Rolle und Zukunft der Landesparlamente – „Vertrauen in die Politik – Auftrag an die Landesparlamente?“

18. Oktober 2017
– Von Isabel Winklbauer –

Bei der Veranstaltungsreihe „Rolle und Zukunft der Landesparlamente“ stand diesmal die Frage im Mittelpunkt, wie man das Vertrauen der Menschen in die Politik stärken beziehungsweise zurückgewinnen kann:  „Vertrauen in die Politik – Auftrag an die Landesparlamente?“

Warum ist die Politikverdrossenheit so groß und wie lassen sich Menschen auf Landesebene wieder für demokratische Prozesse begeistern? Dieser Frage gingen im Senatssaal 1. Landtagsvizepräsident Reinhold Bocklet, Theologe Anselm Bilgri und Prof. Dr. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, nach. Unterstützung erhielten die Politikexperten dabei von den Landtagspräsidenten Dr. Bettina Vollath (SPÖ) aus der Steiermark und Klaus Meiser (CDU) aus Saarbrücken. Landtagspräsidentin Barbara Stamm, Initiatorin der demokratischen Reihe, konnte an diesem Abend nicht zugegen sein, weil sie zu Koalitionsverhandlungen nach Berlin gereist war. Doch Reinhold Bocklet erklärte ganz in ihrem Sinne: „Wir haben im Landtag den Auftrag, besonders nah am Bürger zu sein. Deshalb müssen wir gemeinsam überlegen, wie man die zarte Blume Vertrauen wieder zum Blühen bringen kann.“

Politik gilt als Betätigungsfeld von Eliten

Diesen Plan im Kopf, spezifizierte der ehemalige Pater und heutige Berater und Buchautor Anselm Bilgri zunächst einmal, was Vertrauen eigentlich ist. „Vertrauen lässt den Einzelnen handlungsfähig bleiben“, sagte er in seinem Vortrag, „es reduziert die Komplexität der Möglichkeiten. Ohne gemeinsames Urvertrauen ist kooperatives Handeln nicht möglich.“
Die Politik- und Kommunikationswissenschaftlerin Ursula Münch nannte anschließend in ihrem Vortrag ganz undramatisch fünf Gründe, warum dieses Vertrauen der Bürger in die Politik nicht mehr in dem Maße vorhanden ist, wie es sein sollte. „Globalisierung, Europäisierung und Digitalisierung werden von breiten Schichten als Elite-Bewegungen wahrgenommen“, erklärte sie. „Hinzu kommt, dass supranationale Entscheidungshoheit nicht gut akzeptiert wird. Und dass ungeahndete Regelverstöße bestimmter Gruppen als Messen mit zweierlei Maß betrachtet wird.“ Sprich: Vorgaben „von oben“ aus Brüssel oder der Nato sind extrem unbeliebt. Und wenn beispielsweise korrupte Entscheider der Automobilbranche oder kriminelle Flüchtlinge nicht zur Rechenschaft gezogen werden, kommt das noch viel schlechter an. Dies und die Tatsache, dass die Bürger keine Wirkmächtigkeit mehr auf ihr eigenes Dasein verspürten, helfe alten Vorurteilen, wieder aufzuflammen: Diäten würden kritisiert, die Mehrheitsbildung als Lobbykratie beschimpft. Bei einer bundesweiten Umfrage 2016, untermauerte Münch, hätten immerhin 43 Prozent der Teilnehmer angegeben, dass sie glaubten, Abgeordnete verfolgten andere Interessen als die der Bürger.


Auch die Landtagspolitiker aus anderen Ländern, Bettina Vollath und Klaus Meiser, wussten in der anschließenden Diskussionsrunde (moderiert von BR-Landtagsreporter Sebastian Kraft) gute Gründe für den Vertrauensverlust der Bürger zu nennen. Meiser notierte etwa, neben einer mangelhaften Bindungskultur in den Ballungsräumen, seien auch die modernen Medien ein Grund. „Mit ihrer Hilfe kann man heute in drei Minuten mit jedem Mist eine gefühlte Stimmung schaffen.“ Womit er nicht weit entfernt von Reinhold Bocklet lag, der die nicht vorhandene Berichterstattung der Medien über die Arbeit der Landtage kritisierte. Die Steirerin Bettina Vollath hingegen konstatierte eine große Diskrepanz zwischen den unendlichen Möglichkeiten, die Menschen heute versprochen würden, und dem, was auf dem flachen Land davon tatsächlich stattfindet: ohne Gemeindeparlamente, ohne eigene Feuerwehr, Sparkasse und Post und ohne Glasfaserkabel fast gar nichts. „Das schafft Identitätsverlust und Perspektivlosigkeit.“

Vertrauensbildung beginnt in den Gemeinden

Die Ursachen für das mangelnde Vertrauen in die Landespolitik sind also vielfältig. Doch wie man ihnen beikommen könnte – das erwies sich als keine einfache Frage. Münchs Feststellung, dass, wer das Vertrauen in die Politik stärken will, nicht an den Gemeinden vorbeikomme, gab einen Startschuss in die richtige Richtung.

Die Zuschauer hörten ganz konkrete Rezepte. Zum Beispiel schlug der Saarländer Klaus Meiser vor, alle Sozialleistungen komplett auf den Bund zu verlagern, damit die Landespolitik atmen und mehr leisten könne. Nachdrücklich setzte sich Bocklet für die Sicherung der Kompetenzen der Länder z.B. bei der Schule im Rahmen des Föderalismus ein. Ein sorgsamerer Umgang mit Gebietsreformen wurde gefordert, sowohl von Münch als auch von Bocklet. Bei den letzten Gebietsreformen in Bayern seien sage und schreibe 30.000 Sitze in politischen Gremien weggefallen, merkte Barbara Stamms Stellvertreter an – und damit 30.000 Möglichkeiten für Bürger, ihr eigenes Umfeld politisch mitzugestalten. „Man könnte bei Wahlen aber auch einmal die Listenplätze jünger besetzen“, schlug Ursula Münch in Sachen jugendliche Politikverdrossenheit vor.

Die Menschen mehr beteiligen und kein Ohnmachtsgefühl in ihnen entstehen lassen – auf diese Formel einigten sich die Gäste des Abends zumindest im Groben. Dazu zählten sie übrigens auch einen weniger herablassenden Umgang mit AfD-Wählern, die es doch gelte, zurückzugewinnen und nicht in die Ecke zu stellen. „Denn 60 Prozent der AfD-Wähler erklärten in Umfragen, sie hätten aus Enttäuschung über die anderen Parteien gewählt“, wusste Professorin Münch. In der Politik sei das Vertrauen der Bürger eben eine Tauschware gegen Leistung – und wenn die Leistung der Mandatsträger nicht stimmt, werde das Vertrauen eben entzogen.

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