiben, der Klimawandel bedroht die Erde, Europa steckt in der Krise, durch die IT-Revolution stehen fundamentale Veränderungen bevor, Cyberwar ist eine neue Art, Kriege im und um den virtuellen Raum zu führen und die Terrorismusgefahr steigt. Dass die repräsentative Demokratie in einer Vertrauenskrise steckt, macht Baum an verschiedenen Signalen wie einer um sich greifenden Politikerverachtung und einer steigenden Zahl von Nicht-Wählern fest. Sorge bereitet ihm auch eine Studie des demoskopischen Instituts Allensbach, wonach Teile der Mittelschicht zunehmend verrohen und 28 Prozent der Bundesbürger eine Neigung zum Extremismus aufweisen.

Baum fordert: Haltung zeigen

Der Liberale sieht jedoch nicht nur Schatten, sondern auch Licht, nämlich dann, wenn die Politiker sicherstellen, dass die Unantastbarkeit der Menschenwürde garantiert ist. Wie aber verteidigen wir die Demokratie und gewinnen Glaubwürdigkeit zurück? Für den Ex-Minister muss zum einen die Gesellschaft Haltung zeigen und die Politik sollte sich zum anderen mit den Ängsten der Menschen offen auseinandersetzen. Selbst Protestwähler könnten die Demokratie mobilisieren. Mit Blick auf den designierten neuen US-Präsidenten setzt Baum sogar auf den „Trump-Effekt“: „Dadurch werden die Gefahren für die Demokratie sichtbarer.“ Trotz aller aufgezeigten Missstände, gab sich Baum schließlich zuversichtlich. „Deutschland ist stark genug, um die Krisen zu bekämpfen“, sagte der Jurist. „Wir müssen nur das Grundgesetz leben.“

Politiker sollen streiten für ihre Überzeugungen

Doch wie kann den Ängsten der Bürger begegnet, wie die Befürchtungen der Bevölkerung thematisiert werden? Auf diese Fragen in der anschließenden Diskussion im Landtag antwortete Baum mit einem einfachen Rezept: „Politiker sollten brennen für ihre Themen, für ihre Überzeugung mit Argumenten streiten.“ Baums Plädoyer, die Demokratie lebendiger zu gestalten, wirkte sich unmittelbar auf die Zuhörer aus. So kamen aus dem Publikum etliche Anregungen wie beispielsweise der Vorschlag, bei der Aufstellung von Kandidaten die Bürger mitwirken zu lassen oder die Erfahrung von Flüchtlingen zu nutzen, um die Demokratie positiv zu beleuchten. Zentrale Erkenntnis des Akademiegesprächs: Vertrauen aufbauen oder zurückzugewinnen ist unabdingbar, für die Demokratie und die Politiker.

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