Präsidium besucht kanadische Partnerregion Québec

Montag, 9. Oktober 2017
– Von Zoran Gojic –

QUÈBEC CITY.  Die Partnerschaft zwischen dem Freistaat Bayern und der kanadischen Provinz Québec ist eine ganz besondere Beziehung, eine Art Amour Fou; echte Leidenschaft im besten Sinne des Wortes. Davon konnte sich das Präsidium des Bayerischen Landtags bei seiner Informationsreise vom 4. bis zum 9. Oktober 2017 erneut überzeugen. In Kanada sind das die Tage vor und während des  „Thanksgiving“-Feiertages, dort nach Weihnachten das wichtigste Familienfest. Dennoch nahmen sich Abgeordnete und Fachleute mit sichtbarer Freude Zeit für die 10. Sitzung der Gemischten  Parlamentarischen Kommission Bayern-Québec.

Einige der Abgeordneten opferten ihre freien Tage, um die Delegation bei ihrer Rundfahrt zu begleiten. „Fühlen Sie sich hier bei uns wie zuhause, begrüßte Jaques Chagnon, Präsident der Nationalversammlung Québecs, die bayerische Delegation in Québec City. „Wir haben viele gemeinsame Themen und Herausforderungen, und wir können voneinander lernen“, ergänzte Chagnon. Landtagspräsidentin Barbara Stamm stimmte zu: „Québec und Bayern liegen zwar auf verschiedenen Kontinenten, stehen aber vor ähnlichen Herausforderungen. Wie verschafft man Menschen und Unternehmen jenseits der großen Städte Zugang zum Internet? Wie integriert man Menschen, die aus aller Welt kommen und bewahrt dennoch seine Identität? Wie vereinbart man wirtschaftliche Nutzung des Bodens und Naturschutz? Das sind Fragen, auf die wir gemeinsam Antworten finden können.“


Wie steuert man Einwanderung?



Bereits seit April 2002 kommen die Mitglieder der Nationalversammlung von Québec und des Bayerischen Landtags wechselweise in Québec und Bayern zusammen, um sich über gemeinsame Erfahrungen und Strategien auszutauschen. Ziel ist die Förderung gemeinsamer Interessen in Wirtschaft, Sozialpolitik und Umweltschutz. Nach dem Besuch einer Delegation um den Präsidenten der Nationalversammlung Québecs, Jacques Chagnon, in Bayern 2016, reisten nun Landtagspräsidentin Barbara Stamm, die Vizepräsidenten Reinhold Bocklet, Inge Aures, Peter Meyer und Ulrike Gote sowie die Präsidiumsmitglieder Prof. Dr. Peter Paul Gantzer, Hans Herold, Angelika Schorer und Sylvia Stierstorfer nach Québec City.

Im Mittelpunkt der Beratungen standen dieses Mal Zuwanderung, Integration, Digitalisierung, Soziale Medien und die Konzepte für den ländlichen Raum. In der ersten Sitzung informierte Bernard Matte, Amtschef im Ministerium für Einwanderung, Vielfalt und Inklusion, über die Zuständigkeiten im Bereich Einwanderung. Flüchtlinge sind in Kanada Bundessache, bei der Zuwanderung von Fachkräften können die Provinzen eigene Anreize schaffen und Kriterien für die Aufnahme definieren. Der Bund erlaubt insgesamt 300.000 Einwanderer pro Jahr, 50.000 davon für die Provinz Québec. Naturgemäß bevorzugt Québec Menschen, die bereits Französisch beherrschen, bietet aber auch Sprachkurse an, etwa für Flüchtlinge. Der Wirtschaft in Québec geht es gut und trotz der Arbeitslosenquote von sieben Prozent werden Fachkräfte dringend benötigt. Deswegen, so Matte, würden viele Einwanderer sofort eine Arbeit aufnehmen und den Spracherwerb vernachlässigen, was für die langfristige Perspektive in Québec von Nachteil sei, was unter anderem an der überdurchschnittlichen Arbeitslosigkeit für Migranten der ersten Generation ablesbar sei. Allerdings: „Dieses Problem verschwindet mit der zweiten Generation, da gibt es nie Probleme.“

„Sponsoren“ für syrische Flüchtlinge“

Die auch in Kanada zunehmende Anzahl von Menschen, die aus humanitären Gründen aufgenommen werden, bedeutet, dass weniger reguläre Einwanderer kommen können. Für diese gilt nach wie vor das bekannte Punktesystem, bei dem in Absprache mit dem zuständigen Ministerium und den Gewerkschaften die Kriterien laufend überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Bei der Frage der bayerischen Abgeordneten nach der Quote der Rückführungen jener Haitianer, die dieses Jahr illegal aus den USA nach Québec gekommen sind und weder den Einwanderungsstandards entsprechen noch Bleiberecht aus humanitären Gründen haben, räumte der Abgeordnete Stéphane Bergeron ein, dies sei ein Dilemma. Nach einem geltenden Abkommen müsste man diese Menschen in die USA zurückführen, weil sie dort Asyl beantragen müssten. Andererseits sei Kanada bekannt, dass die jetzige US-Regierung angekündigt habe, diese Menschen ausweisen zu wollen. „Menschlich ist das schwierig. Wir können sie ja nicht einfach an der Grenze verkommen lassen“, erklärte Bergeron. Rechtlich sei die Lage eindeutig, menschlich nicht so sehr.

Bei den 40.000 syrischen Flüchtlingen, die Kanada aufgenommen hat, ist die Situation eindeutig: Sie sind gekommen, um zu bleiben, und für sie gibt es klare Regeln. Die kanadische Regierung hat in Flüchtlingslagern vor Ort in Nahost entschieden, welche Menschen sie aufnimmt. Im ersten Jahr gibt es keine staatlichen Zuschüsse in Kanada , dafür kümmern sich Sponsoren um diese Menschen. Das können Privatpersonen sein, aber auch Unternehmen oder Vereine und gelegentlich auch staatliche Einrichtungen. Die Erfahrungen mit diesem Modell seien sehr gut, das private Engagement führt zu einem hohen Maß an Integration, angefangen beim Spracherwerb, aber auch beim gesellschaftlichen Miteinander. Jaques Leroux, Abteilungsleiter für Orientierungen im Ministerium für Einwanderung, Vielfalt und Inklusion, erläuterte, dass man Vielfalt akzeptiere, aber Kooperation erwarte. Wer sich komplett verweigert, hat ein Problem.

Kanada hält am Punktesystem für Zuwanderung fest

Für Québec wie für ganz Kanada sind Zuwanderung und kulturelle Vielfalt eine Selbstverständlichkeit und man akzeptiert das Prinzip unterschiedlicher Lebensmodelle. Sikhh-Polizisten mit Turban oder Sicherheitsangestellte mit Kopftuch gehören hier zum Alltag. „Québec war ein Einwanderungsland und wird es bleiben, um seinen Lebensstandard halten zu können. Die Menschen sind offen für die Menschen, die kommen“, betonte Bergeron. Auch André Lamontagne stimmte zu: „Einwanderer sind für die Menschen kein Problem. Bedenken gibt es nur wegen unkontrollierten Zuzugs.“ Man halte an dem bekannten Punktesystem fest, das in Absprache zwischen dem zuständigen Ministerium und den Gewerkschaften laufend überprüft und angepasst werde. Bergerons Kollege Norbert Morin ergänzte: „Wir brauchen dringend Fachkräfte aus dem Ausland, uns entgehen viele wirtschaftliche Chancen wegen Personalmangels.“ Man stehe in Konkurrenz mit wirtschaftlich potenten Provinzen wie Ontario oder Alberta, die sehr massiv um Einwanderer werben. Allerdings gehen sehr viele der Einwanderer in die großen Zentren des Landes, was die Arbeitsmarktsituation im ländlichen Raum nicht entspannt. Gerade dort werden oft händeringend Fachkräfte gesucht, nicht zuletzt so lebenswichtige wie Ärzte.

Damit war man schon beim zweiten Thema, das sowohl Québec als auch Bayern umtreibt: die Entwicklung des ländlichen Raums, der unter Abwanderung und infrastrukturellen Problemen leidet. Alleine die schiere Größe Québecs, das vier Mal größer ist als Deutschland, bedeutet eine immense Herausforderung in allen Bereichen – von der Digitalisierung bis zur angestrebten Energiewende. Die Landwirtschaft spielt vor allem entlang des Sankt-Lorenz-Stroms eine große Rolle, allerdings sind die genutzten Flächen in der Relation sehr gering. Von den gut 1,5 Millionen Quadratkilometern Fläche werden nur 50.000 Quadratkilometer landwirtschaftlich genutzt. Das entspricht immerhin der Fläche Niedersachsens. Von den 28.500 landwirtschaftlichen Betrieben erwirtschaften die größten 20 Prozent rund 80 Prozent des Umsatzes. In Québec wie in Bayern wird es für kleinere Betriebe also immer schwerer. Die Regierung von Québec hält die gezielte Förderung von Agrotourismus und besseres Marketing lokaler Erzeuger für wichtige Instrumente, um kleinen und mittleren Erzeugern eine Perspektive zu bieten. 

 
Besondere Auszeichnung für den Landtag



Im Rahmen der Arbeitssitzungen nahm Landtagspräsidentin Barbara Stamm eine Auszeichnung entgegen. Christine St.-Pierre, Ministerin für Internationale Beziehungen und Frankophonie der Provinz Québec, überreichte die „Médaille hommage 50e du MRIF“. Mit dieser Auszeichnung werden weltweit herausragende Persönlichkeiten und Organisationen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft für besondere Verdienste in der Zusammenarbeit mit Québec und dem Wirken Québecs auf internationaler Ebene geehrt. Damit geht diese Auszeichnung zum ersten Mal an einen Vertreter des Freistaats und Deutschlands.

„Wir empfinden diese Auszeichnung als besondere Ehre und als Bestätigung für die besonders engagierte und enge Partnerschaft zwischen Bayern und Québec seit mittlerweile 18 Jahren“, erklärte Barbara Stamm. „Aber ich sehe diese Medaille auch als Auftrag für kommende Generationen von Parlamentariern in Bayern und Québec, diese wertvolle Freundschaft auch weiterhin zu pflegen und zu vertiefen“, ergänzte die Landtagspräsidentin. Die „Médaille hommage 50e du MRIF“ wurde 2017 anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Ministeriums für Internationale Beziehungen und Frankophonie der Provinz Québec gestiftet und wurde bislang 16 Mal überreicht. Sie wird insgesamt nur 50 Mal vergeben.

Treffen mit Premierminister und Oppositionsführer

Als Zeichen der besonderen Wertschätzung für die Beziehungen zwischen Bayern und Québec waren auch die Termine mit Premierminister Philippe Couillard und Oppositionsführer Jean-Francois Lisée zu verstehen. Trotz laufender Sitzungswoche im Parlament nahmen sich beide Zeit, um mit den bayerischen Kollegen aktuelle politische Entwicklungen zu diskutieren. Während Oppositionsführer Lisée sich besonders um die Entwicklung in Spanien sorgte und davor warnte, die Eigenständigkeit der Regionen leichtfertig zu ignorieren, interessierte sich Premier Couillard vor allem für die Folgen der Bundestagswahl in Deutschland. Beide Politiker überraschten mit viel Kenntnis über europäische und deutsche Politik und das aufrichtige Interesse an der Position Bayerns zu aktuellen politischen Fragen.

Besuche bei Modellprojekten vor Ort

Zum Abschluss der Reise informierte sich die Delegation vor Ort über besondere ökologische, soziale und wirtschaftliche Projekte in Québec. So besuchten die bayerischen Abgeordneten beispielsweise das Biosphärenreservat Charlevoix, in dem im Juni 2018 der G7-Gipfel stattfinden wird. Dort verbindet der gemeinnützige Trägerverein unter Einbeziehung von ortsansässigen Firmen und der Verwaltung Umweltschutz mit nachhaltigem Wirtschaften und  naturnahem Tourismus. Durch gezielte Aufforstung und effiziente Nutzung von Ressourcen soll hier dem Klimawandel entgegen gewirkt werden. Das Biosphärenreservat ist finanziell unabhängig und investiert erzielte Gewinne in pädagogische und sozialwirtschaftliche Projekte. Landtagspräsidentin Barbara Stamm zeigte sich beeindruckt von dem Projekt: „Hier wird sehr pragmatisch schnell umgesetzt, was möglich ist, und gleichzeitig eine langfristige Strategie verfolgt. Die Mentalität des Handelns statt Redens ist hier in Québec klar zu erkennen. Das ist ein guter Ort, um über unser Zukunft und unsere Ziele zu sprechen.“

Über die Zukunft der Partnerschaft Bayerns mit Québec wird man schon sehr bald wieder in Bayern sprechen – die Politiker aus Québec haben bereits ihren Gegenbesuch für das kommende Frühjahr angekündigt.

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