Rede im Rahmen des Akademiegesprächs „Europa in der neuen Welt(un)ordnung“

Am 20.04.2023 hat der Bayerische Landtag in Kooperation mit der Akademie für Politische Bildung Tutzing seine Vortragsreihe "Akademiegespräche" mit namhaften Vertretern aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Medien veranstaltet. Prof. Dr. Carlo Masala und Dr. Jana Puglierin haben in einer Podiumsdiskussion über das Thema "Europa in der neuen Welt(un)ordnung" gesprochen. Moderiert wurde der Abend von Prof. Dr. Ursula Münch.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Prof. Dr. Ursula Münch,

aus dem Parlament begrüße ich stellvertretend die Kollegen:

  • Alexander König für die CSU
  • Florian Siekmann für Bündnis´90/Die Grünen
  • Wolfgang Hauber für die Freien Wähler und
  • Uli Henkel für die AfD.

Dr. Hans-Joachim Heßler und seine Vorgänger im Amt,

Mitglieder des Konsularischen Corps,

Freundinnen und Freunde der Akademie für politische Bildung Tutzing,

 

ich freue mich sehr über die riesige Resonanz auf diese Veranstaltung:

viele Präsidentinnen und Präsidenten,

Vorstände und hohe Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind heute gekommen.

Ihnen allen ein herzliches Willkommen!

 

 

Deutschland ist nicht Kriegspartei.

 

Gleichwohl ist Deutschland durch und durch parteiisch in diesem Krieg.

Denn Russland hat die freie und souveräne Ukraine überfallen.

Es führt seit über einem Jahr einen brutalen Angriffskrieg.

Und es versucht mit der Macht des Stärkeren und unter Inkaufnahme von Millionen Opfern
Grenzen in Europa zu verschieben.

 

Eingebettet ist dieser Krieg in eine ganz große Erzählung:

Dass der Westen Russland keine andere Wahl lasse.

Dass Nazis und Faschisten in der Ukraine eine Bedrohung seien.

Dass Russland nun wieder alte Stärke demonstrieren müsse.

In Europa sprechen die Waffen – und damit ist unsere Vorstellung von der Welt in Unordnung gebracht.

Aus den Fugen geraten.

Und was wir nun brauchen, sind neue Bahnen, in denen wir denken und vor allem in denen wir handeln müssen.

Deutschland und Europa sind aufgefordert, ihre Rolle in der Welt neu zu definieren.

Ich war sofort der Überzeugung:

Ein Thema von solcher Tragweite, mit uns verschlossenen Einsichten, aber mit höchster Dringlichkeit ist Stoff für ein Akademiegespräch.

Und wir, liebe Frau Professorin Münch, waren schnell einig:

Diese neue Rolle Deutschlands und Europas wollen wir gemeinsam hier im Haus fachkundig beleuchten.

Insofern sage ich Ihnen allen ein sehr herzliches Willkommen!

 

Deutschland ist in diesem Krieg durch und durch parteiisch.

Das müssen wir sein.

Weil Putin den Imperialismus zurückgebracht hat:
zum Leid der Ukrainerinnen und Ukrainer.

Und auch weil sein Großmachtstreben nicht dort endet.

Er hat den Westen zum Feind erklärt.

 

Der Westen – wer oder was ist das überhaupt?

Das sind die liberalen Demokratien, die er verachtet.

Freie Meinungsbildung, Pressefreiheit, unverbrüchliche Rechte für alle Bürgerinnen und Bürger,
Parlamente, die den tatsächlichen Volkswillen repräsentieren.

Und Regierungen, die abhängig sind von Parlamenten und echten Wahlen durch das Volk.

Jemand, der im KGB sozialisiert wurde, wie er selbst sagt, kann mit Gewaltenteilung und dem Volk als Souverän nichts anfangen.

Er hat ein anderes Weltbild.

Und wir können auch nicht erwarten, dass er sich ändert:

Diktatoren wechseln ihre Ideologie nicht von einem Tag auf den anderen!

 

Bundeskanzler Olaf Scholz hat unmittelbar nach dem Überfall auf die Ukraine die Zeitenwende ausgerufen.

Das war richtig.

Zur Wahrheit gehört aber auch:

Zuvor haben wir lange die Augen verschlossen vor dem, was wir hätten sehen müssen.

Und danach?

Danach drängt sich noch immer der Eindruck auf des sehr situativen Krisenmanagements.

 

Ja, Deutschland hilft humanitär – hat über eine Million Flüchtlinge aufgenommen.

Ja, Deutschland übernimmt enorme finanzielle Lasten.

Und schließlich:
Ja, Deutschland leistet militärische Unterstützung –
wir haben angefangen mit Helmen und sind heute –
nach dem Bruch mit unseren Grundsätzen –
beim notwendigen Leopard 2.

Das sind beachtliche Schritte: jeder für sich.

 

Zugleich erkennen wir aber, wie schwer wir uns tun mit den neuen Gegebenheiten:

  • Bis die Ausstattung der Bundeswehr dann auch wirklich auf die Höhe der Zeit gebracht wird.
  • Bis wir in Europa gemeinsam handlungsfähig sind und
  • bis wir als Europäer – neben den USA – einen Kurs fahren bei der Unterstützung der Ukraine.

Zu oft hat man den Eindruck:

Deutschland muss getrieben werden von den Erwartungen der Partner und der Öffentlichkeit.

Es dauert zu lange bis wir ins Tun kommen!

 

Wir brauchen einen langen Atem.

Und machen wir uns nichts vor: Das wird nicht leicht.

Parteinahme in einem Krieg ist nicht populär.

Und Zustimmung zu hohen Militärausgaben ist kein Selbstläufer.

Die Einschüchterungsversuche Putins –
man könne auch mal eine Rakete schicken –
werden bleiben, genauso wie seine Manipulationsversuche über Social Media und Fake News.

Und je länger der Krieg dauert, desto drängender wird sich bei uns die Frage stellen:

  • Worauf arbeiten wir hin?
  • Wie kann das Kriegsziel der Ukraine aussehen? Realistischer Weise?
  • Auch mit unserer Unterstützung?
  • Konkret?

Denn es ist sehr schwer, weiter Unterstützung zu organisieren, wenn „im Nebel des Krieges“ die Wahrheit verschwimmt!

 

Meine Damen und Herren,

Putin setzt auf den mangelnden Durchhaltewillen in den westlichen Gesellschaften – da bin ich mir sicher.

Er als Diktator ist niemandem Rechenschaft schuldig.

Und so wird es wohl unsere Aufgabe sein,
der Sehnsucht nach Frieden bei uns
die Sehnsucht nach einem gerechten Frieden gegenüberzustellen!

 

Dafür müssen wir kurzfristig und überlegt handeln.

Und wir müssen mit Weitsicht und strategisch handeln:

  • Was bedeutet also Führungsmacht zu sein in Europa?
  • Was womöglich Garantiemacht?
  • Wann sind wir bereit für den Fall, dass die USA mehr Verantwortung in unsere Hände legen?
  • Folgen den großen Worten – die zu Recht gewählt worden sind – auch die großen Würfe?
  • Kurzum: Bestehen wir den Realitätscheck?

Das sind nicht irgendwelche Fragen.

Das sind existenzielle Fragen!

 

Und daher freue ich mich, dass wir heute zwei absolute Experten hier haben, die darauf Antworten geben können:

Herr Prof. Masala,

Frau Dr. Puglierin,

bringen Sie bitte für uns etwas Ordnung in diese Welt, die in Unordnung geraten ist!

 

Für mich ist klar, dass die Zeit des Reagierens in der Außen- und Sicherheitspolitik zu Ende gehen muss.

Wir brauchen eine Phase des Initiierens. Auf Basis unserer Interessen. Mit einer eigenen Agenda.

Und da sind wir sehr gespannt auf Ihre Ideen!

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