Wirtschaftsforum: Agilität in den Köpfen wecken

Ende des Wachstums? Herausforderung für Bayern und Deutschland

26. November 2019

MÜNCHEN.       Bayerns Wirtschaftsmotor stottert. „Die Lage ist sogar ernster als die Zahlen ausdrücken“, mahnen Wirtschaftsvertreter. Dennoch gaben sich die Teilnehmer der Podiumsdiskussion optimistisch. Das Wirtschaftsforum im Maximilianeum zeigte: Ziehen Politik, Wirtschaft und Arbeitnehmer an einem Strang, ist es noch nicht zu spät.

Der Titel des Forums „Ende des Wachstums?“ sei mit Bedacht gewählt worden, räumte Landtagspräsidentin Ilse Aigner zur Begrüßung ein. Schließlich läge eine Dekade des Wachstums hinter uns. Nach dem globalen Krisenjahr 2009 ging es stetig aufwärts: wachsende Unternehmen, Beschäftigung in Rekordhöhe, steigende Einkommen. Auch die öffentlichen Haushalte konnten neue Handlungsspielräume nutzen. Deutschland ist Stabilitätsanker in Europa und Bayern Kraftzentrum der bundesdeutschen Erfolgsgeschichte. Doch das Jahr 2019 erscheint in einem anderen Licht. Der Motor der Weltkonjunktur stottert.

„Die Lage ist ernst“

Zum ersten Mal seit 2009 sind die bayerischen Exporte nicht gestiegen, das erwartete Wachstum ist das schwächste seit der Krise. „Wir diskutieren darüber, welche Personen die Berliner Regierungsparteien CDU und CSU führen sollen, dabei sollten wir uns mit gleichem Elan der Frage zuwenden, wie wir unseren Wohlstand bewahren“, sagte Wolfram Hatz, Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. Die Wachstumsprognose sei von 0,9 Prozent auf 0,7 Prozent für das Jahr 2019 gesenkt worden. „Es ist fatal zu glauben, es geht ja immer noch aufwärts, wenn auch nur langsam. Die Lage ist ernster als es die Zahlen ausdrücken“, mahnte Hatz. Denn die Konjunktur in Bayern ist gespalten. Die Industrie steckt in einer echten Rezession. Die Industrieproduktion sank im dritten Quartal 2019 zum fünften Mal in Folge. Immer mehr Industriebranchen rutschen in den Minus-Bereich. In den Wirtschaftsbereichen außerhalb der Industrie läuft es nach wie vor gut, insbesondere im Bau und im Handwerk. Allerdings nehmen Unsicherheit und Skepsis zu. So sind die Erwartungen auch der nicht-industriellen Sektoren inzwischen mehrheitlich pessimistisch.

Kein politischer Aktivismus

Wie sieht die Strategie für Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand also aus? Für Landtagspräsidentin Ilse Aigner zählt dabei, das große Ganze im Blick zu behalten und nicht in politischen Aktivismus zu verfallen. „Ich vermisse bei der Debatte das Vertrauen in technologische Innovation. Trauen wir uns zu, mehr Haltung für Innovation und Fortschritt zu zeigen“, motivierte sie die Teilnehmer der anschließenden Podiumsdiskussion.
An einem Strang ziehen
Hatz nannte in seinem Impulsvortrag fünf Punkte für ein nachhaltig erfolgreiches Wachstum in Bayern. Investitionen, wie die Hightech Agenda der Staatregierung sie vorsieht, zählen für ihn zur Basis. Eine massive Förderung der Wissenschaft, wie etwa 100 neue Lehrstühle für künstliche Intelligenz zu schaffen, sei eine weitere Voraussetzung für Innovationen. Des Weiteren befürwortete Hatz einen intelligenten Klimaschutz sowie die Förderung sauberer, sicherer und bezahlbarer Energie mithilfe von Stromtrassen aus dem Norden. Als letzten Punkt mahnte der vbw-Präsident dazu, auf einen soliden, schuldenfreien Staatshaushalt zu achten. „In Bayern werden diese Punkte mehr verfolgt als anderswo. Hier ziehen Wirtschaft und Politik an einem Strang, und das macht uns erfolgreich“, stimmte Hatz das Publikum optimistisch.

Weg der Mitte

Zuversichtlich zeigten sich auch die Teilnehmer der Podiumsdiskussion. „Ich bin sehr optimistisch, weil jeder weiß, dass wir etwas anders machen müssen als bisher, und es ist gut, dass dieses Bewusstsein jetzt kommt, bevor es zu spät ist. Deshalb müssen wir so schnell wie möglich die Energiewende voranbringen“, sagte Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/ Die Grünen im Bayerischen Landtag. In welchem Maße und mit welcher Geschwindigkeit der Wandel stattfinden müsse, darüber waren sich jedoch nicht alle einig. „Wir müssen einen Weg der Mitte gehen“, sagte Thomas Kreuzer, Vorsitzender der CSU-Fraktion. Er sei nicht dafür, das Erreichen der Klimaschutzziele über alle anderen Ziele zu stellen und dem Wachstum überzuordnen. „Ich bin kein Freund von Energiepreissteigerungen, sondern wir müssen den Leuten die Chance geben, langsam umsteuern zu können“, betonte er.

Demokratie kostet Zeit

Dr. Elisabeth Denison, Strategiechefin von Deloitte in Deutschland, stimmte Kreuzer in dem Punkt zu, übereilte Entscheidungen seien keine Lösung. „Es macht zum Beispiel keinen Sinn ein Stromkraftwerk von heute auf morgen abzuschalten ohne Alternativen zur Stromerzeugung zu haben. Womit wir aber nicht warten müssen: in Infrastruktur und Bildung zu investieren.“ Für Johann Horn, Bezirksleiter bei der IG Metall, gehören Ökologie und Ökonomie untrennbar zusammen. „Aber der Umbau muss demokratisch funktionieren: Menschen müssen bei Entscheidungen beteiligt werden, der Prozess muss sozial und gerecht sein. Menschen dürfen also nicht denken, dass die einen besser davonkommen als die anderen. Doch so etwas braucht Zeit“, mahnte er. Kreuzer machte deutlich, dass bei der Energiewende allein der Ausbau von Windkraft und Solarenergie nicht reiche. „80 Prozent der Primärenergie werden in Deutschland importiert. Wir brauchen Alternativen wie Wasserstoff. Deshalb müssen wir in Bildung und Wissenschaft investieren. Das ist das Wichtigste, denn wir werden den Umbruch nur mit neuen Technologien schaffen.“

Keine Steuersenkung

Neben der Investition in Bildung und Wissenschaft betonte Hartmann wie wichtig es sei, mehr Geld in Infrastruktur zu stecken. „In unruhigen Zeiten ist es wichtig, dass ein starker Sozialstaat nicht Steuern senkt, sondern in Infrastruktur investiert. Es kann doch nicht sein, dass in München in der Bahn das Handynetz nicht funktioniert!“ Als einen weiteren Punkt nannte er die Definition von Sozialleistungen. „Das bayerische Familiengeld kriegt zum Beispiel jeder – ob er es braucht oder nicht. Wäre es nicht besser, das Geld für Strukturmaßnahme auszugeben als für eine bessere Kinderbetreuung?“, gab Hartmann zu Bedenken.

Neue Mobilitätskonzepte

In Sachen E-Mobilität empfahl Denison komplett neu zu denken. „Mobilität muss mit Stadtplanern, Automobilindustrie und Politikern gemeinsam entwickelt und neu gedacht werden. Nur so kommen wir in der öffentlichen Debatte weiter.“ Horn ging auf die Fragen ein, welche technischen Energieträger überhaupt zur Verfügung stehen. „Wir müssen unsere technische Ingenieurskunst auch dafür einsetzen, was wir mit dem Batterieschrott eines Elektroautos machen.“ Ein weiterer Punkt: Was bringt Geld?
„Unternehmen müssen Quartalszahlen erreichen und solange sie mit Elektroautos kein Geld verdienen können, bauen sie lieber SUVs. Der Staat muss also die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, um Technik lukrativ zu machen“, sagte Horn.

Mehr Weiterbildungen

Einig waren sich alle in einem Punkt: Investitionen in die Bildung sind das Kapital für Wirtschaftswachstum. „Das fängt bereits in der Schule an. Der Unterricht ist heute nicht mehr zeitgemäß. Kinder müssen u. a. lernen, mit digitalen Medien umzugehen. Und Lernen hört nicht nach der Uni auf. Die Themen ändern sich so schnell. Bei Deloitte arbeiten inzwischen Quantenphysiker, weil wir das Know-How brauchen. Unternehmen müssen sich transformieren, aber auch die Arbeitnehmer müssen sich weiterentwickeln“, erklärte Denison. Die Herausforderung dabei ist: Wer beispielsweise jahrelang am Band gearbeitet hat, muss eine Weiterbildung oder Umschulung auch wollen. Agilität in den Köpfen müsse von Unternehmen und Politik gemeinsam gefördert werden, sagte die Strategiechefin. Dabei gehe es in erster Linie mehr um einen Kulturwandel, als um Geld. Horn forderte in diesem Zusammenhang ein Bildungsurlaubsgesetz, wie es auch in einigen anderen Bundesländern existiert. / schu

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