„Wählen – (k)eine Selbstverständlichkeit!“ – Erstwählerinnen und Erstwähler im Landtag

Samstag, 7. Juli 2018
– Von Zoran Gojic –

Die Stimmung ist ernst und konzentriert. Junge Erwachsene, von denen es gerne heißt, sie würden sich nicht für Politik interessieren, sitzen im Senatssaal des Bayerischen Landtags, um im Gesprächsforum „Wählen – (k)eine Selbstverständlichkeit“ genau darüber zu reden, nämlich Politik.

Und zwar an einem sonnigen Samstagmorgen. Abgeordnete des Landtags sind ebenfalls da, um im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Rolle und Zukunft der Landesparlamente“ mit denen ins Gespräch zu kommen, die diesen Herbst erstmals in Bayern wählen dürfen. Es stimmt also, was der stellvertretende Landesschülersprecher Magnus Lehmkuhl sagt: Jugendliche werden von der Politik durchaus gehört, wenn sie sich darum bemühen. Es gebe einen guten Kontakt zu Abgeordneten und auch zum Kultusministerium, betont Lehmkuhl. Allerdings: „Es fällt nach Gesprächen sehr oft der Satz: Das nehmen wir mit. Das bedeutet meistens: Vielen Dank, ihr könnt wieder gehen“, berichtet Lehmkuhl. Und als Julia Hacker vom Jugendrat der Stadt Lauf schildert, dass sie als junge Erwachsene mehr Respekt für ihr Engagement erwartet, brandet erstmals Applaus auf.

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„Nicht motzen, sondern machen!"

Ganz ernst genommen fühlen sich die Erstwählerinnen und Erstwähler offenbar nicht. Gerade als junge Frau werde man oft schräg angesehen, wenn man auf einer Bühne stehe. Diesen Eindruck teilt auch Franz Schenck vom Stadtjugendring Augsburg: „Jugendliche sind eben da. Und man kümmert sich, wenn sie Probleme machen. Aber mehr auch nicht.“ Entmutigen lassen sich die rund 100 Erstwählerinnen und Erstwähler, die auf Einladung von Landtagspräsidentin Barbara Stamm und des Bayerischen Jugendrings ins Maximilianeum gekommen sind, freilich nicht, das ist zu spüren. Man müsse eben aktiv werden, darin ist man sich einig. Oder wie Julia Hacker formuliert: „Nicht motzen, sondern machen!“ Wen sie wählen wollen, wissen viele nicht, und bei den meisten ist eine vorsichtige Distanz zu den Parteien vorhanden. Florian Seif, der den Youtube-Kanal Alternatiflos betreibt, setzt auf privaten Einsatz. Was nicht einfach sei, gerade in den sozialen Netzwerken. „Es gibt oft keine Bereitschaft zu einer ernsthaften Auseinandersetzung um politische Positionen. Aber ins Gespräch kommen ist das Wichtigste. Wenn man erst einmal vernünftig diskutiert, ist schon viel erreicht“, findet Seif. Damit findet er die Zustimmung der Landtagspräsidentin, die genau darin ihre Aufgabe sieht: „Ich will in der politischen Diskussion zusammenführen und konstruktive Gespräche ermöglichen.“

Vertrauen in Politiker ist wichtig

Dass man dazu die Parteien braucht, ist den jungen Erwachsenen klar, aber wie Schenck es ausdrückt: „Es ist ein gutes Gefühl, sich nicht mit Positionen, zu denen man nicht steht, gemein machen zu müssen.“ Auch Julia Hacker bestätigt, dass die Überparteilichkdeit im Jugendrat die Hemmschwelle bei Jugendlichen senkt. Man kann mitmachen, muss sich aber parteipolitisch nicht festlegen. Wählen wollen sie Parteien natürlich, aber da gehe es den Jüngeren nicht mehr um Treue zu einer bestimmten Partei, sondern mehr um Inhalte, findet Julia Hacker. Deswegen begrüßen sie den Wahl-o-Mat im Internet als „erste Anlaufstelle“. Ausschlaggebend sei er aber nicht. Viele Fragen könne man nicht pauschal mit Ja oder Nein beantworten. Neben dem Programm der Parteien seien auch Persönlichkeiten wichtig, stellt Florian Seif fest. „Interviews der Spitzenkandidaten kann man heute problemlos im Internet finden. Und feststellen, ob man der Person vertraut und sie sympathisch findet. Man gibt seine Stimme ja einem Menschen.“

Nach dieser ersten Podiumsrunde diskutierten die Erstwählerinnen und Erstwähler an runden Tischen mit Abgeordneten aller Landtagsfraktionen zu Themen wie Wahlalter, Wahlpflicht, neue Abstimmungsformen und soziale Medien.

Die jugendpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der vier Landtagsfraktionen bewerten daraufhin in einer ersten Analyse die Ergebnisse der Diskussionsforen. Hier(Dokument vorlesen) finden Sie eine Übersicht über Themen und Ergebnisse.

Große Bandbreite an Themen

Nach den Beratungen an den runden Tischen mit den Abgeordneten trugen die jungen Erwachsenen kurz vor, welche Themen für sie am relevantesten sind und welche Forderungen sie in dem Zusammenhang an die Politik haben. Gleich der erste Redner stellte klar, dass die Asyldebatte derzeit in der öffentlichen Wahrnehmung überwiege, man aber sehr schnell übereingekommen sei: Es gibt gerade für junge Menschen viele andere Punkte, die für sie entscheidender sind. Beispielsweise die zunehmende Akademisierung in der Ausbildung, die von den jungen Erwachsenen offenkundig sehr kritisch gesehen wird. Das Handwerk müsse gestärkt werden, handwerkliche Berufe sollten gesellschaftlich höhere Wertschätzung genießen und besser bezahlt werden, fanden die Erstwählerinnen und Erstwähler. Auch die Zukunft der Europäischen Union bewegte die jungen Erwachsenen. Ein Zurück zu nationalen Egoismen lehnen sie ab, nur gemeinsam könne man den Herausforderungen einer globalisierten Welt begegnen. Das „geniale Projekt Europa“, wie es ein Redner nannte, dürfe nicht sterben. Auch Datenschutz, politische Bildung an Schulen, Senkung des Wahlalters zumindest auf kommunaler Ebene beschäftigten die jungen Erwachsenen, die auch eine eigene Analyse zur Politikverdrossenheit lieferten: Es gebe Kommunikationsdefizite der Parteien und eine mangelhafte Öffentlichkeitsarbeit.

Überwältigende Mehrheit geht auf jeden Fall zur Wahl

Den Parteien gelinge es nicht, Inhalte wirksam zu vermitteln. Zudem würden Einzelfragen zu sehr in den Mittelpunkt gestellt und darüber vergessen, größere Zusammenhänge und Zukunftsfragen zu behandeln. Mehr Sachlichkeit in der politischen Debatte wurde angemahnt und mehr Möglichkeiten zum persönlichen Kontakt mit Politikern. Gerhard Hopp (CSU), Herbert Wörlein (SPD), Kerstin Celina (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Eva Gottstein (FREIE WÄHLER), die jugendpolitischen Sprecherinnen und Sprecher ihrer Fraktionen, zeigten sich beeindruckt von der Bandbreite der angesprochenen Themen und der Ernsthaftigkeit der Gesprächsrunden. Eva Gottstein hatte noch eine etwas unerwartete Bitte zum Schluss: „Bitte rebelliert ein bisschen mehr.“ Bei der Umfrage, ob die Erstwählerinnen und Erstwähler zur Wahl gehen werden, gab es übrigens ein eindeutiges Ergebnis – 85 Prozent wollen auf jeden Fall zur Landtagswahl gehen, nur 4 Prozent sind sich sicher, dass sie nicht wählen werden. 

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