Erster länderübergreifender Holocaust-Gedenktag in Tschechien

Freitag, 27.Januar 2017

Von Zoran Gojic – 

Mit einem bewegenden Gedenkakt im tschechischen Theresienstadt hat eine Delegation des Bayerischen Landtags gemeinsam mit dem Parlament Tschechiens und der Föderation der Jüdischen Gemeinden der Tschechischen Republik die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft geehrt. Am 27. Januar 2017, dem internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, wurde im ehemaligen Ghetto und Konzentrationslager Theresienstadt der Verfolgten, Gequälten und Toten des Nazi-Terrors erstmals länderübergreifend gedacht.

Mit diesem transnationalen Trauerakt wollten der Bayerische Landtag und die Stiftung Bayerische Gedenkstätten bewusst ein Zeichen für die Zusammenarbeit und Versöhnung in Europa setzen. Bereits am Vormittag wurde die besondere Bedeutung dieses Tages deutlich, als Landtagspräsidentin Barbara Stamm im Tschechischen Senat ein Grußwort bei der zentralen Gedenkveranstaltung der jüdischen Gemeinden sprechen durfte: „Ich bedanke mich, dass wir hier bei Ihnen zu Gast sein dürfen. Ich weiß, dass es vielen von Ihnen auch Überwindung gekostet hat, denn ihre Heimat hat unter den Verbrechen der Nationalsozialisten früh und ganz besonders gelitten. Seien sie versichert: Der Bayerische Landtag ist sich dieser großen Geste der Versöhnung sehr bewusst. Wir wissen sie mit ganzem Herzen zu schätzen.“

Es sind die Unterschiede, die uns bereichern

Milan Stech, Vorsitzender des Senats, mahnte davor, die Gefahr der Vergangenheit als überwunden zu wähnen: „Genauso wichtig wie die Erinnerung ist das Denken an die Zukunft. Wir sitzen langfristig auf einer Zeitbombe, wenn es uns nicht gelingt, in Europa den sozialen Frieden zu sichern und so eine tolerante Gesellschaft zu erhalten.“ Auch Petr Papousek, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinden in der Tschechischen Republik, appellierte daran, wachsam zu bleiben: „Die Menschen glauben zunehmend an scheinbar einfache Lösungen. Wir müssen gegen diese Populisten aufstehen.“ Der Musiker Radoslav Banga beschwor als Vertreter der Sinti und Roma die Vielfalt der Kulturen: „Es sind die Unterschiede, die uns bereichern, nicht die Gleichheit.“

Anschließend legten Bayern und Tschechen in Leitmeritz, einem ehemaligen Außenlager des KZ-Flossenbürg, Kränze für die gut 4500 Menschen nieder, die dort den Tod gefunden haben. Insgesamt waren rund 18.000 Menschen als Zwangsarbeiter in Leitmeritz eingesetzt, um in unterirdischen Produktionsstätten Rüstungsgüter zu bauen.

Gemeinsames Gedenken in Theresienstadt

Der zentrale Gedenkakt wurde dann in Theresienstadt begangen, wo Jan Bartosek, stellvertretender Vorsitzender des Abgeordnetenhauses in Tschechien, von einer historischen Stunde sprach: „Ich erachte es als große Ehre, gemeinsam mit der Präsidentin des Bayerischen Landtags der Opfer des Holocaust zu gedenken.“ Auch Miluse Horska, Vizepräsidentin des Tschechischen Senats, hob die spezielle Konstellation dieses Tages hervor: „Es wäre den Opfern dieses Ortes eine Genugtuung, wenn Sie wüssten, dass ihrer von uns allen gemeinsam gedacht wird.“ Die deutsch-tschechische Erklärung, die sich heuer zum 20. Mal jährt, sei ein Neustart für die Beziehungen zwischen beiden Ländern. Landtagspräsidentin Barbara Stamm zeigte sich bewegt angesichts des Trauerakts an den historischen Orten: „Auch mehr als 70 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager ist der Blick zurück auf die Verbrechen, die hier geschehen sind, einfach nur entsetzlich. Beinahe möchte man vor Trauer und Scham erstarren, besonders wenn man aus Deutschland kommt. Aber wir sind es den Opfern schuldig, uns gemeinsam zu erinnern.“

Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, dankte für die Gelegenheit, sich gemeinsam zu erinnern, und rief zu mehr Zusammenarbeit der demokratischen Regierungen in Europa auf. Der eindringlichste Moment gehörte dem Überlebenden Miroslav Kubik, der seine Flucht in den letzten Kriegstagen schilderte. Ein deutscher Mithäftling half ihm dabei, versorgte ihn mit Essen, suchte Schlafplätze und brachte ihn sicher bis zur Grenze.

„Hier wird ein Stück Geschichte geschrieben

Bereits am 26. Januar 2017 wurde das gemeinsame Gedenken mit einer Veranstaltung in der deutschen Botschaft in Prag eingeleitet. Es wurden Auszüge der Fotoausstellung „KZ überlebt“ von Stefan Hanke gezeigt, die zuvor bereits im Bayerischen Landtag zu sehen war. Dieses Jahr gastiert die gesamte Ausstellung im Kulturministerium der Tschechischen Republik. Hansjörg Haber, Geschäftsträger der Botschaft, wies auf die große Rolle Bayerns bei der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Tschechien hin: „Nicht zuletzt wegen des bayerischen Engagements sind unsere Erwartungen an die deutsch-tschechischen Beziehungen übertroffen worden. Wir sind heute wirklich gute Nachbarn, das hätte man vor einiger Zeit nicht für möglich gehalten.“ Landtagspräsidentin Barbara Stamm betonte in ihrem Grußwort die Bedeutung eines länderübergreifenden Gedenkens: „Vor allem bedanke ich mich dafür, dass wir hier ein Stück Geschichte schreiben können: Ich freue mich wirklich sehr, dass Tschechien und Bayern heuer erstmals gemeinsam der Opfer des Nationalsozialismus gedenken. Gerade in diesen Zeiten, in denen es auf der ganzen Welt so viele Konflikte und schwierige Probleme gibt, tut ein solches Zeichen der Verbundenheit und der Versöhnung einfach gut, macht Mut und Hoffnung!“ Tschechiens Kulturminister Daniel Herman erklärte, Erinnerungskultur sei für ihn ein Kernthema und unabdingbar für eine funktionierende Zivilgesellschaft: „Bayern und Tschechen erinnern sich gemeinsam an die Opfer – das ist ein wichtiges und starkes Signal, das zu unserer Freundschaft beiträgt.“

Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, bedankte sich ausdrücklich für das zahlreiche Erscheinen von Abgeordneten des Bayerischen Landtags: „Es freut mich sehr, dass Vertreter aller Fraktionen nach Tschechien gekommen sind und gemeinsam an dem Gedenkakt teilnehmen. Das ist eine klare Botschaft – und eine Absage an alle extremistischen Kräfte, die sich derzeit wieder auszubreiten scheinen.“

 

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