"FiP! Frauen in Parlamente"
Der Plenarsaal voller begeisterter Frauen – beim 3. Kongress für politisch engagierte Frauen
22. März 2025
MÜNCHEN. Vor den Kommunalwahlen im Frühjahr kommenden Jahres hat Landtagspräsidentin Ilse Aigner parteiübergreifend politisch interessierte Frauen aus ganz Bayern in den Landtag eingeladen. Ziel war es, ihnen Mut zu machen, zu kandidieren und die Teilhabe von Frauen in der bayerischen Politik zu stärken.
Die Resonanz auf die Einladung ist groß: Der Plenarsaal des Landtags ist nicht nur bis auf den letzten Platz besetzt, sondern auch sehr viel bunter als sonst. Von gelb über grün bis pink leuchtet die Kleidung der Teilnehmerinnen – und das freut die Landtagspräsidentin, der dieser Kongress "FiP! Frauen in Parlamente" ein Herzensanliegen ist. "Zu wenige weibliche Stimmen in den Gremien sind schlecht, weil die weibliche Stimme nicht gehört wird. Und deswegen müssen wir daran arbeiten", sagte Aigner zur Begrüßung der mehr als 300 Frauen im Plenum des Landtags.
Ilse Aigner: Beim Frauenanteil „deutlich Luft nach oben“
Die Präsidentin gab zu, dass es auch Rückschritte gegeben habe. Im Bayerischen Landtag sind nur 24,6 Prozent der Abgeordneten Frauen. Damit ist der Freistaat im Ländervergleich das Schlusslicht. Auch im neuen Bundestag ist der Frauenanteil mit 32,4 Prozent sogar erstmals gesunken, um 2,4 Prozentpunkte. Auch auf Bundesebene sind weniger Frauen im Parlament als in vielen anderen europäischen Staaten. Den Zahlen des Statistischen Bundesamts zufolge sieht es zudem auf kommunaler Ebene und in den Länderparlamenten nicht viel anders aus. Der Frauenanteil liegt knapp unter einem Drittel. "Wir haben zehn Prozent Bürgermeisterinnen", erklärte die Landtagspräsidentin mit Blick auf Bayern. “Da haben wir noch deutlich Luft nach oben.”
Marathon statt Sprint
Dass mehr möglich sei, zeige der Blick auf "leuchtende Beispiele" wie Angela Merkel als langjährige Bundeskanzlerin oder Ursula von der Leyen als wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin. Heftigen Applaus erhielt Aigner nach der Schilderung ihrer eigenen politischen Lebenserfahrung: "Das ist kein Sprint. Das ist ein echt ziemlich langer Marathonlauf. Man braucht gute Kondition und man muss einige Strapazen auf sich nehmen, aber die Ziellinie ist alles wert, nämlich die Gleichstellung von Frauen in Parlamenten. Und dafür kämpfen wir alle gemeinsam." Der dritte FiP-Kongress solle Frauen ermutigen, sich einzumischen, wenn am 8. März 2026 - bezeichnenderweise am Weltfrauentag - die Vertretungen in den Städten, Gemeinden und Landkreisen neu gewählt werden.
Mehr Selbstbewusstsein zeigen
Mit Verweis auf die gute Ausbildung und die Bildungsabschlüsse von Frauen sowie ihre starke Vertretung im Ehrenamt, appellierte die Landtagspräsidentin an die Teilnehmerinnen, keine falsche Bescheidenheit, sondern Selbstbewusstsein zu zeigen. Sie räumte aber auch ein, dass der Ton rauer geworden sei. Einer Studie von HateAid und der TU München zufolge wurde 63 Prozent der politisch aktiven Frauen in den sozialen Medien Gewalt angedroht. Beleidigungen oder auch Angriffe auf Politikerinnen zum Beispiel am Infostand im Wahlkampf müssten konsequent strafrechtlich verfolgt werden, sagte Aigner. Auch ihr sei es anfangs schwer gefallen, sich ein dickes Fell zuzulegen - aber meist richte sich die Kritik gegen das Amt, nicht gegen die Person, so die Präsidentin.
Profitieren von Tipps und Tricks
Wenn man aber im Amt sei, gebe es viele Möglichkeiten, das Lebensumfeld zu gestalten. Aigner erinnerte sich an ihr Engagement in der Kommunalpolitik: “Für mich war das eine große Bereicherung. Meine Motivation war, für die Jugend etwas zu tun. Das hat mir auch ganz viel persönlich gebracht, dass man mit Engagement Dinge verändern und voranbringen kann. Das ist erfüllend für das eigene Leben.” Aigners Appell an die Teilnehmerinnen: Den Kongress zu nutzen, um sich zu vernetzen und auszutauschen sowie von den Tipps und Erfahrungen der anwesenden Kommunalpolitikerinnen zu profitieren.
"Bavaria ruft!" inspiriert von “Helvetia ruft!”
Auch eine neue Initiative namens "Bavaria ruft!" soll mehr Frauen für Politik begeistern - eine gedankliche Anleihe bei den Schweizer Nachbarinnen. Mit der Initiative "Helvetia ruft!" hat die Ständerätin Maya Graf dazu beigetragen, dass mehr Frauen im Schweizer Nationalrat sitzen. Graf, die auch Co-Präsidentin des größten schweizerischen Frauendachverbandes alliance f ist, der rund 400.000 Frauen vertritt, berichtete von ihrer Erfolgsgeschichte mit der Kampagne "Helvetia ruft!". Die überparteiliche Bewegung ist 2019 entstanden. In diesem Jahr gelang es, auch angeschoben durch die MeToo-Debatte, den Frauenanteil im Nationalrat von 33 Prozent auf 42 Prozent zu erhöhen. Auch wenn bei den Nationalrats-Wahlen 2023 der Anteil weiblicher Abgeordneter auf 38,5 Prozent gefallen ist, versicherte Graf: "Die Frauen sind gekommen, um zu bleiben." Große Heiterkeit im Publikum verursachten die Worte von Graf, wonach noch 2008 mehr Männer mit Vornamen Hans Gesetze in der Schweiz beschlossen hatten als insgesamt Frauen an der Gesetzgebung beteiligt waren.
Tipp: Öffentlichen Druck aufbauen
Mit einem Drei-Punkte-Plan hat "Helvetia ruft!" überparteilich die Frauenförderung vorangebracht. Zunächst ging es darum, die Parteien dazu zu bewegen, den Frauen einen guten Listenplatz einzuräumen. Dazu hatte die Initiative eine Analyse der Nominierungen veröffentlicht, wo und wie viele Frauen auf der Liste zu finden sind- ein Wettbewerb, der zum Selbstläufer wurde. Zudem hatte die Kampagne eine Wette mit einer großen Schweizer Tageszeitung abgeschlossen und Mentoring-Selbstverpflichtungen der jeweiligen Parteien dokumentiert. Schließlich gab es Schulungen für interessierte Frauen beispielsweise zum Umgang mit sozialen Medien und auch Hate Speech. "Es ist extrem wichtig, gerade in dieser Zeit, unsere Demokratie zu stärken", so Graf. "Das können wir nur, wenn die Hälfte der Bevölkerung genau gleich überall vertreten ist und ihre Machtansprüche geltend macht."
Mangelnde Teilhabe ist historisches Relikt
Was können wir verändern, wenn wir uns trauen und Hindernisse aus dem Weg räumen? Mit dieser Frage beschäftigte sich Franziska Rauchut von der Bundesstiftung Gleichstellung. Die Leiterin des Bereichs Wissen, Beratung und Innovation machte deutlich, dass die mangelnde Teilhabe von Frauen an der Politik ein historisches Relikt ist. Seit der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland 1919 gab es in keinem Parlament eine Vertretung von Frauen und Männern zu gleichen Anteilen. Bis in die frühen 1980er Jahre lag der Frauenanteil im Bundestag bei weniger als zehn Prozent. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland auf Platz 44 (Stichtag 1. Februar 2025), noch nach vielen europäischen Ländern. Weltweit an der Spitze sind Ruanda (63,8 %), Kuba (55,7 %) und Nicaragua (55,0 %).
“Wenn der Karren im Dreck steckt, dürfen Frauen ihn rausholen”
Zu den Ursachen sind nach Rauchuts Worten eindeutige Aussagen möglich. Strukturelle Hürden gebe es bei der Besetzung aussichtsreicher Positionen. Frauen würden hier oft übergangen. Kulturelle Barrieren sieht Rauchut in innerparteilichen, männlich geprägten Strukturen, die Frauen auf weibliche Themen reduzierten. Frauen werden demnach auch häufig dann aufgestellt, wenn ein Mandat als wenig aussichtsreich gilt. "Wenn der Karren im Dreck steckt, dann dürfen die Frauen ihn wieder rausholen", so Rauchut. Soziale Ursachen wie Intrigen, Druck und familienunfreundliche Arbeitszeiten führten dazu, dass Frauen ein Amt ausschlagen, ebenso Angriffe und Gewaltandrohung.
Veränderungen für Gleichberechtigung nötig
Stellschrauben sieht die Expertin in zahlreichen strukturellen Veränderungen: Überwindung des gender pay gap, keine Hinterzimmergespräche sowie familienfreundliche Sitzungszeiten. Ein kultureller Wandel hin zu aktiver Förderung von Frauen und rechtliche Regelungen wie Frauenquoten könnten Benachteiligungen überwinden. Ein wichtiges Thema sieht Rauchut zudem in der Bildung und Sensibilisierung. Traditionelle Rollenbilder müssten hinterfragt, Studien und Vernetzung zum Thema angeboten werden. "Die Hälfte der deutschen Bevölkerung ist weiblich. Wenn Frauen nicht gleichberechtigt vertreten sind, bleibt das Potential einer vielfältigen Demokratie ungenutzt", sagte Rauchut. "Wenn Politik ungenau wird, werden die Menschen unzufrieden."
Vorbildfunktion von Frauen in Spitzenpositionen
Moderiert von der BR-Journalistin Ursula Heller beschäftigten sich sechs Frauen bei einer Podiumsdiskussion mit der Frage, wie moderne Gleichstellungsarbeit zu mehr Macht und Einfluss führen kann. Die Gleichstellungsarbeit sei nach wie vor unterbewertet und kaum wertgeschätzt, beschwerte sich Dr. Andrea Rothe vom Münchner Kreis der Gleichstellungsbeauftragten. Die Schweizer Ständerätin Maya Graf verwies auf ihre Beobachtung: "Wenn einmal Frauen in einflussreichen Positionen sind, dann zieht das andere Frauen nach." Deshalb sei es wichtig, dass Spitzenpositionen von Frauen besetzt werden.
Bei der CSU in Unterfranken sei die Parität recht gut erreicht, versicherte MdL Barbara Becker von den Christsozialen. Die Aufstellungsverfahren seien sehr transparent. Die Landtagsabgeordnete Simone Strohmayr (SPD) kritisierte dagegen die Gleichstellungspolitik in Bayern als Schnecke, die zudem rückwärts krieche. Strohmeyer sprach sich für eine Frauenquote aus. Ein Forderung, der sich auch die Abgeordnete Julia Post (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) anschloss. Handlungsbedarf gebe es zudem bei der Gestaltung von Sitzungen, in denen häufig nur "gelabert" werde. Für Hybridsitzungen, also sowohl die Teilnahme vor Ort als auch die digitale Teilnahme, sprach sich die FREIE WÄHLER-Abgeordnete Marina Jakob aus. Und forderte zudem: “Frauen müssen Frauen wählen.”
Workshops, um Hürden zu überwinden
In praxisorientierten Workshops beschäftigten sich die Teilnehmerinnen am Nachmittag mit Themen, die Barrieren und Hürden für ihre Teilhabe an der Politik bilden. Im Austausch mit erfahrenen Referentinnen und einem Referenten ging es um den souveränen Umgang mit Hate Speech und "blöden Sprüchen", die Balance zwischen Beruf, Familie und Engagement in der Politik, Resilienz sowie strategisches Netzwerken und Gleichstellungsarbeit.
Tipps und Tricks aus der Praxis
Mit einer "Roadmap Gegenwind" wendeten die Teilnehmerinnen des Workshops "Beim Foul fängt der Spaß erst an" von der Rhetorikerin Kia Böck Tipps und Kniffe an, wie Kommunikation auf Augenhöhe funktioniert: Kein "aber" äußern, sondern das Gegenüber durch aktives Zuhören würdigen, ein "ja, genau" erreichen und auf eine Blickrichtung kommen – so das Rezept der Coachin.
Das Training der Psychologin Barbara Eggers "Aufstehen, Krone richten, weiter kandidieren" stärkte die Widerstandskraft und sorgte für die Fähigkeit, sich das von der Landtagspräsidentin beschriebene "dicke Fell" zuzulegen. Der Trick: sich auf einen "Anker" als Kraftquelle, auf das Thema, das einen bewegt, besinnen.
Um praktische Hinweise und Erfahrungen wie Kinderbetreuung ging es im Workshop "Da hab ich schon was vor" von Cécile Weidhofer, Direktorin der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin.
Strategien zum Umgang mit Online- Beleidigungen lieferten David Beck, Beauftragter der bayerischen Justiz zur strafrechtlichen Bekämpfung von Hate Speech und die Professorin Hannah Schmid-Petri, Inhaberin des Lehrstuhls für Wissenschaftskommunikation Universität Passau mit dem Training "Wir sind stärker als der Hass!"
Von ihren persönlichen Karrierewegen und Erfolgen aber auch von Rückschlägen berichteten abschließend erfolgreiche Frauen aus der Kommunalpolitik in einem Podiumsgespräch – in der Hoffnung, dass es ihnen spätestens bei den Kommunalwahlen im kommenden Jahr möglichst viele Frauen gleichtun werden.
/ Miriam Zerbel