Präsidentenkonferenz in Brüssel

27. November 2017

BRÜSSEL.         In Brüssel ist die Europakonferenz der Spitzen der Landesparlamente zu Ende gegangen. Teilgenommen haben die Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen und österreichischen Landesparlamente sowie des Südtiroler Landtages, des Deutschen Bundestages und des deutschen und österreichischen Bundesrates unter Beteiligung der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Schwerpunkte der Beratungen waren das Weißbuch zur Zukunft Europas und die Europäische Nachbarschaftspolitik. An der Europakonferenz nahmen neben anderen auch der Kabinettchef des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, Martin Selmayr, EU-Kommissar Dr. Johannes Hahn und der Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen, Karl-Heinz Lambertz, teil.

Im Rahmen der Konferenz wurde die folgende "Brüsseler Erklärung" von den Präsidentinnen und Präsidenten verabschiedet:

Brüsseler Erklärung

der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen und österreichischen Landesparlamente und des Südtiroler Landtags unter
Beteiligung des Parlaments der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens anlässlich der 2. Europa-Konferenz am 26. und 27. November 2017 in Brüssel zum durch das Weißbuch angestoßenen Prozess zur Zukunft Europas


1.    Die Präsidentinnen und Präsidenten begrüßen den von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament angestoßenen Diskussionsprozess zur Zukunft der Europäischen Union und die im Weißbuch angeregte und derzeit stattfindende Einbeziehung der Regionen in diesen Prozess.

2.    Sie sehen es als ihren Auftrag an, sich engagiert weiter an der zukünftigen Ausrichtung der Europäischen Union im Rahmen ihrer Integrationsverantwortung zu beteiligen. Sie erklären, den Prozess konstruktiv und unter Einbeziehung der Abgeordneten der jeweiligen Landesparlamente und der Bürgerinnen und Bürgern begleiten zu wollen. Die Landesparlamente stellen für die europapolitischen Themen eine Öffentlichkeit her und damit die regionale Bedeutung dieser Sachverhalte heraus. Mit ihrer Erklärung wollen die Präsidentinnen und Präsidenten ein positives Signal setzen und dazu beitragen, die Europäische Union von innen heraus mit neuer Legitimität zu versehen.

3.    Die Präsidentinnen und Präsidenten bekennen sich ausdrücklich zu einer starken, friedens-, freiheits-, werte- und wohlstandssichernden Europäischen Union, die nicht durch erstarkende nationalistische Tendenzen gefährdet werden darf.

4.    Nach Auffassung der Präsidentinnen und Präsidenten sind die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Szenarien des Weißbuchs, die unterschiedliche Wege zur Weiterentwicklung der EU vorschlagen sowie das vom Präsidenten der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker in seiner Rede vom 13. September 2017 skizzierte persönliche Szenario mit den Grundprinzipien Freiheit, Gleichberechtigung, Rechtsstaatlichkeit, eine erste Diskussionsgrundlage für den künftigen Weg der Europäischen Union, die den Landtagen die Möglichkeit eröffnet, sich im Einzelnen politisch zu positionieren. Die Präsidentinnen und Präsidenten sprechen sich dafür aus, die Debatte über die Zukunft Europas nicht abstrakt, sondern bezogen auf konkrete Politikbereiche zu führen. Dabei sollte die Frage im Vordergrund stehen, in welchen Politikbereichen ein Handeln der Europäischen Union erforderlich ist und welche Kompetenzbereiche besser auf Ebene der Nationalstaaten, der Regionen und der Kommunen behandelt werden können.

5.    Die Europäische Union der Zukunft muss das Subsidiaritätsprinzip strikt wahren. Sie hat sich daher auf die Bereiche zu beschränken, bei denen auf europäischer Ebene ein substantieller Mehrwert gegenüber nationalen, regionalen oder kommunalen Regelungen besteht.

Dazu gehören insbesondere:

•    die Schaffung von Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wachstum, Innovation und Wohlstand sowie ein hohes Beschäftigungsniveau;
 
•    die soziale Dimension Europas unter Beachtung nationaler und regionaler Unterschiede und Zuständigkeiten;

•    die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik;

•    der effektive Schutz der Außengrenzen mit dem Ziel offener Binnengrenzen;

•    der gemeinsame Kampf gegen Terrorismus, Extremismus und organisierte Kriminalität, um die Freiheit und Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gewährleisten zu können;

•    die Bekämpfung der Flucht- und Auswanderungsursachen in den Herkunftsländern von Migrantinnen und Migranten sowie eine gemeinsame Steuerung der Migrationsströme nach Europa;

•    die Digitalisierungs- und Datenschutzpolitik;

•    die Forschungs- und Entwicklungspolitik;

•    die Schaffung von Bedingungen zur vollen Ausschöpfung der Vorteile der Wirtschafts- und Währungsunion sowie die Wahrung der Stabilität des europäischen Finanzsystems;

•    die Kohäsionspolitik;

•    die Beibehaltung der Führungsrolle beim Umwelt- und Klimaschutz.

Genereller Ausgangspunkt muss die rechtliche Kompetenzverteilung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten sein, wie sie durch die nationalen Verfassungen und die EU- Verträge festgelegt und durch das Subsidiaritätsprinzip geschützt ist. Dazu gehört insbesondere die Budgethoheit der Gebietskörperschaften.

6.    Bei der künftigen Entwicklung der Europäischen Union ist in besonderem Maße auf die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und der gemeinsamen europäischen Werte zu achten. Grundlegend ist die Stärkung der Demokratie in Europa. Demokratisch legitimierte Institutionen, wie die Parlamente, müssen gestärkt werden, etwa indem das Europäische Parlament das Recht erhält, eigene Gesetzesvorschläge einzubringen.

7.    Die Präsidentinnen und Präsidenten betonen, dass die Wahrung der institutionellen Rechte der Regionen mit Gesetzgebungskompetenz im Gefüge der Europäischen Union wichtig ist, um ihrer verfassungsmäßigen Rolle in der europäischen Mehrebenendemokratie nachkommen zu können. Eine Stärkung ihrer Rechte korreliert mit einer höheren Akzeptanz bei der Bevölkerung der Regionen.

Die institutionellen Rechte der Regionen sollten insbesondere wie folgt gestärkt werden:

•    Stärkung der Aufgaben und Verbesserung der Beteiligungsmöglichkeiten des Ausschusses der Regionen;

•    Verlängerung der 8-Wochen-Frist für die Subsidiaritätsprüfung auf 12 Wochen;
 
•    Absenkung des Quorums der „gelben Karte“ im Rahmen des Subsidiaritätsfrühwarnsystems;

•    Einführung einer „roten Karte“, wonach ein Rechtsetzungsvorschlag hinfällig wäre, wenn eine Mehrheit der nationalen Parlamente eine Subsidiaritätsrüge erhebt;

•    der Bedeutung eines Verfassungsorgans angemessene Berücksichtigung der Stellungnahmen der Landesparlamente und eine detailliertere Aufnahme in die künftigen Subsidiaritätsjahresberichte;

•    Beteiligung eines Abgeordneten der regionalen Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnis an der Task Force Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit unter Vorsitz des Ersten Vizepräsidenten der Europäischen Kommission Frans Timmermans;

•    Intensivierung des begonnenen Dialogs unter anderem durch regelmäßige Teilnahme einer hochrangigen Vertreterin oder eines Vertreters der Europäischen Kommission an den Konferenzen der Präsidentinnen und Präsidenten;

•    individuelle Prüfung der Stellungnahmen der Landesparlamente in Konsultationsverfahren und eine ihrer demokratischen Legitimierung und ihrem gesellschaftlichen Gestaltungsspielraum entsprechende Berücksichtigung und Responsivität bei der Auswertung des Ergebnisses. Dazu ist es nach der Überzeugung der Präsidentinnen und Präsidenten notwendig, die Beteiligungsform der Konsultationen der Europäischen Kommission zu einer echten Mitgestaltungsmöglichkeit für gesetzgebende Körperschaften auf subnationaler Ebene weiter zu entwickeln.

8.    Der Vorsitz der deutschen und österreichischen Landtagspräsidentenkonferenz übermittelt diese Erklärung an den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Herrn Antonio Tajani, den Präsidenten des Europäischen Rates, Herrn Donald Tusk, den Präsidenten der Europäischen Kommission, Herrn Jean-Claude Juncker, den Ersten Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Herrn Frans Timmermans, Herrn Kommissar Günther Oettinger, Herrn Kommissar Johannes Hahn, den Präsidenten des Ausschusses der Regionen (AdR), Herrn Karl-Heinz Lambertz, den Präsidenten der Konferenz der regionalen gesetzgebenden Versammlungen in der Europäischen Union (CALRE), Herrn Juan Pablo Durán, sowie an die nationalen und regionalen Regierungen und die nationalen Parlamente in Deutschland und Österreich.

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