Schlussworte zum Ende der 18. Wahlperiode

Landtagspräsidentin Ilse Aigner hat die Abgeordneten vor dem beginnenden Wahlkampf um Zurückhaltung bei Fundamentalkritik gebeten. In ihren Schlussworten zum Ende der 18. Wahlperiode zog sie Bilanz und rief die Abgeordneten dazu auf, für die Wahl am 8. Oktober zu werben.

Es gilt das gesprochene Wort.


Verehrte Kolleginnen und Kollegen!


Das war sie – die letzte Vollsitzung dieser Legislaturperiode.

Für einige Kolleginnen und Kollegen heißt es Abschied nehmen aus dem Parlament.

Rund 50 von Ihnen, von Euch, kandidieren nicht mehr für eine weitere Legislaturperiode.

Ich kann mir gut vorstellen, dass deshalb diese letzte Sitzung aufwühlende und bewegende Emotionen mit sich bringt.

Sie haben, Ihr habt einen ganz besonderen Dienst an der Demokratie geleistet:

Mit viel Einsatz, mit viel Herzblut, mit viel Verantwortung für die Menschen in Bayern.

Ich meine: Das hat Würdigung verdient!

 

Und deshalb lassen wir diesen Dienst heute nicht einfach so ausklingen, sondern wir machen das anständig.

Ich habe für die ausgeschiedenen und für die neuen Mitglieder des Parlaments eine Veranstaltung am 24. Oktober geplant, bei der nochmal alle zusammen kommen können.

Um es mit den Beatles zu sagen: „Hello, Goodbye“!

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

im letzten November wurden bei den Bauarbeiten im Maximilianeum historische Waffen und Munition aus der Zeit bis 1918 gefunden.

Darunter ein MG 08/15.

Ganz und gar nicht 08/15 war diese Legislaturperiode, ganz im Gegenteil!

Was waren das für fünf Jahre?!

  • Zwei neue Fraktionen,
  • der viel zu frühe Tod von Barbara Stamm
  • eine neue Regierungskoalition,
  • neue Fundamente, ein neues Dach, Baustelle
  • und eine neue Agenda für das Amt.

Mir war es insbesondere ein Anliegen, den Landtag in die Fläche zu bringen, in die Regionen.

  • Mit den „Orten der Demokratie in Bayern“,
  • mit dem Landtruck
  • und mit Projekten wie den Isar-Detektiven.

Das Motto:

  • Wir feiern die Demokratie.
  • Wir werben für die Demokratie.
  • Wir stärken die Demokratie

Unsere Zeit braucht es unbedingt:

Wir leben die Demokratie!

 

Womit niemand gerechnet hatte: Corona.

All das, was unser Miteinander ausmacht,
wovon auch die Politik, speziell der Parlamentarismus, lebt, war nicht mehr in gewohnter Weise möglich.

Wir können nicht auf alles stolz sein,
was in der Pandemie politisch und gesellschaftlich passiert ist.

Aber ich bleibe dabei:
Wir haben nach dem Stand der Erkenntnisse und nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt – zum Wohle der Menschen in Bayern.

Und wir haben Leben geschützt und gerettet!

 

Der Bayerische Landtag ist in der sogenannten „Stunde der Exekutive“ zu Höchstform aufgelaufen.

Als Ort der Debatte – und der Entscheidung.

Wir waren zu jeder Zeit arbeits- und beschlussfähig.

Die Demokratie war nicht im Shut-Down.

Die Parlamentsbeteiligung haben wir zusammen mit der Staatsregierung sichergestellt.

Darauf dürfen wir definitiv stolz sein!

 

Trotz und auch wegen Corona haben wir in dieser Legislaturperiode eine Rekordzahl

  • an Sitzungen: 152;
  • an Anfragen zum Plenum: 5.248;
  • an Ausschusssitzungen: 1.232,
  • an schriftlichen Anfragen: 6.839;
  • an Regierungserklärungen: 32;
  • und Befragungen der Staatsregierung: 18.

Wirklich: Das Parlament war überaus fleißig!

 

Inklusive der Haushaltsgesetze haben wir 124 Gesetzesentwürfe verabschiedet.

Behandelt haben wir diese Woche allein 23 und zwei Staatsverträge.

Und zum Ende der Legislaturperiode hatten wir vier Untersuchungsausschüsse.

Unsere personellen, technischen und räumlichen Kapazitäten waren ausgeschöpft.

Die Abgeordneten und die Mitarbeitenden in der Verwaltung haben unter schweren Bedingungen beste Arbeit geleistet.

Es ist eine umfangreiche und starke Bilanz!

 

Und dafür möchte ich mich herzlich bedanken.

Der Dank ist fester Bestandteil der Schlussworte und ich möchte ihn an dieser Stelle aussprechen, weil ich weiß, wie groß und schwer die Belastungen gerade in den Corona-Monaten waren.

 

Ich danke   

  • den Kolleginnen und Kollegen im Präsidium,
  • im Ältestenrat,
  • in den Fraktionen.
  • Ich bedanke mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier im Amt, in den Fraktionen und in den Ministerien.
  • Ich danke den Diensten, die die Sitzungen im Plenum, in den Ausschüssen und den Gremien hervorragend vorbereiten und betreuen.
  • Ich danke den Offiziantinnen und Offizianten, die ständig im Einsatz sind und ein Auge auf uns und unsere Bedürfnisse haben.
  • Ich danke dem Stenografischen Dienst,
  • dem Besucherdienst,
  • dem Fahrdienst,
  • der Druckerei,
  • der Pforte,
  • der Poststelle,
  • der Hausverwaltung,
  • dem Reinigungsteam
  • und der Telefonzentrale.
  • Ich danke den Mitarbeiterinnen im Kinderhaus MiniMaxi.
  • Und ich danke unserem Amtschef Peter Worm, stellvertretend für alle Abteilungen und Stäbe sehr, sehr herzlich!
    Persönlich und im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen im Präsidium:
    danke, für die hervorragende Arbeit, die hier nicht selten über das normale Maß hinausgeht!
  • Mein Dank gilt auch der Landtagspresse und den Medien
  • sowie der Polizei und dem Roten Kreuz.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Corona haben wir hinter uns gelassen, aber sie war auch eine Herausforderung für die Demokratie.

Nach wie vor ist meine Diagnose:

Die Demokratie ist zwar stark und hat sich in der Krise bewährt, aber:
sie steht massiv unter Beschuss.

Und zwar von innen und von außen.

Viele hatten die Demokratie bereits für eine Selbstverständlichkeit gehalten.

Aber deutlich wie lange nicht ist uns heute klar:

Sie ist es nicht.

Wir müssen – täglich – dafür arbeiten,
wir müssen um sie kämpfen,
und ja:

Wir müssen sie verteidigen!  

 

Unsere Demokratie wird bedroht:

durch Feinde von außen.

Putins Angriffskrieg gegen die freie, souveräne Ukraine ist auch ein Angriff auf den Westen,
auf unsere Werte – auf Freiheit und Demokratie.

Das war ein Schock – aber wir halten dagegen.

Wir stehen auf der richtigen Seite!

 

Und wer – wie auch wenige hier – die Ukraine nicht unterstützen will, argumentiert nicht nur zynisch und menschenverachtend, sondern auch kurzsichtig.

Denn dann müssten wir Millionen Flüchtlingen aus der Ukraine bei uns eine neue Heimat geben: dauerhaft.

Und ich ahne, dass genau diejenigen, die lauthals A schreien, nicht bereit sind, B auch nur zu flüstern.

Was bleibt?

Pro-russische Propaganda ohne Sinn und Verstand!

 

Und damit bin ich schon bei den Gefahren von innen.

  • Extremisten am rechten und linken Rand,
  • islamistische Terroristen,
  • radikalisierte Anhänger von Verschwörungserzählungen.

Die Phänomene sind nicht neu.

Neu aber ist die teilweise enthemmte Stimmung,
die aus den sogenannten Sozialen Netzen und
von den Straßen hinüberschwappt in die Parlamente – auch in den Bayerischen Landtag.

Ich bin seit 33 Jahren gewähltes Mitglied verschiedener Volksvertretungen
auf kommunaler, Landes- und Bundesebene.

Mein Eindruck:

Es ist kein Zufall, dass der Ton auch hier im Landtag spürbar verroht ist, seit 2018 eine neue Fraktion eingezogen ist.

Das war eine Zäsur!

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

von hier oben behandle ich alle Abgeordneten und Fraktionen gleich.

Ich stelle sicher, dass alle Abgeordneten im Parlament dieselben Arbeitsbedingungen erhalten

und die Interessen der einzelnen MdLs und Fraktionen gewahrt werden.

Ich übe mein Amt unparteiisch aus.

Dafür stehe ich als Präsidentin ein!

 

Aber: Ich bin keine neutrale Person.

Ich bin Demokratin!

Und ja:

Auch ich lasse mir den Mund nicht verbieten.

 

Erst recht nicht von einer Partei,

  • die sich am äußersten rechten Rand positioniert,
  • die in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet und als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird
  • und die hier im Haus vor allem durch Streit, Eklats und Provokationen aufgefallen ist.

 

Dazu war zu lesen, man habe den „Kuschelmodus“ im Bayrischen Landtag beendet.

Nun, ich kann als langjährige Abgeordnete und insbesondere aus meiner Erfahrung als Staatsministerin sagen:

Kuschelig war es hier noch nie!

Sondern immer wettbewerbsorientiert!

 

Der Bayerische Landtag ist bekannt für:

  • klare Worte –
    der Regierung und der Opposition;
  • eine scharfe Auseinandersetzung in der Sache,
  • und eine mitunter harte inhaltliche Debatte.

Davon lebt der politische Wettstreit.

Davon lebt die Demokratie!

Was neu ist, und was wir hier bis 2018 nicht kannten, sind permanente Störungen,
die Verächtlichmachung des politischen Gegners und viel schlimmer:
des Parlaments an sich, der Verfassungsorgane!

 

Da gibt es die großen Entgleisungen:

  • der bewusste Eklat bei der Gedenkstunde mit der Shoa-Überlebenden Charlotte Knobloch,
  • die Gasmaske am Rede-Pult,
  • die Märtyrer-Inszenierung auf eigenen Kanälen, etwa weil einem Abgeordneten die reguläre Redezeit ausgegangen war;
  • die Bewerbungsrede zum Vizepräsidenten des Hohen Hauses, in der ein Kollege es fertigbringt, mehrere Verschwörungstheorien in einem Absatz unterzubringen:
    Da wird die Mär von der „Islamisierung des Abendlandes“ und
    vom „Bevölkerungsaustausch“ verbreitet und rumgeschwurbelt über irgendeine „Besatzungsmacht“.

    Ganz klar: So redet kein Vizepräsident.
    So redet ein Spaltpilz!

Und es gibt zusätzlich die unzähligen kleinen Sticheleien, Spott, Schmähungen, Ablenkungsmanöver und Unsachlichkeiten.

Das schadet nicht nur unserer Debattenkultur.

Das schadet unserer Demokratie.

Und: Das ist inakzeptabel!

 

25 Rügen wurden in dieser Wahlperiode ausgesprochen – die meisten in eine Richtung.

Über Jahrzehnte gab es nicht eine.

Und zwar nicht, weil hier gekuschelt wurde.

Sondern weil hier bei allen Unterschieden, bei allem Streit, Respekt geherrscht hat!

  • Respekt vor dem Gegenüber,
  • Respekt vor dem Volk, das wir vertreten dürfen;
  • Respekt vor unserem Land,
  • Respekt vor unserer Demokratie!

 

Dieser Respekt wird jetzt von einigen mit Füßen getreten. Und zwar genau von denen,
die sich selbst als Patrioten inszenieren.

Das ist keine Stärkung der Demokratie.

Das ist keine Stärkung der Meinungsfreiheit.

Das schwächt unser Land!

Für mich steht fest:

Das nächste Präsidium sollte alles in seiner Macht Stehende tun, um die Debattenkultur in unserem Land und in diesem Haus zu schützen.

Um sie zu stärken und um Entgleisungen künftig schärfer zu sanktionieren.

 

Wenn Rügen, für die sich jeder vernünftige Abgeordnete schämt, in manchen Kreisen als Trophäe gelten, brauchen wir ein neues Instrument.

Wer glaubt, Hass und Hetze gehören zur Leistungsbilanz eines Volksvertreters,
muss für diesen Irrtum dann eben bezahlen!

Ich bin fest entschlossen, zu verhindern, dass der Demokratie auf der Nase herumgetanzt wird!

 

Deswegen bin ich auch für eine schärfere Hausordnung.

Jedem muss klar sein:

Wer hier mit menschenverachtenden Zeichen oder Sprüchen auftritt,
der – fliegt – raus!

 

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Radikale reden und handeln radikal.

So weit so schlecht.

Ich will aber auch die breite Mitte ermutigen,
nicht über jedes Stöckchen zu springen.

Nicht jede Aktion verdient eine Reaktion.

Nicht jeder Aggression muss mit Empörung begegnet werden.

Für den Ton hier im Hohen Haus tragen wir alle Verantwortung.

Maß und Mitte ist Ausdruck von Souveränität!

Also bitte: Kommen wir mehr von der Sache her und lassen wir uns nicht mitreißen! 

 

Es ist doch paradox:

Einerseits zeigt sich weltweit, was passiert,

  • wenn Demokratie fehlt,
  • wenn Freiheit geraubt wird,
  • wenn Unterdrückung und Unmenschlichkeit regieren.

Menschen gehen im Kampf für Demokratie und Freiheit auf die Straßen, riskieren und opfern ihr Leben – in der Ukraine, im Iran, in Afghanistan, in Belarus, Hong Kong oder Russland.

Gleichzeitig wenden sich Menschen hierzulande von der Demokratie ab – freiwillig, vorsätzlich.

Bis hin zum rechtsradikal inspirierten Volksbegehren, den Landtag aufzulösen!

Das Querdenker-Volksbegehren war ein Rohrkrepierer
– aber doch auch: ein Warnsignal.

 

Zur Wahrheit gehört aber auch:

Die Idee, das Parlament auszuhebeln,
gibt es auch am extrem linken Rand und
unter radikalen Klimaaktivisten.

Auch dort werden weder Recht noch Parlamentsbeschlüsse akzeptiert.

Auch dort wird unsere staatliche Ordnung infrage gestellt.

Und ich kann nur sagen: Das erfordert eine glasklare Antwort des Rechtsstaats!

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

es ist an uns Demokratinnen und Demokraten,
die Errungenschaften der Demokratie herauszustellen.

Das will ich heute, am historischen 20. Juli,
mit einer besonderen Eindringlichkeit sagen!

Es ist an uns, unsere Demokratie zu stärken –
ihre Akzeptanz, das Vertrauen, die Zuversicht.

 

Das sage ich auch mit Blick auf den Endspurt im Wahlkampf.

Und ich sage es in Richtung der breiten Mitte und bitte um Zurückhaltung bei Fundamentalkritik.

Scharfe inhaltliche Auseinandersetzung:
ja, her damit!

Aber:

Kein kurz und klein schlagen, bis alle beschädigt sind. Das schadet am Ende unserer Demokratie.

Das kostet Vertrauen in die Fähigkeit und Funktionalität.

Nochmal mein Appell:

Lassen wir uns nicht mitreißen!

 

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Menschen in Bayern haben am 8. Oktober die Wahl! 

Ja, eine wirklich freie Wahl mit offenem Ausgang.

Unsere Demokratie ist echt, sie ist lebendig und keinesfalls formal. Wir müssen und die Demokratie auch nicht zurückholen. Wir müssen gemeinsam für unsere Demokratie kämpfen. Darauf kommt es an!

Eine parlamentarische Demokratie

  • sichert Repräsentanz.
  • sichert Mitsprache.
  • sichert Teilhabe.

Und wir alle zusammen stehen dafür ein:

Unsere Parlamente funktionieren.

Und das sollte jedem hier im Haus bewusst sein!

 

Die Menschen haben die Wahl!

Und dabei geht es um viel.

Gehen wir raus und werben wir für unsere Ideen!

Machen wir unsere Demokratie noch stärker!

Geben wir Acht auf unser Land!

Und aufeinander!

In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen schönen Sommer!

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