Kanada als Vorbild bei Nationalpark-Konzepten und Energiewende? Umweltausschuss informiert sich vor Ort

24. Juni 2016

– Von Zoran Gojic –

Calgary/Winnipeg. Man muss die Menschen für das Konzept der Nationalparks begeistern. Nur wenn die Menschen verstehen, dass die Natur ein wichtiges Element ihre Heimat ist und sie davon profitieren, haben die Nationalparks eine Zukunft“. Mit diesen wenigen Worten umreißt Bill Hunt, Resource Conservation Manager, Parks Canada sehr prägnant die Philosophie der  staatlichen Nationalparkverwaltung in Kanada. Und genau für diesen Ansatz interessierte sich der Umweltausschuss bei seiner Informationsfahrt in die kanadische Provinz Alberta, in der der älteste Nationalpark des Landes liegt. Gleichzeitig ergibt sich die Chance mitzuerleben, wie ein Land eine radikale Energiewende angeht – das Ölförderland Alberta hat 2015 die weitgehende Abkehr von fossilen Energiequellen erklärt.

Zunächst steht jedoch ein Besuch der Gruppe unter Leitung von Ausschussvorsitzendem Dr. Christian Magerl im Banff-Nationalpark an. 1885 gegründet, ist er beinahe so groß wie der Bezirk Oberfranken. Gemeinsam mit den benachbarten Nationalparks Kootenay, Yoho und Jasper bilden sie ein zusammenhängendes Gebiet, das zum UNESCO-Welterbe zählt. Insgesamt ist die Fläche der 46 Nationalparks größer als Deutschland. Im Banff-Nationalpark weisen über 95 Prozent der Fläche keinerlei Infrastruktur auf und sind für Fahrzeuge nicht zugänglich. Zwei Prozent des Nationalparks sind erschlossen und werden touristisch genutzt. Tourismus wird nicht als notwendiges Übel gesehen, sondern ist ein entscheidender Bestandteil des Konzepts. Im Unterschied zu den übrigen Nationalparks finanziert sich der Banff-Nationalpark ausschließlich aus eigenen Einnahmen und nicht aus Steuermitteln.

Nationalparks als Lebensgefühl eines Landes

3,6 Millionen Touristen besuchen den Park jedes Jahr. Zum Vergleich: in ganz Alberta leben etwas mehr als vier Millionen Menschen. „Unser Ziel ist nicht nur der Schutz des Ökosystems, sondern die Einbindung der Menschen in unsere Arbeit. Wir wollen auch erklären, was wir machen und warum. 80 Prozent der Kanadier leben heute in Städten und haben oft keinerlei Bezug zur Natur, insbesondere die jungen Menschen. Um die werben wir ganz gezielt und auch um die Immigranten, die aus unterschiedlichsten Kulturkreisen nach Kanada kommen.“ Nationalparks als Möglichkeit zur Integration, so sehen das die Kanadier, die generell dazu neigen, Problemen pragmatisch zu begegnen. Also werden für die Neu-Kanadier, wie man in Kanada sagt, fertige Zelte auf den Campingplätzen angeboten, um die Schwelle niedrig zu halten. Bei der Rundreise durch den Banff-Nationalpark fällt auf: das Konzept geht auf. Junge Kanadier sind ebenso unterwegs wie Familien, die aus Indien oder Asien stammen.

„Naturschutz ist auch ökonomisch sinnvoll“

In dasselbe Horn stößt Don Carruthers Den Hoed von der Parkverwaltung der Provinz Alberta, die in eigener Regie 27 000 Quadratkilometer Schutzgebiete betreut. Eine Fläche, die vier Prozent von ganz Alberta ausmacht, gemeinsam mit den Nationalparks des Bundes sind es sogar 12 Prozent. „Kein Einwohner Albertas ist mehr als eine Autostunde von einem Nationalpark entfernt. Nationalparks sind Teil des Lebensgefühls und das fördern wir gezielt. Um möglichst zusammenhängende Schutzgebiete zu erhalten, arbeitet die Provinz auch mit Privatpersonen und Firmen zusammen. „Farmer geben uns Zugang zu ihrem Land und sie dürfen weiterhin die Erde bewirtschaften. Das gehört dann eben dazu. Es gibt sogar Fabriken, die unter bestimmen Maßgaben in Nationalparks weiter arbeiten können. So haben wir die Chancen Maßnahmen zum Schutz dieser Gebiete zu ergreifen und fördern gleichzeitig die Akzeptanz in der Bevölkerung für unser Projekt.“, erläutert Den Hoed. Und dies sei außerordentlich wichtig. Bis 2050 wird die Einwohnerzahl Albertas auf sieben Millionen steigen, die Bevölkerung Calgarys alleine wird sich fast verdoppeln. Unter diesen Umständen muss man den ökologischen und auch den ökonomischen Nutzen von Naturschutz vermitteln. Den Hoed nennt ein ganz praktisches Beispiel. In einem nur fünf Kilometer langem naturbelassenen Abschnitt des Bow-River in der Nähe von Calgary würden Rafting-Touren angeboten. „In der nur dreimonatigen Saison macht der Rafting-Anbieter zwei Millionen Dollar Umsatz. Der versteht, dass ihm ein wilder Fluss mehr nützt als ein betonierter Kanal.“

Verantwortungsbewusstsein bei den Kommunen im Nationalpark

Chad Townsend, der Koordinator für Umweltbelange der Stadt Banff, erklärt dem Ausschuss von den Herausforderungen für eine Gemeinde, die in einem Nationalpark liegt. „Wir dürfen uns nur innerhalb genau definierter Grenze entwickeln, das stellt uns natürlich vor Herausforderungen. Verdichtung klingt in der Theorie immer gut, aber wenn man den Leuten erklärt, dass dort wo vorher ein Haus war, vier neue dazukommen, wird es schwierig.“ Grundsätzlich versucht man dem Gedanken des Nationalparks als Gemeinde gerecht zu werden. Dazu gehört auch ein spezielles Abfall-Management, um keine Wildtiere anzulocken. Auch der Verkehr wird umweltgerechter gestaltet. Es gibt ein sehr gut ausgebautes Nahverkehrssystem und die Menschen werden ermutigt, sich mit dem Fahrrad oder zu Fuß zu bewegen. „In einem Gebiet von vier Quadratkilometern ist das machbar. Und so entscheiden sich mittlerweile 60 Prozent der Einwohner zu Fuß zu gehen oder das Fahrrad zu nehmen. Sogar im Winter ist die Zahl nicht viel geringer“, erzählt Townsend und fügt nicht ohne Stolz an: „Der höchste Wert in Alberta, vielleicht sogar in Kanada.“ Banff hat zudem als erste Kommune Kanadas ein eigenes Programm zur Förderung von Solarenergie gestartet und unterstützt dabei nach deutschem Vorbild Eigenheimbesitzer mit Photovoltaikanlagen. Das Projekt wird sehr gut angenommen – obwohl Strom in Alberta immer noch sehr billig ist.

Kooperation mit bayerischen Unternehmen

Auch Wassersparer werden mit Anreizen unterstützt. „Unser Wasser muss sauber bleiben, weil weiter südlich drei Provinzen dieses Wasser nutzen. Und das geht nur, wenn wir möglichst wenig Abwasser haben“, erläutert Townsend. Das Abwasser wird aufbereitet und der Klärschlamm gemeinsam mit den organischen Abfällen kompostiert. Zudem hat Banff als eine der ersten Städte bei der Straßenbeleuchtung auf LED-Lampen umgestellt. „Wir haben  mit der bayerischen Firma Osram kooperiert. Die suchten einen Ort, indem sie ihre neuen LED-Lampen unter extrem kalten Bedingungen testen konnten und die haben wir nun wirklich im Winter“, so Townsend. „Alles in allem aber hat sich die Gemeinde sehr gut auf das Leben im Nationalpark eingestellt.“

„Wachstum planen – nicht darauf reagieren“

Aber bewusstes Wirtschaften mit Ressourcen und Energie ist keineswegs nur ein Thema im Nationalpark, wie Andy Ridge, Executice Director für Wassermanagement in Alberta erklärt. Denn gerade Wasser ist in der Provinz ein großes Thema. „80 Prozent der Menschen leben im Süden Albertas, wo 20 Prozent der Wasservorräte sind. Im Norden ist es umgekehrt: Dort liegen 80 Prozent der Wasservorräte, aber nur 20 Prozent der Bevölkerung, die dort leben.“ Das Wasser muss also verteilt werden, allerdings sollen die Eingriffe in die Natur so gering wie irgendmöglich ausfallen. Ein Spagat, der mit Dezentralisierung gelingen soll. „Wir setzen auf regionale Konzepte. Es ist besser Wachstum zu planen, als immer nur darauf zu reagieren.“ Ein wichtiger Aspekt vor allem im Norden ist die Begrenzung des Wasserverbrauchs. „Je weniger verbraucht wird, desto weniger Abwasser muss aufbereitet werden und desto geringer ist der technische Aufwand. Es sind strikte Grenzwerte für Emissionen und Wasserentnahme vorgesehen. Auch, um Rücksicht auf die Interessen der Ureinwohner  zu nehmen, die vorwiegend im Norden leben. Deswegen müssen wir auf das Grundwasser achten“, so Ridge.


Regulierung soll Innovationen anregen, keine Lösungen diktieren



Man müsse mit der Natur umgehen wie mit einem Budget – es gibt Grenzen dessen, was verteilt werden kann und das muss man immer beachten. Deswegen berechne man bereits jetzt die verfügbaren Wasservorräte für die einzelnen Regionen für die nächsten 100 Jahre und richte entsprechende Maßnahmen danach aus. „Wir müssen unser Verhalten jetzt verändern, um in Zukunft keine Krisen zu bekommen.“ Selbstverständlich seien Ölsandfelder in diesem Zusammenhang ein Thema räumte Ridge ein. „Wir haben ein potentielles Abbaugebiet von der Größe Frankreichs, tatsächlich werden aber deutlich weniger als 1000 Quadratkilometer ausgebeutet und das wird auch so bleiben. Und  nur auf 20 Prozent dieses Gebiets wird offener Tagebau betrieben“. Wie in anderen Bereichen, insbesondere dem Methanausstoß, will Alberta mit Regularien die Wirtschaft dazu antreiben, innovativere umweltverträgliche Technologien zu entwickeln und keine Lösungen diktieren.


Millioneninvestitionen in den Wildschutz



Die Nationalparkverwaltung macht strenge Vorgaben, unterstützt aber die Gemeinden durch Infrastrukturmaßnahmen. So ist der Highway 1, der Kanadas Osten mit dem Westen verbindet und der quer durch den Nationalpark verläuft, auf vier Spuren ausgebaut worden. Im Ausgleich wurden sechs Wildbrücken und 38 Tunnel errichtet, um die Wanderung der Tiere zu ermöglichen. Zusätzlich wurden 80 Kilometer Zaun errichtet. Bill Hunt von Parks Canada ist zufrieden mit dem Resultat. „Das Angebot wird angenommen, wir haben weniger Wildunfälle und mittlerweile bringen die Tiere ihrem Nachwuchs die neuen Wanderrouten bei. Wir beobachten mit Kameras, Gentests und Sendern die Bewegungen der Tiere. Wir müssen ja herausfinden, ob sich die Investitionen lohnen“. Eine Wildbrücke kostet immerhin rund vier Millionen kanadische Dollar. So sehr Touristen und sportliche Aktivitäten – es gibt vier Skigebiete und einen Golfplatz – willkommen sind, so sehr achten die Parkwächter auf das Wohl der Tiere. Jagd ist verboten, Angeln mit Erlaubnis in bestimmten Gebieten möglich. Im Frühjahr werden die meisten Straßen abends gesperrt, um die Tiere nicht zu stören. Auch die Grenzwerte für Schadstoffe im Wasser beispielsweise sind deutlich niedriger als im nationalen Durchschnitt.


„Waldbrände sind gut“



Die Parkverwaltung, das betont Hunt, sieht sich selber immer in der Entwicklung. Man versucht dazuzulernen, sich weiter zu entwickeln. Deswegen lässt man heute im Unterschied zu früher auch Waldbrände wieder zu. „Sie gehören zum Ökosystem. Feuer schlägt natürlich Schneisen, die eine Ausbreitung von Ungeziefer verhindern, lichtet das Unterholz, das die Brandgefahr potenziert und verjüngt die Flora. Manche Bäume sind Feuerkeiner, die brauchen die Hitze sogar“. Die Parkverwaltung selbst legt nun auch kontrolliert Feuer. „Zunächst nur in sehr geringem Umfang, um der Bevölkerung zu zeigen, dass keine Gefahr droht und so das Vertrauen zu gewinnen. Mittlerweile legen wir sehr große Feuer und die werden nun als Spektakel betrachtet“. Auch beim Kontakt zwischen Tieren und Menschen lerne man ständig dazu. „Früher haben die Bären im Müll Essen gefunden und den Menschen als Futterquelle gesehen, das hat zu gefährlichen Situationen geführt. Das gibt es heute gar nicht mehr. Wir haben Müllbehälter entwickelt, die Bären nicht öffnen können. Manchmal haben Touristen auch Schwierigkeiten, die Mechanik zu begreifen“.


Radikale Energiewende in Alberta



Zum anderen großen Thema treffen sich die Ausschussmitglieder mit Ed Whittingham, dem Direktor der Umweltorganisation Pembina: die Energiewende in Alberta. 2015 hat die neu gewählte Regierung Albertas eine radikale Kursumkehr in der Energiepolitik beschlossen. Bis 2030 will Alberta – die Provinz, die 70 Prozent der kanadischen Kohle fördert – komplett aus der Stromerzeugung durch Kohle aussteigen. Bislang erzeugt Albert fast 60 Prozent seines Strombedarfs mit Kohle. Für Alberta ein außerordentlich ehrgeiziges Projekt. Zusätzlich soll der Anteil erneuerbarer Energie bis 2030 auf 30 Prozent steigen. Ebenfalls 2015 haben sich alle kanadischen und die Bundesregierung darauf geeinigt, gemeinsam den den Klimaschutz voranzutreiben. „Zum ersten Mal in der Geschichte. Das war ein einzigartiger Moment, als Politiker, Umweltverbände, aber auch die Chefs der großen Energieunternehmen das gemeinsam bekannt gegeben haben“, versichert Whittingham. Auch der Methanausstoß – bedeutsam bei der Förderung und Verbrennung von Erdgas, soll um 45 Prozent verringert werden und das sogar bis zum Jahr 2015 – basierend auf den Werten von 2013. Auch Vorgaben für die Energieeffizienz sollen vorgegeben werden, bislang ist Alberta die einzige Provinz ohne Regelungen dazu. Und die Förderung von Ölsand wird auf maximal 100 Megatonnen jährlich begrenzt. Radikale Schnitte für eine Provinz, die bislang von fossilen Energiequellen gelebt hat. Für Whittingham eine revolutionäre Entwicklung. „Die Gesetzgebung in Alberta hat die Provinz British Columbia dazu gebracht Klimaschutzziele zu verankern. Und das wiederum hat die kanadische Bundesregierung bestärkt auch den Klimaschutz auf die Fahnen zu schreiben und mit den USA ein Abkommen mit konkreten Zielen abzuschließen.


„Die Energiekosten werden steigen“



„Wenn es uns noch gelingt Mexiko mit ins Boot holen, könnten wir der erste Kontinent werden, der sich komplett dem Klimaschutz verschrieben hat“, so Whittingham. „Und die Arbeit beginnt erst, jetzt müssen wir die Ziele in Verordnungen und Gesetzen umsetzen. Uns allen ist klar, dass die Gefahr eines Rückschlags groß ist“. Denn die Aufgaben sind immens. „Strom soll die Energie für Wärme und Mobilität liefern. Da müssen wir neue Wege gehen und die Energiewende umfassender denken. Die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs gehört da genauso dazu wie die Einbeziehung der Stadtentwicklung, die kurze Wege für die Menschen ermöglicht.“ Über eines aber dürfe sich niemand in Kanada Illusionen machen: so billig wie derzeit wird Energie nicht mehr sein können. „Die Energiekosten werden steigen, daran werden sich die Kanadier gewöhnen müssen. Sie haben keine andere Wahl“.  Cameron Brown, Leiter der Abteilung Umwelt im Energieministerium, sieht darin allerdings nicht zwangsläufig eine schlechte Entwicklung. „Der Strompreis hier ist rund 75 Prozent niedriger als in Deutschland. Die sehr niedrigen Energiepreise hemmen Investitionen in alternative Formen der Energiegewinnung. Das ist ein Problem, denn anders als in den anderen kanadischen Provinzen ist der Energiemarkt komplett in privater Hand.“, so Brown. Man sei darauf angewiesen, dass die großen Energieversorger Anreize für Investitionen bekämen. Damit die Energiewende gelingen kann, benötige man aber nicht nur mehr erneuerbare Energiequellen, sondern müsse auch tragfähige Konzepte für die Stromspeicherung und den Transport der Energie entwickeln. „Wir haben sehr großes Interesse an entsprechenden Technologien“.


Bayerisches Know-How in Alberta gefragt



Diese neuen Technologien könnten möglicherweise an der Universität von Calgary entwickelt werden. Seit fünf Jahren gibt es das interdisziplinäre Projekt ABBY-Net, in dem bayerische Wissenschaftler gemeinsam mit Forschern aus Alberta das Thema Energie angehen. Insgesamt 25 Verträge mit 18 deutschen Institutionen hat die Universität von Calgary mittlerweile abgeschlossen, darunter die Universitäten von Erlangen und München. Entscheidend dabei ist das vernetzte Vorgehen, wie Dr. Joule Bergerson betont. „Es geht darum die Expertisen von verschiedenen Disziplinen zu verbinden und zur Analyse zu nutzen. Beispielsweise kann ein Ökonom eine Theorie zur Landwirtschaft entwickeln, ein Soziologe kann ein empirisches Feedback erstellen und ein Computerspezialist kann die beiden Ergebnisse abgleichen und analysieren.“ Nur wenn die Wissenschaft ihre Scheuklappen ablege und systematisch an die Problemstellungen herangehe, könne man den Herausforderungen der Zukunft begegnen. Bergerson hat wieder ein anschauliches Beispiel parat. „Elektroautos klingen wie eine gute Lösung, aber auch der Strom für den Antrieb muss irgendwo gewonnen werden. Und Batterien benötigen Lithium, ein seltener und teurer Rohstoff. Man muss also herausfinden, ob das wirklich eine gute Lösung ist – gerade auch wirtschaftlich.


Zweite Station Manitoba – das Kontrastprogramm

Die zweite Station der Kanadafahrt führt den Ausschuss nach Manitoba – in vielerlei Hinsicht ein Kontrastprogramm zum wohlhabenden Ölförderland Alberta. Manitoba ist ein Agrarland, neinahe doppelt so groß wie die Bundesrepublik Deutschland, aber mit nur 1,2 Millionen Einwohnern. Über die Hälfte davon lebt in der Hauptstadt Winnipeg. Rund ein Fünftel der Einwohner hat deutsche Wurzeln, gut 27 000 Menschen geben sogar Deutsch als ihre erste Sprache an. In den letzten Jahren war die Provinz immer wieder mit Flutkatastrophen konfrontiert, die auch wirtschaftlich verheerende Folgen haben. Grant Doak, Deputy Minister für nachhaltige Entwicklung in Manitoba, erklärt, dies sei einer der Gründe für Manitoba einen neuen Klimaschutzplan aufzusetzen, obwohl die Provinz 98 Prozent ihres Strombedarfs mit Wasserkraftwerken deckt. "Zwei Drittel unserer Emissionen stammen vom Verkehr beziehungsweise der Landwirtschaft - wir müssen in der Hinsicht etwas unternehmen", ist Doak überzeugt. Die Regierung greift dabei auf die Expertise des in Winnipeg ansässigen unabhängigen Instituts für nachhaltige Entwicklung (iisd) zurück. Jo-Ellen Parry vom iisd führt aus, wie das Institut international vernetzt vor allem darüber forscht, wie man ökonomische und ökologische Interessen vereinbaren kann. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Nachhaltigkeit. "Wir sind nicht prinzipiell gegen Freihandelsabkommen, aber es muss gewährleistet werden, dass es nicht zu Lasten von nachhaltigen Entwicklungen der Vertragspartner abgeschlossen wird", so Parry. Handelsabkommen müssen den Staaten auf jeden Fall weiterhin ermöglichen eine Politik zu gestalten, die beispielsweise die soziale Sicherheit der Gesellschaft und den Schutz der Umwelt zu gewährleisten.

"Der Staat kann nicht alleine alle Probleme lösen"

Eine Möglichkeit für Regierungen ihre Politik in diesem Sinne zu steuern, bietet iisd seit einiger Zeit auf der website mypeg.ca. Charles Thrift vom iisd weist auf ein entscheidendes Problem hin, das zur Einrichtung dieser Seite geführt hat: "Wie misst man die Zufriedenheit in einer Gesellschaft?". In Manitoba erfasst das iisd systematisch alle Statistiken, Studien und Forschungsergebnisse und bereitet sie analytisch auf. Dazu wurden unter anderem 1000 Menschen der Provinz befragt, um herauszufinden, welche Themen die Menschen bewegen. "Daraus kann man Indikatoren ableiten und praktisch in der Politik anwenden. Es geht darum, zu begreifen, was in einer Gesellschaft vorgeht und welche Probleme anstehen. Es geht kurz gesagt darum, immer weiter zu lernen", erklärt Thrift. Die Seite wird laufend aktualisiert und eine Erkenntnis ist bereits gewonnen: Es gibt Probleme, die eine einzige Institution alleine gar nicht lösen können. "Es ist offenkundig, dass in einigen Bereichen die Zusammenarbeit unabdingbar ist. Der Staat kann nicht alles alleine schaffen", ist Thrift überzeugt.

"Kanada spürt den Klimawandel stärker als andere Länder"

In Manitoba setzt die Regierung deswegen auf die Expertisen verschiedener Einrichtungen, unter anderem der des Climate Centre in Winnipeg. Dieses erstellt derzeit einen Klima-Atlas, der exakt die klimatischen Veränderungen dokumentiert. Henry David Venema vom Climate Centre verweist darauf, dass die Verschiebungen im Klima mittlerweile statistisch belastbar nachgewiesen werden können. Kanada sei stärker vom Klimawandel betroffen als andere Länder, ganz einfach weil es vergleichsweise nahe an der Arktis liegt. Das schmelzende Eis in der Arktis erwärmt das Meer, was wiederum Auswirkungen auf die Windströmungen hat, die das Wetter bestimmen. "Die Sommer werden immer länger und trockener, dafür wird das Frühjahr immer nasser. Wenn die Entwicklung so weitergeht, werden wir noch in diesem Jahrhundert ein Klima wie Texas bekommen. Das ist für unsere Landwirtschaft ein Problem geworden." Für das Farmland Manitoba eine Frage der Existenz. Weiter nach Norden ausweichen können die Landwirte nicht - die Böden sind dort zu karg und außerdem steht im Norden Kanadas das größte zusammenhängende boreale Waldgebiet der Welt. In der Provinz Alberta wurden allerdings bereits Wälder gerodet um Ackerland zu schaffen, was Venema für verheerend hält, weil es den Effekt des Klimawandels weiter verstärkt. "Wir haben jetzt in Alberta Landwirtschaft bis zum 60. Breitengrad, das muss man sich einmal vorstellen. Das ist eine sehr schlechte Entwicklung."

Eines der 16. Weltwunder der Ingenieurskunst

Eine der Folgen des Klimawandels: Flutgefahr. Manitoba wird immer regelmäßiger von Unwettern mit Starkregen heimgesucht. Besonders in Winnepeg mit seinen zwei großen Flüssen Red River und Assiniboine ist die Gefahr von Hochwassern ständig präsent. Bereits 1962 hat man dort begonnen ein System aus Kanälen und Deichen zu errichten, dass die Hochwassergefahr bannen soll. Das sogenannte Fllodway Control Centre wurde immer wieder erweitert und ist von der internationalen Inginieursvereinigung zu einem der 16. Weltwunder der Ingenieurskunst erklärt worden. Mit Hilfe einer Schleuse wird der Wasserstand permanent auf einem maximalen Stand gehaltren. Im Fall steigender Wasserpegel kann ein ganzer Landstrich hinter der Einsatzzentrale geflutet werden ohne Ortschaften entlang der Flüsse in Gefahr zu bringen. Seit das System 2010 modernisiert worden ist, gab es tatsächlich trotz auffallend heftiger Regenfälle keine Überfutungen mehr.

"Die Menschen erwarten von der Politik Lösungen und keinen Streit"

Zum Abschluss der Reise informiert sich der Ausschuss bei Manitoba Hydro über technische Innovationen, die helfen sollen die Herausforderungen des Klimawandels zu bewältigen. Ron Schuler, Manitobas Minister für Crown Affairs, appeliert in seinem Grußwort an den Gestaltungswillen der Politik in dieser Frage. "Die Menschen erwarten von den Politikern Lösiungen und keinen Streit. Es kommt nie etwas Gutes dabei heraus, wenn wir uns nur streiten - das haben wir an der Entwicklung rund um den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union gesehen. Wir müssen immer in der Lage sein, uns zusammen zu setzen und zu sprechen, um einen gemeinsamen Weg zu finden."
Eine dieser Lösungen setzt gerade der staatliche Energieversorger Manitoba Hydro um: das Milliardenprogramm Bipole III soll mögliche Versorgungsengpässe verhindern und Schwankungen im Stromnetz ausschließen. Bislang läuft die komplette Stromversorgung durch ein Nadelöhr in der Nähe Winnepegs. Mit der neuen Stromtrasse sollen die alten Trassen entlastet werden. Bipole III führt über 1340 Kilometer, meist über unbesiedeltes beziehungsweise sehr dünn besiedeltes Gebiet. Allerdings gab es im Vorfeld heftige Diskussionen. In dichter besiedelten Gebieten gibt es Widerstand gegen die Strommasten. Meist aber ging es um die Kosten. Die kürzere Verbindung wurde verworfen, weil sie durch Naturschutzgebiete führt, in denen auch die First Nations leben. Die Trasse, die nun realisiert wird, ist um vieles teurer - um bis zu 600 Millionen kanadische Dollar. Dennoch ist sie unverzichtbar wie Shane Mailey von Manitoba Hydro versichert: "Weil Manitoba und seine Seen so flach sind, können wir kein Wasser speichern, müssen also den Strom unverzüglich effektiv verteilen."

"Genehmigungsprozess für Stromtrasse ist vollkommen transparent"

Manitoba Hydro hat sich aus Kostengründen für oberirdische Trassen entschieden - zudem habe man zuwenig Erfahrung mit den Kapazitäten von unterirdischen Stromleitungen. Ironischerweise stellten drei außergewöhnlich milde Winter hintereinander die Bauherren vor große Probleme: in den Feuchtgebieten des Nordens sind Arbeiten im Boden ohne Frost sehr schwieirig. Großen Wert legt Manitoba auf die vielfältigen Maßnahmen hinzuweisen, darauf zu achten die Eingriffe in die Tier- und Pflanzenwelt so gering wie möglich zu halten. Dennoch hatte es vereinzelt Proteste von Farmern gegeben, die zwar einsahen, dass die die Leitung notwendig ist, sie aber eben nicht auf ihrem Land haben wollen. Besonders wichtig war Manitoba Hydro die Einbindung der Ureinwohner in die Planung. Die kanadische Verfassung schreibt vor, alles zu vermeiden was die Lebensart und traditionellen Rechte der "First nations" beeinträchtigen könnte. Insgesamt wurde vier Jahre in ganz Manitoba geforscht, um herauszufinden, wie man das Projekt möglichst verträglich für Natur und Mensch realisieren kann. Überprüfen kann das übrigens jeder von zuhause aus: der Zulassungsprozess für Bauprojekte ist in Manitoba im Internet einsehbar. Angefangen vom Antragsformular bis hin zum Briefwechsel mit den Behörden. und der Zulassung inklusive eventueller Beschränkungen.

Die Technik für die Trasse kommt aus Bayern

Bei der praktidschen Umsetzung vertraut Manitoba Hydro auf Technik aus Bayern - Siemens kooperiert vor Ort mit dem Energieversorger, um die anspruchsvolle Aufgabe zu bewältigen.In der Nähe Winnepegs besichtigt der Ausschuss die Baustelle, in der innerhalb von fünf Jahren eine Converter Station für die Leitung Bipole III entsteht. Zum Abschluss nutzen die Abgeordneten die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen von Bipole I und Bipole II nahe der bereits bestehenden Converter Station Dorsey zu besichtigen. Die freistehenden Strommasten sind etwa 30 Meter hoch und zehn Meter breit. Bei Bipole III werden die freistehenden Strommasten bis zu 45 Meter hoch sein, dafür wird der Abstand zwischen den Masten bis zu 400 Meter betragen.

Beeindruckender Schlusspunkt der Informationsfahrt

Endpunkt der Informationsfahrt ist ein besonderer Ort: Das Museum für Menschenrechte in Winnepeg. Es ist das einzige Nationalmuseum Kanadas außerhalb der Hauptstadt Ottawa. In einem architektonisch bestechenden Bau wird die Geschichte und die Bedeutung der Menschenrechte in elf Galerien abgebildet. Angefangen bei der elementaren Frage, was genau Menschenrechte sind, wie man sie definieren kann und welche Rolle sie in der Politik spielen -oder spielen sollten. An einer Station wird die Verbindung zum Umweltausschuss offenkundig: in der Ausstellung zur Vorstellung von Menschenrechten bei den indigenen Völkern Kanadas gibt es einen zentralen Gedanken: Mensch, Tier und Pflanzenwelt bilden eine Einheit und beeinflussen sich gegenseitig. Alles was wir tun, hat Auswirkungen, deswegen muss man jedem und allem mit Respekt begegnen. Ein bedenkenswerter Ansatz, gerade für Umweltpolitiker.

Stimmen zur Informationsfahrt

Ausschussvorsitzender Dr. Christian Magerl (Bündnis 90 / Die Grünen) zieht eine positive Zwischenbilanz des Besuchs: „Am bemerkenswertesten war für mich bislang, was wir in der Gemeinde Banff erfahren haben – man kann als Kommune gut im und mit dem Nationalpark leben. Man richtet die Politik auf die Situation aus und die Menschen haben sich offenbar sehr gut damit arrangiert. Beachtlich finde ich auch, dass im Park 93 Prozent als Wildnis ausgewiesen sind, von solchen Größenordnungen sind wir noch meilenweit entfernt. Und faszinierend ist auch wie radikal Alberta, das noch vor einem Jahr den Klimawandel geleugnet hat, die Energiewende angeht. Mit dem Ausstieg aus der Kohlekraft bis 2030 hat Alberta seine Ziele klarer formuliert als Deutschland. Und das obwohl der Anteil der Kohlekraft in Alberta deutlich höher ist, als bei uns. Schön war in Manitoba der Empfang - gerade auf der politischen Ebene. Minister und stellvertretende Minister haben sich sehr viel Zeit genommen, um mit uns zu sprechen. Das Beeindruckendste war aber der Besuch der Baustelle des Converter Station einer für eine neue Starkstrom-Leitung. Wir haben von Praktikern, die HGÜ-Leitungen planen und bauen und betreiben Berichte bekommen, wie das in Manitoba mit HGÜ läuft. Das Erstaunlichste war, dass wir gesehen haben, wie klein HGÜ-Leitungen gebaut werden können. Die sind kleiner als eine Wechselstromleitung bei uns. Das haben wir vorher anders gehört."

Auch für den stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Otto Hünnerkopf (CSU)  stellt sich die Reise als hochgradig informativ dar: „Für mich war natürlich als Bewohner des Steigerwalds das Konzept des Nationalparks Banff von größtem Interesse. Die Begeisterung für die Natur durch gezielten Tourismus im Park zu stärken, ist ein Ansatz, den wir in dem Ausmaß bei uns nicht haben – bis hin zum Einsatz von Schneekanonen zur Verlängerung der Skisaison. Auch der Wildschutz mit Wildbrücken über dem Highway ist vorbildlich, aber man kann das natürlich nicht ohne weiteres auf ein dicht besiedeltes Land wie Deutschland übertragen. Der Ansatz, sich komplett von Kohlekraftwerken zu verabschieden ist ehrgeizig. Vergleichbar mit dem Ausstieg aus der Atomenergie bei uns. Die Frage ist natürlich: wie geht es weiter wenn 70 Prozent der Energie vom Erdgas kommt? Eine endgültige Lösung kann das auch nicht sein. Mir gefällt die Zusammenarbeit beim Thema Energie zwischen bayerischen Universitäten und der Universität Alberta. Vielleicht kann Alberta von unseren Erfahrungen profitieren und hat womöglich auch Interesse an Technologien aus Bayern. In Manitoba gab es zwei Highlights. Die Erkenntnis, dass Winnipeg in einer Ebene liegt, in der Hochwasser verheerend wirken kann. Überschwemmungen können hier bis zu 60 Tage dauern, das war mir so nicht bewusst - das ist hier natürlich völlig anders als bei uns. Wie Winnipeg die Hochwassergefahr mit seinem Floodway-System in den Griff bekommen hat, ist beeindruckend. Die andere interessante Erfahrung war, dass Manitoba seinen Strom über weite Strecken transportieren muss. Hier bewältigt man den Transport über HGÜ-Leitungen schon seit vielen Jahren und das scheint zu funktionieren. Ich denken, wir waren alle überrascht, dass sich die Leitungen kaum von ganz gewöhnlichen Wechselstromleitungen unterscheiden. Diese Erkenntnisse können wir in die weitere Diskussion bei uns einfließen lassen." 

SPD-Fraktion -
Florian von Brunn:


"Natur- und Artenschutz, Klimaschutz und Lebensmittelsicherheit: die Kanadier haben bei allen Unterschieden ganz ähnliche Probleme und Aufgaben. Das machen sie aber mit beeindruckender Transparenz: in Manitoba sind alle umweltrelevanten Entscheidungen  und Dokumente innerhalb von 24 Stunden frei zugänglich im Internet. Das wünsche ich mir auch für Bayern."
Klaus Adelt:
"Mich hat besonders beeindruckt, dass es Kanada schafft, sowohl die Naturschönheiten der Rocky Mountains im Banff Nationalpark zu schützen als auch modernste Technik der Stromübertragung im Einklang mit den Bürgern zu errichten."
Herbert Woerlein:
"Beim Austausch mit Verantwortlichen beispielsweise auch im Tierschutz wurden Gemeinsamkeiten und Unterschiede deutlich, die eine gute Vernetzung und gegenseitige Motivation ermöglichen und die Chance eröffnen, von den Erfahrungen der Partner zu lernen."
Harry Scheuenstuhl:
"Ich war überrascht zu erfahren, dass die Auswirkungen des Klimawandels auch in dem großen Land Kanada bereits offensichtlich werden und finde es positiv, dass beispielsweise die Provinz Manitoba seine Energie zur Stromerzeugung fast ausschließlich aus erneuerbaren Energien, nämlich Wasserkraft, gewinnt und gerade dabei ist, in einem exemplarischen Vorgehen eine weitere HGÜ-Leitung mit neuester Technologie zur Sicherstellung der Stromversorgung zu bauen."

Benno Zierer (FREIE WÄHLER): "Absolut positiv ist der Eindruck, dass ein großes Land wie Kanada erkannt hat, dass beim Umweltschutz und Klimaschutz noch Anstrengungen erforderlich sind, die in die Richtung der Pariser Beschlüsse gehen. Bei der Energiepolitik wäre es sicherlich für Kanada ein Gewinn, sich an unsreren Erfolgen zu orientieren. Als Fazit dieser Ausschussreise nehmen wir mit, dass viele Dinge in diesen Bereichen miteinander schneller verwirklicht werden können. Es muss nicht jeder für sich versuchen, das Rad neu zu erfinden"

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