Landtagspräsidium besucht Berlin

19. Juni 2018

- Von Zoran Gojic -

BERLIN.     Zum ersten Mal wehte vor dem Berliner Abgeordnetenhaus, dem Parlament des Landes Berlin, die Fahne des Freistaats Bayern. Anlass war der Besuch des Präsidiums des Bayerischen Landtags. Berlins Parlamentspräsident Ralf Wieland jedenfalls konnte keine Berichte über eine frühere bayerische Beflaggung finden. Womöglich gab es zuvor auch keinen Grund dafür: Bayerns Landtagspräsidentin Barbara Stamm jedenfalls war sich recht sicher, dass noch nie ein Präsidium aus Bayern offiziell das Abgeordnetenhaus besucht hat. Beim gemeinsamen Gespräch wurde man sich schnell einig, dass man sich öfter treffen sollte, um sich auszutauschen. Zur Stärkung des föderalen Systems der Bundesrepublik Deutschland sollten die Landtage eng miteinander zusammenarbeiten, nicht nur im Rahmen der regelmäßigen Landtagspräsidentenkonferenzen, die 2019 in Bayern abgehalten wird.

Föderalismus hat sich bewährt

Anschließend folgte der Besuch des Verfassungsorgans, das stellvertretend für den deutschen Föderalismus steht – den Bundesrat, der seinen Sitz gleich neben dem Berliner Abgeordnetenhaus hat. Dr. Georg Kleemann, stellvertretender Amtschef des Bundesrates, hob die Bedeutung des Bundesrates für den Föderalismus hervor, betonte aber auch, dass sich das Haus in den letzten Jahren stark gewandelt habe. „Das Haus ist bunter geworden, bei 16 Bundesländern haben wir 13 verschiedene Regierungskonstellationen, das ist ein großer Unterschied zu früheren Zeiten als es zwei große Blöcke gab.“ Das habe auch Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren. Der Vermittlungsausschuss werde kaum noch angerufen, in der letzten Wahlperiode genau zwei Mal. „Wenn abzusehen ist, dass es bei zustimmungspflichtigen Gesetzen keine Mehrheit gibt, wird der Gesetzentwurf meist gar nicht eingebracht.“ Dies bedeute jedoch keinen Stillstand, eher im Gegenteil. In der letzten Wahlperiode wurden von 555 eingebrachten Gesetzen 551 beschlossen. Verändert habe sich auch die Transparenz des Abstimmungsverhaltens. Mittlerweile informieren alle Länder darüber, wie sie abstimmen, mitunter sogar vorab. Das föderale System habe sich bewährt, erklärte Kleemann, der gerade im Funktionieren des Bundesrates trotz einer vielschichtiger gewordenen  Parteienlandschaft einen Beleg dafür sieht, dass der Föderalismus robuster sei, als oft behauptet werde.


Besuch bei Innenminister Seehofer

Ebenfalls auf dem Programm stand ein Treffen mit Bundesinnenminister Horst Seehofer, der sich trotz der turbulenten politischen Situation über eine Stunde Zeit für die Gäste aus der bayerischen Heimat nahm. – auch wenn der erste Kontakt mit dem Landtag nach dem Ausscheiden unerfreulich gewesen sei. „Ich habe einen Brief bekommen, in dem ich aufgefordert wurde 400 Euro für versäumte Sitzungen zu bezahlen“, erklärte Seehofer unter dem Gelächter der Delegation. Sein Ministerium mit 2000 Mitarbeitern und 70 000 weiteren Beschäftigten in nachgeordneten Behörden habe ein gewaltiges Aufgabenspektrum, dennoch stehe derzeit vor allem die Diskussion um die Migrationspolitik im Blickpunkt, wie Seehofer einräumte und legte die unterschiedlichen Positionen und mögliche Lösungsansätze dar. Auf Nachfragen der Präsidiumsmitglieder begrüßte er die Idee eines gemeinsamen europäischen Weges, denn dies sei „immer die beste Lösung, wenn sie wirksam ist“.
Dennoch bekräftigte er, dass Deutschland handeln müsse, wenn es zu keiner europäischen Verständigung komme. Eine Lösung innerhalb der EU müsse auf jeden Fall solidarisch sein und den Staaten im Süden des Kontinents gerecht werden, die naturgemäß die größten Herausforderungen bei den Migrationsbewegungen zu meistern haben.

Dialog und Zusammenhalt war auch das vorherrschende Thema beim abendlichen Empfang „Gespräch zwischen Spree und Isar“ in der Berliner Vertretung des Freistaats Bayern. Erstmals fungierte das Präsidium als Gastgeber und Barbara Stamm forderte zum Gespräch und Austausch zwischen Politik und Zivilgesellschaft auf. „Wir nehmen unsere Verantwortung ernst und bieten hier eine Plattform für Ideenaustausch“, sagte Stamm.

Verkehrsminister fordert auf, Förderprogramme abzurufen

Am zweiten Tag der Informationsfahrt folgte nach einem beeindruckenden Besuch der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen – einer früheren Haftanstalt der Staatssicherheit der DDR für politische Gefangene – der Besuch des Ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Minister Andreas Scheuer versicherte trotz aktueller Diesel-Schlagzeilen Zukunftstechnologien nicht aus dem Auge zu verlieren. Mobilität sei ein Zukunftsthema und es gebe viele unterschiedliche Möglichkeiten, die sich ergänzen könnten. So sei es möglich durch vergleichsweise preiswerte moderne Wasserstoffzüge teure Elektrifizierungen kleinerer Nebenstrecken zu vermeiden. Es gebe unzählige Förderprogramme für alternative Fortbewegungsmittel, die aber zu selten abgerufen werden würden. „Da gibt es dann keinen Stellplatz in der Gemeinde, wenn wir eine Wasserstoff- oder Elektroladestation aufstellen wollen. Da müssen die Verantwortlichen vor Ort tätig werden“, sagte Scheuer, der zudem die Abgeordneten wegen einer möglichen Maut auf landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge beruhigen konnte. „Das ist nicht die Zielgruppe der Maut“, versicherte er und warb um Verständnis, dass es  bei den umfangreichen Infrastrukturmaßnahmen zu regionalen Härten etwa bei Baustellen kommen könne.
 

Mit gerechterer Weltwirtschaft Fluchtursachen bekämpfen

Abschließend empfing Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die Delegation aus Bayern zum Gespräch.
Müller und Stamm waren sich einig, dass man die Problematik der Migration nur global verstehen und angehen könne. Es sei ein Gebot der Vernunft und der Menschlichkeit, Menschen aus ärmeren Regionen der Erde durch gezielte Enwicklungsmaßnahmen Perspektive zu bieten. Es gehe nicht um das Bohren von Brunnen und vergleichbaren humanitären .Projekten, darum würden sich alleine von Deutschland aus rund 600 NGOs kümmern. Wichtig sei eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung, die eine Wertschöpfung vor Ort ermögliche. Sprich: westliche Firmen müssten aufhören ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Profitmaximierung zu denken. Als positives Beispiel hob Müller Siemens hervor, das mit neuen Gaskraftwerken in Ägypten rund 40 Prozent der benötigen Energie erzeuge und dabei über 5000 junge Menschen ausbilde. Davon profitieren sowohl die deutsche Firma als auch das nordafrikanische Land. Dies sei die einzige Möglichkeit den gigantischen Migrationsbewegungen etwas entgegen zu setzen. Jedes Jahr wachse die Weltbevölkerung um 80 Millionen Menschen, die müssten alle vor Ort von ihrer Arbeit leben können.


„Frauen sind der Schlüssel"



Dazu beitragen könne vor allem die gezielte Förderung von Frauen. „Frauen sind der Schlüssel für Wirtschaftswachstum und gesellschaftliche Entwicklung“, zeigte sich Müller überzeugt. Zudem sei es notwendig, den Menschen die Möglichkeit für legale Einwanderung zu machen. Europa brauche Fachkräfte und wer qualifiziert sei und kommen wolle, dem müsse man Angebote machen. Bei der Gelegenheit riet Müller, Ländern wie Algerien, Tunesien oder Marokko fair zu begegnen. All diese Länder seien bereit Menschen bei Rückführungen aufzunehmen – wenn es sich um Staatsbürger der jeweiligen Länder handele. Die nordafrikanischen Länder können das anhand biometrischer Daten überprüfen – allerdings sei die EU nicht in der Lage diese Daten zu liefern. Man müsse sich als Partner begreifen, nicht als Kontrahenten, sagte Müller der die Abgeordneten darum bat, zuhause darum zu werden, aus alten Denkschemata auszubrechen.

Die Heimreise aus Berlin trat das Präsidium übrigens mit der Bahn an - mit der neuen schnellen ICE-Verbindung nach München.



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