Bayern übernimmt Federführung bei Landtagspräsidentenkonferenz

Dienstag, 12. Juni 2018

– Von Susanne Beer –

SCHLOSS ETTERSBURG/ WEIMAR. Die Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente, des Deutschen Bundestages und des Bundesrates hat vom 10. bis 12. Juni 2018 auf Schloss Ettersburg bei Weimar getagt. Im Rahmen der Veranstaltung hat der Präsident des Thüringer Landtags, Christian Carius, den Staffelstab der Landtagspräsidentenkonferenz an Präsidentin Barbara Stamm übergeben. Damit liegt die Federführung in der Landtagspräsidentenkonferenz nun für ein Jahr in den Händen Bayerns.

Die Landtagspräsidenten werden sich Ende Januar 2019 zu Ihrer jährlichen Europakonferenz in Brüssel wiedersehen. Die jährliche Sommerkonferenz der Präsidentinnen und Präsidenten im Juni 2019 wird dieses Mal als gemeinsame deutsch-österreichische Konferenz im unterfränkischen Würzburg stattfinden. Vorbereitet werden die Präsidentenkonferenzen durch die Konferenz der Direktorinnen und Direktoren der deutschen Landesparlamente. Diese werden im November 2018 in Augsburg und im April 2019 in Bamberg durchgeführt.

Die diesjährige Sommerkonferenz stand ganz im Zeichen der Digitalisierung. Die Landtagspräsidentenkonferenz verabschiedete dazu die „Ettersburger Erklärung der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente.“

Ettersburger Erklärung der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente

Die Parlamente in der digitalen Gesellschaft
Im Jahre 2013 haben die Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen der österreichischen Landesparlamente und des Südtiroler Landtages in der „Kremser Erklärung“ festgestellt, dass die moderne Informationsgesellschaft und ihre Instrumente den Landesparlamenten die Chance bieten, die Bürgerinnen und Bürger in neuer Qualität zu informieren und zu beteiligen. In der im Jahr 2015 verabschiedeten Erklärung von Heiligendamm haben sie zudem eine „politische Diskussion über die ethischen Grundlagen für den digitalen Staat“ eingefordert.
Die Präsidentinnen und Präsidenten sehen sich in der Entwicklung der Chancen und Risiken bestätigt. Sie begrüßen die neuen Möglichkeiten, die der digitale Wandel für die Bürgerinnen und Bürger bringt, ohne die Probleme zu verkennen, die mit der Digitalisierung einhergehen. Deshalb sehen sie die Notwendigkeit der aktiven Gestaltung der Digitalisierung durch die Parlamente.

I. Repräsentative Demokratie und Öffentlichkeit
Vor diesem Hintergrund richten sie ihren Blick zuerst auf die Voraussetzungen des Funktionierens demokratischer Ordnung:

1.       Der demokratische Verfassungsstaat ist ein Staat der Bürgerinnen und Bürger. Wahlen durch das Volk legitimieren die Ausübung aller Staatsgewalt. Die Parlamente repräsentieren das Volk und damit den Souverän; sie sind die „Herzkammern“ des demokratischen Staates. Auch erhalten Minderheitsmeinungen durch ihre Abbildung im Parlament die Möglichkeit, sich stärker in die politische Willensbildung mit einzubringen und dafür zu werben, selbst einmal zur Mehrheit zu werden.

2.       Politik ist auf den öffentlichen Diskurs angewiesen. Die Funktionstüchtigkeit des repräsentativ-demokratischen Rechtsstaats erfordert deshalb den dauerhaften Bestand einer informierten und politisch partizipierenden Öffentlichkeit. Der beständige Dialog zwischen Parlament und Gesellschaft hält das Miteinander von Volk und Staatsorganen transparent, rational und kontrolliert. Die Rahmenbedingungen dieses Dialogs auch in der digitalen Gesellschaft zu gewährleisten, ist auch Aufgabe aller Staatsorgane, insbesondere der Parlamente und der Abgeordneten.
 
3.       Die rasante technologische Entwicklung prägt durch die Digitalisierung immer weiterer Lebensbereiche die soziale Struktur und Kultur in der Bevölkerung; bestehende Kommunikationszusammenhänge lösen sich auf, während sich gleichzeitig neuartige Kommunikationswege auftun. Die Erschließung des digitalen Raums als eines Forums politischer Teilhabe ist grundsätzlich bereichernd. Sie kann eine unmittelbarere Kommunikation zwischen dem Volk und seinen Abgeordneten fördern. Die Nutzung digitaler Möglichkeiten durch den Staat stärkt und beschleunigt seine Aufgabenerfüllung, die möglichst gut mit den Bürgerinnen und Bürgern rückgekoppelt werden muss. Es ist aber auch festzuhalten, dass bei Weitem nicht alle Bevölkerungsteile dieser rasanten technologischen Entwicklung folgen können.
Auch daraus folgt, dass diverse problematische bis gefährliche Akteure die Kommunikation in den sozialen Netzwerken nutzen, um gesellschaftliche Meinungsbildungsprozesse zu manipulieren. Insbesondere die Anwendung intelligenter netzwerkbasierter Systeme, die natürliche Personen vortäuschen („Social Bots“) sowie der intransparente Einsatz von Algorithmen (z.B. Verzerrung von Suchergebnissen und selektive „Newsfeeds“) fallen dabei ins Auge. Hier sind die Parlamente nicht nur als Gesetzgeber herausgefordert; auch der Parlamentarismus als solcher muss sich den veränderten Anforderungen in einer digitalisierten Welt stellen.
 
II.       Digitalisierung als Herausforderung für die demokratische Öffentlichkeit

4.       Die Präsidentinnen und Präsidenten nehmen insbesondere folgende mit der Digitalisierung einhergehende Veränderungen der demokratischen Öffentlichkeit wahr:
 
4.1     Sie nehmen zur Kenntnis, dass nur ein geringer Teil der im Internet verfügbaren Informationen professionell journalistisch aufbereitet wird. Manche Akteure verletzen vor allem in sozialen Medien unerlässliche Umgangsregeln. Die Auseinandersetzung im Netz ist partiell von der Behauptung falscher Tatsachen geprägt, aggressiv, verletzend und viel zu oft hasserfüllt. Zudem erfolgen zahlreiche Wortmeldungen und Debattenbeiträge anonym. Dabei kann die potentiell hohe Reichweite der Äußerungen das Problem verschärfen.
Die Präsidentinnen und Präsidenten betonen daher ausdrücklich die herausragende Verantwortung unabhängiger Medien bei der Vermittlung politischer Inhalte. Die journalistischen Maßstäben entsprechende Aufbereitung von Informationen durch freie Medien ist für die Funktionsfähigkeit des repräsentativen Regierungssystems nach wie vor unerlässlich.
4.2     Die individuelle Verantwortung für das Handeln im Netz droht zu verschwimmen. Gleichzeitig verspricht die digitale Kommunikation erleichterte Beteiligung von Einzelnen oder Gruppen. Dies werten die Präsidentinnen und Präsidenten grundsätzlich als positiv. Sie stellen aber gleichzeitig fest, dass manche Netzakteure die Teilnahme am Meinungsbildungsprozess mit einem Anspruch auf Durchsetzung der eigenen Vorstellungen gleichsetzen. Ein Klick im Netz ersetzt jedoch nicht die komplexe Entscheidungsfindung in der repräsentativen Demokratie, die auch mit der Bereitschaft zum Ausgleich der Interessen und zum Kompromiss verbunden sein muss.
4.3     Der Staat muss die Verfassungsordnung auch in digitalen Räumen gewährleisten. Rechtsfreie Räume, und seien sie virtuell, darf der demokratische Staat nicht zulassen. Auch die Anbieter großer sozialer Netzwerke haben eine gesellschaftliche Mitverantwortung für die demokratische Diskussionskultur hinsichtlich der auf ihren Plattformen verbreiteten Inhalte.
 
III.      Parlamente als Akteure in der digitalen Gesellschaft
5.       Die Parlamente müssen sich einer demokratischen Öffentlichkeit stellen, die im Wandel begriffen ist. Um diesen Veränderungen zu entsprechen, wirken die Präsidentinnen und Präsidenten auf die Erreichung folgender Ziele und Maßnahmen hin:

5.1     Dazu gehört die Befassung parlamentarischer Gremien mit Fragen der Digitalisierung in der demokratischen Öffentlichkeit, wie zum Beispiel:
•     Möglichkeiten der Nutzung digitaler Medien für die Anliegen der parlamentarischen Demokratie,
•    Kennzeichnung der Ziele des Einsatzes algorithmenbasierter Verfahren,
•    Offenlegung der Wirkweisen algorithmenbasierter Entscheidungs-verfahren,
•     Kodex für den ethischen Umgang mit Algorithmen,
•     Transparenz bei der Nutzung persönlicher Daten durch den Algorithmeneinsatz großer privater Nachrichtenaggregatoren (z.B. Google News, Facebooks Newsfeed).
5.2     Die Parlamente stellen sicher, Informationen und Wissen als Grundlage demokratischer Prozesse auch bei Verwendung der neuen digitalen Möglichkeiten in verlässlicher Qualität zur Verfügung zu stellen.
 
5.3     Den Parlamenten stehen unterschiedliche Formen der Kommunikation und Beteiligung mithilfe der Nutzung neuartiger digitaler Kommunikationswege zur Verfügung. Sie eröffnen mit ihren eigenen digitalen Informationsangeboten einen umfassenden, authentischen und zeitnahen Zugang zu den im parlamentarischen Diskurs ausgetauschten Positionen. Um den Austausch zwischen Parlament und Bürgerinnen und Bürgern zu stärken, werden unterschiedliche Wege der Beteiligung und des Dialogs mithilfe neuer Medien beschritten und erprobt.
5.4     Die Parlamente wirken auf eine weitere Sensibilisierung der Bevölkerung im Umgang mit digitalen Medien hin, die langfristig an die Stärkung der politischen Bildung in den Schulen und der Gesellschaft im Ganzen und den Ausbau der individuellen Medienkompetenz geknüpft ist.
Die Präsidentinnen und Präsidenten begrüßen die digitale Kommunikation als Chance für eine lebendige und bürgernahe Demokratie und betonen ihren Willen, diese neuen Möglichkeiten mitzugestalten. Sie halten unverändert an dem Ziel fest, die Instrumente der modernen Informationsgesellschaft in einer Weise zu nutzen, welche die parlamentarische Demokratie festigt.
 
IV.     Europäischer Datenschutz
Seit dem 25. Mai 2018 wird die Verordnung (EU) 2016/679 (Datenschutz-Grundverordnung) europaweit angewendet. Sie unterwirft die Bearbeitung personenbezogener Daten neuen Regeln und hat Auswirkungen für alle, die innerhalb der Europäischen Union mit personenbezogenen Daten arbeiten.
Die Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente begrüßen die mit der Datenschutz-Grundverordnung erreichte vereinheitlichte Anwendung des europäischen Datenschutzrechts. Die neuen Regeln ermöglichen ein hohes Schutzniveau für personenbezogene Daten und verankern das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung im Alltag.
Zugleich beobachten die Präsidentinnen und Präsidenten, dass die Anpassung der Verarbeitung personenbezogener Daten an die Datenschutz-Grundverordnung erhebliche Anstrengungen erfordert.
Die Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente betonen, dass die praktische Ausgestaltung der Datenschutz-Grundverordnung mit der europaweiten Anwendung seit dem 25. Mai 2018 nicht abgeschlossen ist. Vielmehr ist sie ein lebendiger Prozess, der sich durch Diskussionen und Anpassungen auszeichnet, mit dem Ziel, Verständnis und Akzeptanz der Betroffenen zu erhöhen.
 


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