Stenografie im Landtag: „Abstraktion bringt KI an Grenzen“

Warum die Stenografie für den demokratischen Prozess eine immense Bedeutung hat

05.04.2024

MÜNCHEN     Wortgewaltige Begriffe kürzen sie teils nur mit Häkchen und Linien ab: die 12 Stenografinnen und Stenografen des Bayerischen Landtags. Müssen die Stenografie und Künstliche Intelligenz in der heutigen Zeit als Konkurrenten betrachtet werden? Auch wenn das Werkzeug oft als antiquiert betrachtet wird, behält die Stenografie für den demokratischen Prozess eine immense Bedeutung, wie das Stenografenteam des Landtags zeigt.

Im Bayerischen Landtag sitzen die Stenografinnen und Stenografen in der ersten Reihe, gleich unterhalb des Rednerpultes und nur einen Schritt von den Abgeordnetenplätzen entfernt. Einer von ihnen ist Hagen Söchting. Sobald die teils hitzigen Debatten im Plenarsaal oder in Ausschusssitzungen beginnen, saust seine Hand über den Schreibblock und hinterlässt Striche, Kringel und Punkte. Die Stenografie beschreibt Söchting als ein „System von Kürzungsregeln, nach dem man versucht, mit wenig Schriftzügen möglichst viel Bedeutungsgehalt wiederlesbar auf Papier zu bringen“. Die Technik erlaubt geübten Stenografen circa 300 Silben pro Minute mitzuschreiben – und dabei auch Zwischenrufe und Stimmungen festzuhalten sowie im Rahmen analytischer Protokolle die wichtigsten Hintergrundinformationen. Im Video zeigt Söchting an einem Beispiel, wie er Wortgruppen stenografisch kürzt und erzählt, was ihn an der Stenografie reizt.

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Die Künstliche Intelligenz kommt inzwischen in immer mehr Bereichen zum Einsatz und erleichtert Arbeitsschritte – so auch in der Sitzungsprotokollierung. Die Stenografie wurde ursprünglich erfunden, um das gesprochene Wort festzuhalten, allerdings während einer Zeit, in der es noch keine Aufnahmesysteme gab. Das erste vollständige stenografische Alphabet sowie eine Kurzschriftmethode fanden im 17. Jahrhundert Anwendung. „Die Stenografie ist wie die automatische Spracherkennung ein Instrument, um das gesprochene Wort zu verschriftlichen. Deswegen stehen beide als Werkzeuge eher nebeneinander als in Konkurrenz zueinander und man muss sie jeweils mit ihren Vor-und Nachteilen betrachten“, sagt Michael Lehmann. Er arbeitet wie Söchting als Parlamentsstenograf im Bayerischen Landtag und ist zugleich stellvertretender Referatsleiter.

Programme müssen „lernen“

Aufnahmetechnik einzubeziehen ermöglicht den Stenografen gerade bei Rednern, die sehr schnell sprechen, das Protokoll im Anschluss zu überprüfen oder auch im Tonfall ironische Statements herauszuhören. Die größte Herausforderung für Entwicklung und Einsatz von Spracherkennungssystemen liegt darin, dass sie „trainiert“ werden müssen – was wiederum einen enormen Arbeitsaufwand bedeutet. Denn im Parlament sprechen Abgeordnete mit unterschiedlicher Stimmfärbung und Dialekten und auch die diskutierten Themen enthalten immer wieder neues Vokabular und Fachbegriffe. „KI kann Stenografen dort noch nicht ersetzen, wo Sprache interpretiert werden muss und wo abstrahiert wird“, erläutert Lehmann.

Wo liegen die Grenzen der KI?

Vor allem die Ausschussprotokolle enthalten am Ende nicht ausschließlich das verschriftlichte Wort, sondern die Essenz dessen, was der Abgeordnete gemeint hat. Für einen sinnvollen Einsatz müsste die KI semantische und logische Sprünge in den Ausführungen erkennen können. Dazu müsste die Software Informationen darüber haben, was der Abgeordnete in der Vergangenheit gesagt hat oder welche bisherigen Diskussionen zu dem Thema bereits geführt wurden, um zweifelsfrei zu erkennen, was eigentlich ausgedrückt werden sollte. „An diesem Punkt stößt die KI ganz klar noch an ihre Grenzen“, fasst Lehmann zusammen.

Doch eine komplette Absage an KI ist dies nicht: In den kommenden Monaten soll eine hausübergreifende Projektgruppe die Einsatzmöglichkeiten von KI im Landtagsamt unter die Lupe nehmen. Lehmann ist für die Stenografen dabei.

/ Anja Guthardt

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