Anhörung zur Gas- und Strompreisbremse

Experten sehen viel Änderungsbedarf

MÜNCHEN.    In der Landtagsanhörung im Ausschuss für Wirtschaft, Landesentwicklung, Energie, Medien und Digitalisierung zeigten sich die meisten Experten kritisch mit der Gas- und Strompreisbremse. Sie habe zwar in Teilen gewirkt, sei aber bürokratisch, nicht zielgenau und sichere nicht die Wettbewerbsfähigkeit.

„Deutschlands und besonders Bayerns Wirtschaft sind bei hohen Energiepreisen bedroht“, warnte Dr. Norbert Ammann, Referatsleiter für Umwelt, Energie und Klima der IHK München und Oberbayern. Ein Energieversorger zahle 4,5 Mal so viel für Erdgas, als im Schnitt der Vorjahre. „Schon mittelmäßig energieintensive Produktionsbetriebe sind bei diesem Preisniveau nicht mehr wettbewerbsfähig, nicht wenige haben bereits geschlossen, weitere werden folgen.“ Die Preisbremsen seien wichtig, aber Kontingente, Höchstgrenzen, Meldepflichten, Erlösabschöpfung und andere Auflagen hätten sie so kompliziert gemacht, dass mancher Betrieb lieber einen anderen Standort suche. Es müssten nun Lieferquellen diversifiziert, Netze ausgebaut sowie Energieeffizienz und Innovation unterstützt werden. In naher Zukunft sei ein nur auf Erneuerbaren Energien basierendes System nicht stabil, weil Speicher fehlten. „Konventionelle Kraftwerke abzuschalten, bevor man sie ersetzt hat, ist nicht sinnvoll“, betonte Ammann.

Michael Blau von der Handwerkskammer für München und Oberbayern erinnerte daran, dass zwei Jahre Pandemie im Mittelstand „tiefe Spuren“ hinterlassen habe. Die Preisbremsen sicherten die Existenz kleiner und mittlerer Handwerksbetriebe sowie die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes. „Sie verhindern auch das Durchschlagen des Preisanstiegs auf die Materialpreise, was die Inflation zusätzlich anheizen würde.“ Verbesserungsbedarf sah er bei Härtefallregelungen, um Betriebe zu unterstützen, die andere Energieträger nutzten. Es sei keine Dauerlösung, „dass der Staat einen Teil der Energierechnung übernimmt“. Langfristig sei eine tragfähige Energieversorgung nötig, die wettbewerbsfähige Energiepreise gewährleiste. Neben einem „breiten Stromangebot“ forderte Blau Technologieoffenheit und den Ausbau der Stromspeicher.

Ein Bürokratiemonster

Auch Marco Krasser, Geschäftsführer der SWW Wunsiedel GmbH, begrüßte die Entlastung durch eine Strompreisbremse, aber: „Das Gesetz ist ein Bürokratiemonster, das Heerscharen von Anwälten und Wirtschaftsprüfern beschäftigt, die Kosten verursachen, die zum Verbraucher getragen werden.“ Die Ausgestaltung müsse dafür sorgen, dass die Wirtschaft international wettbewerbsfähig bleibe. „Wir brauchen ein resilientes System, eine Überarbeitung des Energiemarktdesigns und vor allem einen zügigen Ausbau aller verfügbaren Erzeugungsleistungen“, forderte Krasser. Er kritisierte die Gewinnabschöpfung, die nicht nur die Elektrolyseanlage in Wunsiedel blockiere. Zudem sei Biomasse „der größte Energiespeicher, den wir haben.“ Wichtig seien auch ein dezentrales System und Energiesparmaßnahmen.

Der Tarifvergleich und die Anbieterwahl prägten bisher den Energiemarkt, erklärte Heidemarie Krause-Böhm, Referatsleiterin für Energie, Umwelt und Nachhaltigkeit bei der Verbraucherzentrale Bayern. Das habe bis Herbst 2021 funktioniert. „Es gab Billiganbieter, die die Lieferung eingestellt haben, Versorgungsverträge wurden gekündigt, Sonderkündigungsrechte nicht angenommen, Abschlagszahlungen erhöht“, so Krause-Böhm. Der russische Krieg habe die Lage verschärft. Nun stehe auch bei Kunden wieder Energiesicherheit und Energiesparen im Fokus. Die Preisbremsen entlasteten Haushalte, die sich diese Energiepreise nicht mehr leisten können, und bewahrten den Anreiz zum Energiesparen. Ihre Kritik: Das System könne nicht nur für Gas und Strom, sondern auch für Pellets und Heizöl gelten. Zudem seien die Bremsen nicht sozial ausgewogen, das Bundeskartellamt als Aufsichtsbehörde gefragt und der Ausbau von Smartmetern nötig.

Die Bremse bremst nicht

Christian Loose, Experte für Strommarkt- und Energiepolitik bei der Gesellschaft für Fortschritt in Freiheit, erläuterte, dass politische Entscheidungen seit 2011 eine massive Verknappung des Marktes auslösten - durch staatliches Abschalten von Kohle- und Atomkraftwerken, reduzierte Angebote im Bereich Gas und Öl, umgeleitete Investitionen in Erneuerbare Energien sowie reduzierte CO2-Zertifikate in der EU. „Das führt dazu, dass Deutschland mit seinem Strompreis zumindest für die Industrie nicht mehr wettbewerbsfähig ist“, warnte Loose. Mögliche Lösungen seien deshalb, die CO2-Zertifikate billiger zu machen, alle Reserve-Kraftwerke zu reaktivieren, die Kernenergie auszubauen und hier das Fracking zu erlauben. „Dauerhafte Subventionen sind jedenfalls keine Lösung“, so Loose. Er erinnerte an die aktuelle McKinsey-Studie, wonach 2025 rund 30 Gigawatt Leistung fehlten – bei steigendem Strombedarf durch Wärmepumpen und E-Mobile.

Als Mitglied der Gaspreis-Kommission erklärte Prof. Dr. Karen Pittel, Leiterin des ifo Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen, deren Auftrag: die möglichst schnelle Entlastung der Haushalte und Unternehmen, ohne den Anreiz des Energiesparens zu reduzieren. Das habe differenzierte Maßnahmen nach sozialen und wirtschaftlichen Kriterien verhindert. Dennoch seien die Preisbremsen ein Erfolg, problematisch sei der relativ komplizierte Mechanismus. Auch habe die Gaspreisbremse nicht die Preise gebremst, sondern sei eine pauschale Kompensation. Pittel mahnte: „Die Gaspreisbremse wird im Unternehmensbereich scheinbar nicht gut angenommen, was an den Zusatzregelungen für Boni und Profite liegen könnte.“ Auch der administrative Aufwand sei zu hoch. Die Energiesparpotenziale bei den Betrieben seien ausgeschöpft. Für die Zukunft brauche es auch eine Notfallstrategie und mehr Energieeffizienz.

Laut Dr.-Ing. Serafin von Roon, Geschäftsführer und stellvertretender wissenschaftlicher Leiter der Forschungsstelle für Energiewirtschaft, sei der Einkaufspreis beim Strom von 59 Euro die Megawattstunde 2023 auf 294 Euro gestiegen. Das sei für Deutschland „eine Zusatzbelastung von 115 Milliarden Euro“, hinzu kämen über gestiegene Gaspreise 90 Milliarden Euro. Die Preisbremsen hätten trotz geringer Gasspeicherfüllung und reduzierter Gaslieferungen eine Entlastung gebracht. Von Roon warnte: „Trotz Deckel liegt der Preis aber immer noch deutlich über dem Preis zuvor.“ Da sich der Markt beruhigt habe, sei das Instrument langfristig nicht notwendig. Viele Unternehmen setzten zudem Effizienzmaßnahmen um, weil sich diese nun rechneten. Es müssten weitere Probleme wie gestörte Lieferketten und Fachkräftemangel gelöst werden. Ohne ausreichend grüne Energien mit Backups entstehe allerdings ein Standortnachteil.

Dr. Philipp Steinberg, Abteilungsleiter für Wirtschaftsstabilisierung & Energiesicherheit im Bundeswirtschaftsministerium, erklärte die Maßnahmen der Bundesregierung, um die Versorgungssicherheit zu sichern und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. „Wir haben 5 LNG-Terminals gebaut, wir haben die Speicher massiv gefüllt. Wir haben konventionelle Kraftwerke wieder ans Netz genommen und die AKW-Laufzeiten verlängert. Die Preisbremsen haben wir aufgrund der Vorschläge der Gaspreiskommission mit gewissen Modifikationen durchgeführt.“ Ein Problem dabei seien rechtliche Vorgaben gewesen, insbesondere das EU-Beihilferecht, sowie die Finanzierung. Steinberg räumte bürokratische Hürden ein. Auch die Gewinnabschöpfung stehe zur Debatte, für Elektrolyseure sei eine Ausnahme geplant. Weitere Maßnahmen bei Industriestrompreis und Strommarktdesign folgten, so Steinberg.

Versicherung gegen Preisanstieg

Christine Völzow, Leiterin der Abteilung Wirtschaftspolitik der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, lobte die Gas- und Strompreisbremse. In der Praxis konnten viele Unternehmen eine Entlastung aber nicht in Anspruch nehmen. „Wesentliche Hindernisse sind natürlich die Vorgaben zum EBITDA (Anm.: Gewinn vor Steuern und Abschreibungen) sowie die Bezugszeiträume“, so Völzow - was zum Beispiel die Frage angehe, ob das Unternehmen energieintensiv sei oder nicht. Viele könnten die Kosten aus verschiedenen Gründen auch nicht weitergeben. Die Bayerische Härtefallhilfe sei gut, löse aber die Probleme mit der EU nicht. In Land und Bund könne man aber die Abgaben reduzieren und den Netzausbau vorantreiben. Der Energiemarkt müsse den Fokus auf Versorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit richten. „Kunden orientieren sich bereits um, es ist schwer, sie wieder zurückzuholen.“

Prof. Dr. Isabella Weber, vom Department of Economics der University of Massachusetts Amherst, sagte, die Gaspreisbremse sei als Erfolg einzustufen. Entlastet werde, „wo nicht gespart werden kann“. Was die Inflation angehe, schätze die Bundesbank, dass nur die Gaspreisbremse diese um 1,5 Prozent gesenkt habe. Trotzdem sah auch Weber Verbesserungsbedarf: „Die Zielgenauigkeit könnte verbessert werden, was die soziale Ausgewogenheit angeht, was die Entlastung energieintensiver Unternehmen betrifft.“ Es müsse auch über Notfallmechanismen und Redundanzen in systemrelevanten Bereichen nachgedacht werden. Die Preisbremsen seien als „Versicherung“ gegen steigende Preise weiter notwendig. Sie würden nur „Zeit kaufen, um ein erneuerbares Energiesystem aufzubauen“. Weber warnte, die Schuldenbremse dürfe dabei nicht zur Zukunftsbremse werden.

In der anschließenden Fragerunde der Fraktionen wollte Annette Karl (SPD) Informationen zu den Änderungen am Strommarktdesign. Gerd Mannes (AfD) wollte wissen, warum nicht auch Pellets und Heizöl einbezogen wurden. Martin Mittag (CSU) erkundigte sich nach Industriestrompreis und den Energiesteuern in anderen EU-Ländern. Martin Stümpfig (BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN) fragte, ob die Fesseln des EU-Beihilferechts Verbesserungen zuließen und nach Anreizen zum Energiesparen. Rainer Ludwig (FREIE WÄHLER) wunderte sich, warum die größte bayerische Elektrolyseanlage in Wunsiedel aufgrund der Gewinnabschöpfung stillstehen muss. Albert Duin (FDP) erinnerte daran, dass die Preisbremsen vom Steuerzahler bezahlt werden müssten.

/Andreas von Delhaes-Guenther

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