Festakt im Landtag zu „20 Jahre Bürgerbegehren“

Mittwoch, 3. Februar 2016
Von Isabel Winklbauer

Eine „Vorherrschaft von Berufsquerulanten“ und die ständige Blockade von Wirtschaftsprojekten, so lauteten die düsteren Prognosen der Gegner, als das Gesetz zum kommunalen Bürgerentscheid per Volksentscheid am 1. Oktober 1995 beschlossen wurde. Entgegen aller damaligen Befürchtungen sollte es aber nicht das Ende der Demokratie einläuten. Im Gegenteil: Der vom

Verein „Mehr Demokratie e.V.

initiierte Volksentscheid wurde zum Riesenerfolg und verschaffte den Bayern ein wirksames demokratisches Mittel, um im politischen Prozess mitzuentscheiden: Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Das 20-jährige Jubiläum

dieses plebiszitären Elements wurde gestern im Landtag mit einem wort- und meinungsfreudigen Festakt gefeiert.

Demokratie könne durchaus schwierig sein, stellte Landtagspräsidentin Barbara Stamm in ihrem Grußwort vor den rund 300 Gästen im Senatssaal des Maximilianeums fest. Bürgerbegehren und Bürgerentscheide seien inmitten der herrschenden Trends von sinkenden Wahlbeteiligungen und wachsender Politikskepsis stets ein Anlass für Politiker, zu überdenken, wie ernst sie die Sorgen und Ängste der Bürger nehmen und wie sie diese in ihre Entscheidungen einbinden wollten. „Der Dialog muss eigentlich viel früher stattfinden, und er muss transparenter stattfinden“, erklärte sie. „Wenn ich da an das Freihandelsabkommen mit den USA denke, wo der Bundestagspräsident dafür kämpfen muss, dass die Abgeordneten informiert werden, bevor sie entscheiden!“

Bayern – bundesweiter Spitzenreiter in Sachen direkte Demokratie

Rund 2670 Bürgerbegehren und Ratsreferenden führten seit 1996 zu mehr als 1600 Bürgerentscheiden, meldete Stamm. Damit ist Bayern bundesweiter Spitzenreiter in Sachen direkte Demokratie! Die meisten Verfahren wurden in Oberbayern eingeleitet, die engagiertesten Städte waren Augsburg und München. Vor allem für Wirtschafts- und Verkehrsprojekte interessieren sich die Bürgerinnen und Bürger. Man erinnere sich: Die Untertunnelung des Mittleren Rings (1996) entsprang ebenso dem Willen der Münchner wie der Bau des Fußballstadions in Fröttmaning (2001). Andere berühmte Entscheidungen sind die Ablehnung der dritten Startbahn am Flughafen Erding (2012) und die Ablehnung der Olympischen Spiele durch Garmisch-Partenkirchen, Traunstein und Berchtesgaden (2013).

Dass Bürgerbegehren aber auch tatsächlich schwierig werden können, berichtete Alexandra Czarnec, die Bürgermeisterin der Gemeinde Ammerthal in der Oberpfalz. Die Anführerin einer unabhängigen Wählergemeinschaft unterstützte einen Bürgerentscheid ihrer Gemeindemitglieder, dem gemäß sie sich von einem bestimmten Wasserversorger beliefern lassen wollten – doch die Mehrheit des Gemeinderats stellte sich dagegen und zermürbte die Gegner mit einem konträren Bürgerbegehren nach dem anderen. „Das ging hin bis zu Drohanrufen und Fäkalien vor meiner Haustür“, so Czarnec. Für sie jedoch kein Grund, das Bürgerbegehren in Frage zu stellen: „Da muss man durchhalten.“

Für eine Diskussionsrunde aus Günther Beckstein (Bayerischer Ministerpräsident a.D.), dem Verfassungsrichter Klaus Hahnzog, dem Mehr-Demokratie-Mitgründer Gerald Häfner und dem 1995-er-Initiator Thomas Mayer stand denn auch fest, dass man beim Bürgerbegehren noch ein wenig nachbessern könnte: „Quorum abschaffen“, forderten alle vereint – sogar der einstige Gegner Günther Beckstein – und wünschten sich somit eine generelle Gültigkeit von Bürgerentscheiden, auch ohne Mindestbeteiligung. Debatten entspannen sich hingegen bei der Bindungsfrist: Ein Bürgerentscheid kann ein Jahr lang nicht angefochten werden, ein Gemeinderatsbeschluss gilt für immer. Daraus lassen sich für den Geschmack von Häfner viel zu viele politische Winkelzüge ableiten. Beckstein dagegen hält dies immer noch für die unriskantere Lösung als das Gegenteil, also eine unbegrenzte Unanfechtbarkeit, die eine Flut von Gegenentscheiden provoziere. 

„Direkte Demokratie macht glücklich



Dass Bürgerbegehren manchmal nicht gerade ein Freudenfest für Politiker sind, brachte zu Beginn  auch Ex-Oberbürgermeister Christian Ude aufs Tapet. Der Dialog mit dem Volk sei ein „Geworfensein des Bürgermeisters in die Tiefen der Bürgernähe“, zitierte er den Präsidenten des Deutschen Städtetags und ausgemachten Bürgerbegehren-Gegner Manfred Rommel. Sicher ist: Direkte Demokratie macht glücklich. Das Bewies der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Bruno S. Frey, der Studien über Schweizer Kantone mit unterschiedlichen Berechtigungsstufen der direkten Demokratie analysiert hatte. Fazit: Es gibt einen positiven Zusammenhang von direkter Demokratie und Glück, unabhängig von Einkommen und Kultur. „Vor allem das Mitwirkungsrecht spielt dabei eine Rolle, nicht die tatsächliche Mitwirkung am Bürgerentscheid“, erklärte Frey. Und folgerte, wie auch alle anderen Bühnengäste, dass das Maß der Beteiligung keine Rolle spielen dürfe. Weg mit dem Quorum – hierin sind sich alle einig.

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