Delegation aus Québec zu Besuch in Bayern

9. Oktober 2016

- Von Dr. Anton Preis, Zoran Gojic, Ina Friedl -



Würzburg / München.   Landtagspräsidentin Barbara Stamm empfing am Sonntag eine parlamentarische Delegation aus Bayerns Partnerregion Québec in der Würzburger Residenz. Die Abgeordneten der Assemblée nationale du Québec unter Leitung ihres Präsidenten Jacques Chagnon wird eine Woche lang Bayern bereisen und dabei auch im Landtag an gemischt-parlamentarischen Sitzungen zu den  Themen

„soziale, kulturelle, sprachliche und Bildungsintegration der Flüchtlinge in Bayern“, „Der Blaue Engel und die Beschriftung in Deutschland sowie Bayern“ und Innovation, Energie-Entwicklung und grüne Technologien teilnehmen.

Barbara Stamm verlieh in ihrem Grußwort ihrer Freude Ausdruck, die Delegation in ihrer Heimatstadt Würzburg empfangen zu dürfen: „Es ist etwas Besonderes, wenn man eine hochrangige Delegation aus dem Ausland einmal nicht in München begrüßt. Und ich bin froh, dass die Abgeordneten aus Québec sich dazu bereit erklärt haben, mehr von Bayern kennen zu lernen.“

Die seit 1999 bestehende parlamentarische Partnerschaft zwischen den Volksvertretungen von Bayern und Québec würde immer besser und intensiver erklärte Stamm. „Es gibt so eine Art Seelenverwandtschaft zwischen uns. Sowohl Bayern als auch Québec sind heute High-Tech-Standorte, aber vor nicht allzu langer Zeit waren sie eher rückständige Agrarländer. Beide Regionen sind weltoffen und gleichzeitig stolz auf ihre kulturellen Wurzeln und Traditionen“, sagte Stamm. Auch Jaques Chagnon wies auf die Gemeinsamkeiten der beiden Regionen hin: „Die ersten Dinge, die die Siedler in Québec angebaut haben, waren Hopfen und Wein, denn so wie sie, schätzen wir Bier und Wein sehr. Und dass wir unseren Besuch in Würzburg beginnen, verschafft uns eine neue Perspektive: Nun können wir gemeinsam mit den Franken in Richtung München blicken und erkennen, was Bayern alles zu bieten hat.“


Großes Interesse an der Situation der Flüchtlinge



Am Montag besuchte die Delegation gemeinsam mit Barbara Stamm den Familienstützpunkt Heidingsfeld in Würzburg, in dem Flüchtlingsfamilien untergebracht sind. Rund 100 Flüchtlinge sind dort untergebracht, 21 davon Kinder. Wichtig ist dabei nicht nur die Betreuung, sondern auch die Vernetzung mit den Nachbarn. Familienstützpunkte bieten Angebote für Einheimische und Neuankömmlinge an und laut der zuständigen Referentin Hülya Düber wird das Angebotr sehr gut angenommen. Die Gäste aus Québec waren besonders daran interessiert, wie schnell die Flüchtlinge Deutsch lernen und wie man sie in den Arbeitsmarkt integrieren kann. Auch die angestrebte Vernetzung von Angeboten und Informationen verschiedener Behörden und Institutionen, die in Heidingsfeld im Integrationsbüro gebündelt angeboten wird, stieß auf viel Neugierde bei den Abgeordneten aus Québec, das sich selbst als Einwanderungsland begreift. Auch das Finanzierungsmodell der Einrichtung fanden die Gäste faszinierend. Sowohl die Stadt, als auch das Land wie die Diakonie sind beteilig, aber auch zahllose private Unterstützer und Spender aus der Wirtschaft. Im regen Gespräch mit den Helfern vor Ort und den Flüchtlingen zeigten die Abgeordnete große Neugierde an der Situation in den Herkunftsländern der geflüchteten Menschen und den Perspektiven in Deutschland.

Gemeinsame Arbeitssitzung zum Thema Asyl und Integration

In der ersten Arbeitssitzung der Delegation aus Quebec waren die Themen Asyl und Integration weiterhin im Fokus. Neben Landtagspräsidentin Barbara Stamm waren Abgeordneter und Integrationsbeauftragter Martin Neumeyer und die weiteren Abgeordneten Joachim Unterländer, Vorsitzender des Sozialausschusses, Ludwig Lerchenfeld, Klaus Adelt, Gabi Schmidt und Kerstin Celina Gesprächsteilnehmer. Die Gäste aus Quebec interessierte dabei besonders, welche Maßnahmen in Bayern zur Integration und logistischen Bewältigung der großen Flüchtlingszahlen ergriffen worden waren. Einig waren sich beide Seiten, dass nur durch Bildung und dabei insbesondere durch das Erlernen der deutschen Sprache wichtige Integrationsschritte gemacht werden können. Mit der andernfalls drohenden Bildung von Parallelgesellschaften habe auch Quebec schon schwierige Erfahrungen gemacht, so der Tenor von Seiten Jacques Chagnons, Präsident der Nationalversammlung Quebecs. Die bayerischen Abgeordneten nutzten auch die Gelegenheit, an die weltweite Solidarität in Bezug auf die Flüchtlingszahlen zu appellieren. Die aktuelle Problematik sei nicht mehr allein auf Europa beschränkt. Zugleich zollte die Delegation aus Bayerns Partnerprovinz den Leistungen des Freistaats bei der Flüchtlingsintegration großen Respekt.

Gemeinsame Arbeitssitzung zum Thema "Der Blaue Engel"

Einer Umfrage zufolge kennen 92 Prozent der Bevölkerung in Deutschland das Umweltsiegel „Der Blaue Engel“. Nach der zweiten gemischt parlamentarischen Sitzung zwischen Bayern und Québecern, ist der Blaue Engel nun auch der kanadischen Delegation ein Begriff. „Ein interessantes Programm“, bemerkt Mathieu Traversy nach den Erläuterungen von Dr. Otto Hünnerkopf, stellvertretender Vorsitzender des Umweltausschusses und Otto Bischlager vom Bayerischen Umweltministerium und stellt die Frage, ob auch die Menge des CO2-Ausstoßes bei der Produkterzeugung in die Kriterien für die Vergabe des Siegel mit hineinspielen. In Kanada werde die Emission von Treibhausgasen sehr kritisch gesehen und deshalb viel Wert auf die Regionalität der Produkte gelegt. Die Kriterien für die Auszeichnung mit dem Blauen Engel seien die Klimaverträglichkeit, die Ressourceneffizienz, die Auswirkungen auf Wasser, Boden, Luft und auf die Gesundheit des Verbrauchers, erzählt Otto Bischlager.
Vor allem durch Recycling-Papier bekannt geworden feiert der das Umweltsiegel Blauer Engel übernächstes Jahr sein 40-jähriges Bestehen und ist das älteste und erfolgreichste Umweltzeichen in Europa. Auch Barbara Stamm spricht von einer Erfolgsgeschichte und Dr. Otto Hünnerkopf sagt: „Der Blaue Engel ist für uns in Fleisch und Blut übergegangen“.

Situation der Nationalparks in Kanada und Deutschland nicht vergleichbar

Klimaschutz, Ressourcenschutz und Naturschutz sind Voraussetzungen zur Erteilung des Siegels – sie sind aber ebenso Schlagworte und als solche Grundlage für weitere Diskussionen in der gemischt parlamentarischen Sitzung, der neben Hünnerkopf als stellvertretenden Vorsitzenden weitere Ausschussmitglieder aus Regierungspartei und Opposition bewohnen. Präsident Jacques Chagnon erkundigt sich bei den Bayerischen Abgeordneten, wieviel Prozent der Landesfläche Bayerns Nationalpark seien, nachdem Dr. Otto Hünnerkopf von der Diskussion um die Errichtung eines dritten Nationalparks berichtet hat. Nachdem die Mindestgröße eines Nationalparks gesetzlich bei 10.000 ha liege, könne man in Bayern einen Nationalpark nur noch sehr selten realisieren, sagt Hünnerkopf. „Ganz nüchtern müssen wir feststellen, dass der Anteil an der Fläche Bayerns wohl unter einem Prozent liegt“. Im Gegensatz zu kanadischer Gesetzgebung, wie Dr. Hünnerkopf bei einer Informationsreise des Ausschusses nach Alberta feststellen konnte, gelten in einem Bayerischen Nationalpark strenge Regulierungen und Nutzungseinschränkungen. Beschneiung mit Schneekanonen sei hier undenkbar, so Hünnerkopf. Dennoch soll ein dritter Nationalpark – diesmal im Flachland – realisiert werden und konkret die Bestände an alten, urtümlichen Buchenwäldern schützen. Die Ausweisung sei auch ein probates Mittel um dem Verlust der Biodiversität in Bayern entgegen zu wirken, sagt Florian von Brunn.

Québec deckt Strombedarf fast komplett aus erneuerbarer Energie

Wenn es um Nationalparke gehe, sei ein Vergleich zwischen Bayern und Québec schlecht herzustellen, sagt Chagnon. Schließlich gebe es in beiden Staaten eine ganz unterschiedliche Bevölkerungsdichte. Unterschiede werden auch bei einem weiteren Thema der Sitzung deutlich: Der Energiegewinnung aus regenerativen Quellen. Québec deckt seinen Strombedarf zu 93 Prozent aus Wasserkraft und hat dabei keine negativen Auswirkungen auf das Ökosystem Fluss, wie auf eine Frage von von Brunn deutlich wird. „Wir haben keine Deiche und die Staudämme liegen so weit auseinander, dass dazwischen ausreichend Fließstrecke als Lebensraum für die Fische übrig bleibt“, sagt Chagnon. Das Potential an erneuerbarer Energie in Kanada sei ungeheuerlich, sagt Hünnerkopf, vor allem, wenn man neben der Wasserkraft auch die Biomasse einbeziehe. „Ja, wir haben so viel Strom, dass wir ihn an unsere Nachbarn verkaufen können“, sagt Chagnon. Allerdings sei dadurch auch das Stromsparen in Kanada eher unpopulär.

Innovation, Energie-Entwicklung und grüne Technologien

In der dritten gemischt parlamentarischen Sitzung wird deutlich, dass es neben vielen Gemeinsamkeiten zwischen Bayern und Québec auch große Unterschiede gibt: In der Energiepolitik zum Beispiel. Québec ist ein wasserreiches Land – annähernd der gesamte Strom wird aus der Wasserkraft gewonnen. „Wasser ist unser Gold“, sagt Präsident Jacques Chagnon. Das einzige Atomkraftwerk des Landes ist vor einiger Zeit abgeschaltet worden. Dennoch produziert man genug Strom, um ihn exportieren zu können. In Deutschland decken die Atomkraftwerke noch 50 Prozent des Strombedarfs. Wenn damit im Jahr 2022 Schluss ist, soll der Anteil der erneuerbaren Energie von derzeit 36 Prozent erheblich steigen. Viele Potentiale sind aber schon fast erschöpft, das der Wasserkraft etwa, wo Belange des Naturschutzes gegen eine weitere Nutzung sprechen oder das der Photovoltaik, deren Überproduktion an sonnigen Tagen nicht gespeichert werden kann. Erwin Huber (CSU), der als Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses an dem Gespräch teilnimmt, sagt: „Es ist nicht möglich, unseren Energiebedarf zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu decken. Mindestens bis 2050 werden wir auch auf die Kohle angewiesen sein und danach werden wir etwa ein Drittel unseres Stroms aus dem Ausland importieren müssen“.


E-Mobilität wird in Kanada gefördert



Unterschiede gibt es auch im Bereich E-Mobilität. Das Klima in Québec sei sehr offen für Elektroautos, sagt Präsident Jacques Chagnon. In Kanada ist ein Gesetz verabschiedet worden, dass bis zum Jahr 2030 das Ziel von Null-Emissionen vorgibt. „Dieses Gesetz motiviert die Automobilhersteller – die Forschungen laufen schnell in Québec“, sagt Mathieu Traversy. Landtagsvizepräsidentin Ulrike Gote (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) will mit ihrer Partei ebenfalls bis 2030 die Zulassung von Verbrennungsmotoren verbieten. Erwin Huber hält das für einen Traum. Er sagt: „Bayern ist ein Auto-Land. Die Automobilwirtschaft macht die Wirtschaftskraft Bayerns aus.“ Die Verbrennungsmotoren per Gesetz zu verbieten hält er für den falschen Weg und auch Anette Karl (SPD) stimmt ihm zu, denn dies würde ihrer Meinung nach Arbeitsplätze in Bayern gefährden. Johann Häusler (FREIE WÄHLER) erkundigt sich bei der kanadischen Delegation, ob die eingeschränkte Reichweite der Elektroautos in Kanada nicht als Problem angesehen werde, was von Traversy verneint wird.

Ceta im Fokus

Obwohl nicht explizit in der Tagesordnung vorgesehen, nutzen die Besucher aus Québec die Anwesenheit des Ausschussvorsitzenden Erwin Huber, um das Gespräch auf das Freihandelsabkommen Ceta zu bringen. Huber macht ihnen Mut, dass das Abkommen zustande kommen wird. Bayern werde im Bundesrat zumindest mit einer großen Mehrheit dafür stimmen. Huber ist es wichtig zu betonen, dass die zurückhaltende oder oft sehr kritische Einstellung der Bevölkerung gegenüber Ceta keineswegs eine Aversion gegen Kanada bedeute: „Sie sind in zweierlei Hinsicht Opfer geworden“, sagt Huber. Zum einen werde Ceta oft in einem Atemzug mit TTIP genannt, gegen welches eine sehr große Ablehnung bestehe und gegen das stark Stimmung gemacht werde. Zum anderen missfalle der Bevölkerung zunehmend die Kompetenzübertragung an die EU, so dass die Ablehnung von Ceta nicht unbedingt das Subjekt an sich betreffe, sondern vielmehr die Vorgehensweise es abzuschließen.

Exkursionen ins Energieforschungszentrum und zu MAN

Am letzten Tag der Delegationsreise in München verlassen die Gäste aus Québec das politische Umfeld, um mit Wirtschafts- und Forschungstreibenden aus der Region zusammenzukommen. Bei dem Zentrum für angewandte Energieforschung (ZAE) in Garching haben Mitarbeiter sechs Stationen aufgebaut, an denen sie ihre Forschungen präsentieren. Da gibt es eine Spülmaschine, die ihr Geschirr mit Hilfe von wärmespeichernden Pellets und daher ganz ohne Energieeinsatz trocknet. Es gibt ein 0-Emissions-System zum Heizen von Gleisen oder einen Tank, der von einer Schicht aus vulkanischem Gestein ummantelt ist und so ohne Energiezufuhr seinen Inhalt auf Ausgangstemperatur halten kann. Die Gäste aus Québec zeigen sich begeistert von der Kreativität der zumeist jungen Forscher. Die Notwendigkeit des Stromsparens ist in Kanada allerdings aufgrund des Überangebots an sauberer Energie nicht so sehr gegeben.

Mit MAN Truck & Bus besuchen Jacques Chagnon und seine Kollegen einen der größten Fabrikanten und Arbeitgeber im Raum München. Sie erfahren dort, dass die Montage eines LKW gerade mal 7,5 Stunden dauert und dass pro Tag etwa 150 LKW das Werk in Karlsfeld verlassen. Bei Ablaufen der Fertigungsstraße – wo aus Einzelteilen Schritt für Schritt ein kompletter LKW zusammen gebaut wird – zeigen sich die Gäste erstaunt darüber, dass die Montage noch zum Großteil durch echte Manpower geleistet werde. Der Einsatz von Robotern sei schwierig, weil aufgrund vieler verschiedener Modelle kaum ein LKM dem anderen gleiche, erfahren die Abgeordneten. In Karlsfeld werden keine Busse produziert. Die Delegation ist aber sehr interessiert an der Busreihe MAN Lion`s City Bus, die mit dem Umweltzeichen Blauer Engel zertifiziert ist, welches schon Thema der gemeinsamen Sitzung mit dem Umweltausschuss war. Eine PowerPoint-Präsentation gibt Einblicke: Den Blauen Engel erhalten die MAN Busse für einen geräuscharmen Betrieb und umweltverträgliches Lackmaterial. Auch Emissions-Vorgaben müssen erfüllt werden. „Warum verkaufen Sie ihre Busse nicht auch in Nordamerika?“, fragt Jacques Chagnon. In Nordamerika seien ganz andere Standards zu erfüllen, als in Europa, so die Antwort. Ein Eintritt in den nordamerikanischen Markt würde eine ganz neue Produktionslinie erfordern. Trotzdem man habe natürlich ein Auge auf diesen Markt. Bei der Automobilmesse 2017 in Montréal möchten sich die Québecer Abgeordneten und die Karlsfelder Autobauer wiedersehen.

Abschiedsworte

Den Abschluss des Besuchs in Bayern bildet ein Abendessen gegeben von I. Vizepräsident Reinhold Bocklet in der Klosterwirtschaft Andechs. Das freundschaftliche Verhältnis zwischen den Parlamentariern beider Nationen wird an diesem Abend noch einmal deutlich. In dieser Woche in Bayern sind die Bande noch enger geknüpft worden. Reinhold Bocklet sagt in seiner Abschiedsrede: „Wir lernen jedes Mal die Schwerpunkte Québecischer Politik kennen. Wir lernen aber auch Akteure und Menschen kennen, die wir schätzen und die zu uns passen“. Auch Prof. Dr. Peter Paul Gantzer findet schöne Worte zum Abschied. Er sagt: „Sie sind eine einzigartige Delegation. Wir sind ganz begeistert von Ihnen“. Von einer tiefen Freundschaft spricht auch Jacques Chagnon. Er werde die Woche in Bayern stets in guter Erinnerung halten. Die Gegeneinladung nach Québec ist obligatorisch: „Kommen Sie bald!“ sagt der Präsident.

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