Die Macht der Algorithmen – Selbstbestimmung trotz(t) digitaler Revolution

Dienstag, 11. November 2014
– Von Sebastian Haas –

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte für ihre Bemerkung, das Internet sei „Neuland" viel Spott geerntet. Zu Beginn des Abends stellte Landtagspräsidentin Barbara Stamm in ihrem Grußwort aber klar:

„Tatsächlich ist vieles von dem, was im Internet passiert, nicht nur für meine Generation schwer zu durchschauen. Manches ist technisch komplex – und manches ist auch bewusst intransparent gestaltet. Was passiert eigentlich mit unseren Daten? Reicht es, wenn wir sparsam sind mit der Preisgabe von persönlichen Informationen im Internet? Oder brauchen wir neue gesetzliche Regelungen, um unsere Selbstbestimmung auch in Zeiten der Massendatensammlung und der intelligenten Maschinen zu verteidigen?" Diese Fragen gelte es an diesem Abend zu klären.

Neben vielen Annehmlichkeiten bringt die digitale Revolution auch Gefahren mit sich. Dabei geht es nicht nur um ausufernde Überwachung, sondern um ein künstliches Datennetz, das durch lern- und anpassungsfähige Algorithmen eine Art Parallelwelt schafft, die der Mensch kaum noch versteht. Die Algorithmen analysieren, was uns wichtig ist. Sie filtern, welche Informationen uns zur Verfügung gestellt werden – und welche nicht. Unsere digitalen Fußspuren werden in einen personalisierten Kontext gebracht, um so Aussagen über ein künftiges Verhalten zu treffen. Das gefährdet die Freiheit der Kommunikation und  die Freiheit selbst.

Zum 49. Akademiegespräch im Landtag hatten Landtagspräsidentin Barbara Stamm und Akademiedirektorin Ursula Münch daher zwei engagierte und couragierte Gäste auf das Podium im Maximilianeum geladen: Yvonne Hofstetter, Autorin und Managing Director von Teramark Technologies und Bundesjustizministerin a.D. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Die Diskussionsrunde über gesellschaftliche und politische Konsequenzen der Macht der Algorithmen verfolgten etwa 240 Gäste im Senatssaal des Bayerischen Landtags.    

Yvonne Hofstetter führte ein in den Entwicklungsstand und das Potenzial von Datenfusion und künstlicher Intelligenz. Big data ist für sie nichts anderes als das unentwegte Sammeln von Daten, einer Analyse der Situation und anschließender Handlungsempfehlungen – und zwar in einer Schnelligkeit, die das menschliche Gehirn kaum noch nachvollziehen kann. AWACS-Aufklärungsflugzeuge oder Finanzmarktanalysen funktionieren so, aber das ist (scheinbar) noch weit von unserem Leben entfernt.

Ganz anders stellt sich die Situation aber dar, wenn Algorithmen zum Beispiel in sozialen Netzwerken unsere Familienverhältnisse, unseren Wohnort, unser Arbeitsverhältnis und unsere Rechtschreibung analysieren, Themendossiers erstellen und entscheiden: Bekomme ich noch einen Kredit? Darf ich mir das Schnitzel bestellen – oder nur einen Salat? Nicht auszuschließen ist dabei, dass Algorithmen auch Fehler machen oder manipuliert werden können. Das Bild, das Yvonne Hofstetter von der technologisierten Gesellschaft zeichnete, war ein düsteres: Wir geben unsere Daten zum großen Teil freiwillig her, nutzen Google Glass, lassen von intelligenten Heizungssensoren die Raumtemperatur im Schlafzimmer kontrollieren, lassen uns von Drohnen Pakete ausliefern. Wer das alles nicht will, dem droht schon jetzt die Stigmatisierung: Hat er oder sie etwa etwas zu verbergen?

Recht auf Nicht-Teilnahme an der digitalen Welt

All das sind Formen freiwilliger oder unbewusster Überwachung, für die große Firmen wie Google und Facebook jährlich Milliarden ausgeben, und gegen die der Staat kaum etwas tun kann oder will. Yvonne Hofstetter formulierte daher drei Rechte, die Politik, Gesellschaft und Wirtschaft am besten im Gleichschritt verwirklichen sollten: Erstens das auf Gegenregulierung der digitalen Revolution, zweitens das auf Kontrolle der eingezogenen Daten, drittens das der Nicht-Teilnahme an der digitalen Welt.

Damit war Yvonne Hofstetter völlig im Einklang mit der ehemaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie war 1996 aus diesem Amt zurückgetreten, weil sie das Mitgliedervotum der FDP zum Großen Lauschangriff nicht mittragen konnte. Seit dem Ende der schwarz-gelben Koalition 2013, in der sie wieder als Bundesjustizministerin wirkte, setzt sie sich unter anderem als Mitglied des sogenannten Lösch-Beirats bei Google für das Recht auf Vergessen ein. Beim Akademiegespräch im Landtag machte sich Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ganz zur Fürsprecherin für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und einer rundum erneuerten gesamteuropäischen Datenschutzrichtlinie.

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