Dreitägige Präsidiumsreise nach Flandern und Brüssel – Landtagspräsidentin Barbara Stamm: „Präsenz in Brüssel ist entscheidend, um gehört zu werden“

Mittwoch, 22. Juni 2016


Das Präsidium des Bayerischen Landtags befand sich drei Tage lang auf Informationsreise in Belgien. Zunächst waren die bayerischen Abgeordneten Gäste ihrer Kollegen Flanderns, danach waren die Europäischen Institutionen in Brüssel Ziel der Besuche und Gespräche. Angesichts der Entscheidung der britischen Bevölkerung zum EU-Austritt, die am Tag nach der Reise bekannt wurde, konnte man den Aufenthalt der Präsidiumsmitglieder in Brüssel ohne zu übertreiben als historisch bezeichnen.

Die Delegation unter Leitung von Landtagspräsidentin Barbara Stamm wurde zunächst von Koen Verlaeckt, Generalsekretär des Auswärtigen Amtes Flandern, im Amtssitz der flämischen Regierung willkommen geheißen. Verlaeckt freute sich über den Besuch aus Bayern und das große Interesse an einem bilateralen Austausch der Delegation mit Flandern. Von Anfang an mit dabei war Koen Haverbeke, Generaldelegierter der Regierung Flanderns. Seit seinem Antrittsbesuch im Bayerischen Landtag im letzten Jahr war Haverbeke einer der Hauptinitiatoren des Besuchsprogramms. Landtagspräsidentin Barbara Stamm unterstrich in ihrer Tischrede die Bedeutung des regelmäßigen Austauschs zwischen Regionen in Europa: „Der Austausch der Regionen ist von ganz entscheidender Bedeutung, und zwischen Flandern und Bayern hat dieser Austausch auch bereits große Tradition. Es ist wichtig, dass wir innerhalb der großen Europäischen Union die Interessen der ‚kleinen‘ Regionen wahren und damit die Interessen der Bürgerinnen und Bürger, die wir vertreten.“ Pieter vanden Heede erläuterte im Rahmen eines Arbeitsessens die historischen Wurzeln der belgischen Doppelstruktur mit der Wallonie und Flandern mit der Hauptstadt Brüssel.

In Antwerpen traf die Delegation den dortigen Oberbürgermeister, Bart De Wever. De Wever ist zugleich Vorsitzender der flämisch-konservativen Partei N-VA, der derzeit größten Partei Flanderns, die mit Geert Bourgeois derzeit auch den Ministerpräsidenten stellt. Der Hafen Antwerpens, gemessen am Landungsaufkommen der zweitgrößte Europas nach Rotterdam, war im Anschluss Thema beim Gespräch mit Marc van Peel, Vorstandsvorsitzender des Antwerper Hafens. Obwohl an der Scheldemündung gelegen, betrachte sich Antwerpen auch als Rheinhafen dank der gut ausgebauten Kanalverbindung zu diesem Strom.
Der zweite Tag stand zunächst ganz im Zeichen des Parlamentarismus. Flanderns Parlamentspräsident Jan Peumans hieß die Gäste willkommen. Nach dem Eintrag ins Ehrenbuch war das Thema Einbürgerung und Integration zentral bei einer Diskussionsrunde mit Abgeordneten und Fachleuten. Rund 45.000 Menschen hätten 2015 einen Asylantrag in Belgien gestellt, so der Tenor in einem Fachvortrag. Im ganzen Land gibt es rund 35.000 Erstaufnahmeplätze, die aufgrund des Rückgangs der Flüchtlingsströme über die so genannte Balkanroute mittlerweile wieder nur zu 80 % ausgelastet seien. In Sachen Integration scheint Flandern weiter zu sein als die Wallonie. Schon seit mehreren Jahren gibt es das so genannte „Integrationshilfeprogramm“, das mit Sprach- und Kulturkursen verpflichtend ist für alle Asylsuchenden. Bei Nichtteilnahme gibt es Sanktionsmöglichkeiten. Die bayerischen Abgeordneten interessierten sich bei der Diskussionsrunde unter anderem für den Registrierungsgrad der Asylbewerber, für Unterschiede in den Integrationsniveaus und das Einbürgerungsprogramm und berichteten ihrerseits vom deutschen und bayerischen Integrationsgesetz.
Nächste Station der Reise war die Europäische Kommission. Als hochrangiger Gesprächspartner konnte Johannes Hahn, Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen, gewonnen werden. Neben dem britischen Referendum waren die Wahlen in Spanien Thema, aber auch die internationalen Flüchtlingsbewegungen und die Russland-Sanktionen. Hahn appellierte, trotz vieler innenpolitischer Herausforderungen den Blick nach Außen nicht zu vernachlässigen.

Im Anschluss waren die Abgeordneten zum Briefing durch Reinhard Silberberg, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union, geladen. Hier war auch die aktuelle Finanzsituation Griechenlands wieder wichtiger Gesprächsinhalt. Darüber hinaus war die von der EU-Kommission angestrebte Regelung der Einlagensicherung Thema.

Im Rahmen eines Arbeitsfrühstücks mit bayerischen Europaabgeordneten war auch die Agrarpolitik Thema. Anlässlich der Milchkrise berichtete EVP-Agrarkoordinator Albert Deß von den Maßnahmen, die von Seiten seiner Fraktion in die Diskussion eingebracht wurden.

Dr. David Reisenzein, Liaison Officer der EU-Agentur zum Schutz der Außengrenzen FRONTEX, erläuterte im Anschluss daran das Einsatzfeld seiner Behörde und lieferte aktuelle Zahlen zur Flüchtlingssituation, dabei insbesondere in Bezug auf die Mittelmeerrouten. I. Vizepräsident Reinhold Bocklet, der am Donnerstag die Leitung der Delegation übernommen hatte, besprach mit Reisenzein in dem Zusammenhang auch die Situation und die Kommunikation mit Libyen. Darüber hinaus interessierte die Delegation der Umgang mit nicht registrierten Flüchtlingen innerhalb der EU. Ähnliche Themenschwerpunkte ergaben sich auch im Gespräch mit dem Generaldirektor der Generaldirektion Migration und Inneres der Europäischen Kommission, Dr. Matthias Ruete. Vizepräsident Bocklet berichtete in dem Zusammenhang von dem sehr positiv empfundenen Besuch des zuständigen Kommissars Dimitris Avramopoulos im Bayerischen Landtag. Ein weiteres Thema war die Revision der Dublin-Regeln, die derzeit intensiv diskutiert werde, darüber hinaus auch die bessere Vernetzung von Ermittlungsbehörden zur Terrorismus-Bekämpfung.

Den letzten Programmpunkt bildete ein Treffen mit Dr. Hans-Dieter Lucas, Ständiger Vertreter der BRD bei der NATO. Inhalte waren hier unter anderem die NATO-Aktivitäten im Baltikum. Die Abgeordneten interessierten sich auch für das aktuell diskutierte 2%-Ziel vom BIP für Verteidigungsausgaben, aber auch für die Lage in Ägypten und mögliche Folgen des US-Wahlausgangs. Vizepräsident Bocklet diskutierte in dem Zusammenhang auch die aktuelle Lage in Syrien und mögliche politische Lösungen.

Einmal mehr hatte sich gezeigt – und das nicht nur wegen der dann folgenden dramatischen Ereignisse – dass die Präsenz von Landesparlamenten in Brüssel unerlässlich ist. Nur durch den persönlichen Kontakt mit Institutionen und Amtsträgern kann sichergestellt werden, dass die Parlamente der Länder den Stellenwert erhalten und einfordern können, den sie verdienen. /ap

Randspalte

Seitenanfang