Der Landtag im Gespräch über Debattenkultur

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Dienstag, 2. Juli 2019

– Von Isabel Winklbauer –

Die politische Auseinandersetzung selbst war einen Abend lang das Thema auf dem Podium des Senatssaals. Landtagspräsidentin Ilse Aigner hatte Abgeordnete, einen Journalisten und eine Politikwissenschaftlerin zur Veranstaltung „Der Landtag im Gespräch über Debattenkultur“ eingeladen. Podiumsgäste und das Publikum, das über die interaktive Online-Plattform Sli.do eingebunden war, erörterten gemeinsam, warum der demokratische Diskurs neuerdings in so rauem Ton vonstatten geht und ob derzeit eine Spaltung der Gesellschaft stattfindet. Dabei zeigten sich die Diskutanten kritisch, aber auch zuversichtlich. Trotz ernster Störfaktoren habe man eine starke Demokratie, lautete das Fazit.

Kurz nach der Ermordung des Kasseler Politikers Walter Lübcke, aber auch Wochen nach dem regierungskritischen Video des Youtubers Rezo, fand Landtagspräsidentin Ilse Aigner ernste Worte, um in das Thema einzuleiten: „Unser Landtag ist größer geworden und bildet mehr Weltbilder ab, die Positionen sind polarisierter“, sagte sie, „doch der Umgang der Abgeordneten miteinander muss Vorbildcharakter haben.“ Da es offenbar einen neuen politischen Terrorismus in Deutschland gebe, dessen Mittel Gewalt- und Morddrohungen ebenso wie Mord selbst seien, gelte das Gebot der Mäßigung. Denn: „Sprache ist Handlung.“

Teilnehmer aus Politik, Medien und Wissenschaft

Gastmoderator Tilmann Schöberl vom Bayerischen Rundfunk bat anschließend die Teilnehmer der Gesprächsrunde auf die Bühne: die Politikwissenschaftlerin Dr. Astrid Séville, den Vizepräsidenten des Bundestags Thomas Oppermann (SPD), den Parlamentarischen Geschäftsührer der AfD-Landtagsfraktion Christoph Maier, den ehemaligen AfD-Politiker und nun fraktionslosen Landtagsabgeordneten Markus Plenk sowie den „Spiegel“-Journalisten Jan Fleischhauer. Dank der Online-Plattform Sli.do konnten sich zudem die rund 250 Zuschauer im Saal an der Diskussion beteiligen: Sie stellten Fragen, die in der Diskussion aufgegriffen wurden, und sie beantworteten Umfragen. Demzufolge waren beispielsweise 90 Prozent der Meinung, die Gesellschaft erlebe eine Spaltung.

Soziale Medien als eine Ursache für veränderte Debattenkultur

Die fünf Diskutanten eruierten in lockerem Schlagabtausch erst einmal, wie man sich überhaupt so weit von der großen Debattier-Ära der 1970er und 80er Jahre um Helmut Schmidt, Willy Brandt und Franz-Josef Strauß entfernen konnte. Als einschneidendste Ursache für die veränderte Debattenkultur identifizierten sie schnell die sozialen Medien. „Die Konsequenzlosigkeit, die auf Facebook sogar nach schlimmsten Äußerungen herrscht, hat Auswirkungen, die wir alle spüren“, brachte es Jan Fleischhauer auf den Punkt, und Markus Plenk gab zu bedenken: „Soziale Medien schaffen Filterblasen, in denen die User nur Infos erhalten, die den eigenen Standpunkt ständig verstärken. So wird ideologisiert und radikalisiert.“

Des Weiteren kritisierte die Runde, wie die Politik für Ärger und Frustration sorgt, indem sie den Wählerwillen übergeht. Allen voran kritisierte Christoph Maier: „Es gibt seit Einführung des Euro eine politische Ignoranz gegenüber der Bevölkerung. Teile von dieser sind weder mit dem Euro, noch mit der Ehe für Alle noch mit der Einwanderungspolitik der Regierung einverstanden.“ Astrid Séville zählte zu diesen „überstimmten Minderheiten“, zu denen man sich nicht zählen müsse, die es aber sehr wohl gebe, konsequenterweise auch enttäuschte SPD-Wähler hinzu. Und Jan Fleischhauer meinte: „Manche Themen, wie die Flüchtlingspolitik der Regierung, sind einfach nicht erledigt, wenn 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung dagegen sind.“

Verfall der bürgerlichen Bildung

Zudem kam der Verfall der bürgerlichen Bildung zur Sprache, ebenso wie der Umstand, dass Deutschland schon in dritter Legislaturperiode von einer Großen Koalition regiert wird – „Kompromisse werden zunehmend unbeliebt“, notierte Oppermann. Dabei gehört die Kultur des Kompromisses und des Zuhörens zu den Grundlagen einer hoch entwickelten Debattenkultur, wie Astrid Séville ausführte. Die Akademische Rätin auf Zeit und Autorin des Buchs „Der Sound der Macht“ zeichnete aus wissenschaftlicher Sicht vor, worauf ein anständiger demokratischer Diskurs fußen sollte – und nannte als zweites wichtiges Kriterium „Respekt für die Position des Anderen“. Den politischen Gegner zu delegitimieren sei kein probates Mittel.

Was also tun? Jedenfalls nicht in Extreme fallen, lautete die Antwort. Die beispielsweise oft gezielt provokative AfD („Wir reagieren aus dem Bauch heraus“, verteidigte sich dazu Christoph Maier) in eine Ecke zu drängen und zu isolieren, sei ebenso gefährlich für die Demokratie wie sich selbst als Gutbürger zu radikalisieren: Beispielsweise die bekanntermaßen linksliberale Buchhandlung Lehmkuhl nicht zu betreten, nur weil zu Bildungszwecken zwei rechtsorientierte Texte im Fenster lägen, stellten Oppermann und Fleischhauer fest. Und auch das Internet könne man nicht abschaffen oder links liegen lassen, war sich die Runde einig.

Haftung für kriminelle Äußerungen und Aufrufe im Netz

Stattdessen gelte es, neue Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Verrohung der Debattenkultur bahne sich ihren Weg zu großen Stücken bei Facebook und Co., konstatierte man. Und so forderten Oppermann und Fleischhauer vor allem die Möglichkeit, sowohl User, vor allem aber auch Facebook als Unternehmen endlich vor deutschen Gerichten haftbar machen zu können für kriminelle Äußerungen und Aufrufe. „Es muss pro Medium einen Repräsentanten geben, der rechtlich für die Inhalte einsteht“, so Fleischhauer.

Auch eine bessere Sprache forderten die Diskutanten. Es müsse eine „Ethik der Metapher“ gelten, sagte Séville, allzu simple Vergleiche müssten enden. Außerdem müsse man auch „mit der rumpeligen Männlichkeitskultur aufräumen“, die seit Franz-Josef Strauß in der Politik immer noch Anhänger habe, so die Politikwissenschaftlerin.

„Diese Demokratie wird nicht sterben“

Zuletzt formulierte Oppermann: „Es muss wieder einen Grundkonsens über die Regeln und Werte der Demokratie herrschen. Auf dieser Basis kann man dann handfeste Auseinandersetzungen führen.“ Für solche sei unsere Demokratie nämlich durchaus stark genug. „Diese Demokratie wird nicht sterben“, sagte er, „es gibt große Unterschiede zu Weimar. Wir haben einen wehrhaften Staat und in den Medien und Kulturinstitutionen ein großes Potential für Demokratie.“

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