Sanierung statt Neubau
Sachverständigenanhörung im Bauausschuss zum Thema „Bauen im Bestand“
26. November 2024
MÜNCHEN. Der Bau von Gebäuden und die Herstellung der dafür verwendeten Materialien verursachen CO2-Emissionen und versiegeln Flächen. Bauen im Bestand hingegen setzt auf die Sanierung und Modernisierung bestehender Gebäude. Ist das eine Alternative? Darüber diskutierten acht Sachverständige auf Initiative von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Ausschuss für Wohnen, Bau und Verkehr des Bayerischen Landtags. Fazit: Das Potenzial ist groß, die bürokratischen Hürden sind es allerdings auch.
Eine große Fürsprecherin des Bauens im Bestand ist Dipl.-Ing. Christina Patz von Architects for Future Deutschland. „Die Hälfte der CO2-Emissionen geht auf den Neubau zurück“, war sie überzeugt. Gleichzeitig stünden viele Büro- und Nachkriegsgebäude leer. Eine Umnutzung liege da auf der Hand. Das Problem: Die Bayerische Bauordnung mache keinen Unterschied zwischen Neubau und Umbau. Durch die hohen Anforderungen würden in Bayern jährlich 2.400 Gebäude zum Teil unnötig abgerissen. Patz plädiert daher für die Wiedereinführung von Abrissgenehmigungen und das Einfordern von Rückbaukonzepten für die Gebrauchtteilegewinnung.
Auch der Präsident des Bayerischen Bauindustrieverbands, Dipl.-Ing. Josef Geiger, ist der Meinung, dass die Probleme nur durch Bauen im Bestand gelöst werden können. Dazu müssten aber die Auflagen entschlackt werden. Wärmeschutz, Barrierefreiheit, Schallschutz, Abstandsflächen, Denkmalschutz – all das mache das Bauen teurer. „Durch die viele Bürokratie wird die Behandlung von Bauanträgen in Landratsämtern immer langsamer“, unterstrich er. Stattdessen müssten Anreize für das Bauen im Bestand geschaffen werden, etwa eine Abschreibung von 100 Prozent oder die Aufstockung von Gebäuden, ohne gleich in eine neue Gebäudeklasse zu fallen.
„Bauen im Bestand ist das Schlüsselthema“, betonte Prof. Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer. Denn nicht nur die finanziellen Mittel, auch die Baustoffe seien endlich. Sie verlangte, alle Baugesetze auf Landesebene auf das Thema Umbau umzustellen. Dadurch müsse nicht jedes Mal eine Ausnahmegenehmigung beantragt werden, sondern Baustellen könnten unkompliziert wieder in den Kreislauf eingebracht werden. Ebenso sollten die Fördermaßnahmen auf den Bestandserhalt abzielen, damit vermehrt im Bestand gebaut wird. Haack sieht darin auch ein neues Geschäftsmodell für die Baubranche.
Ein Neubau ist oft lukrativer als eine Sanierung
Bei Tim Sassen, dem Gründungsinitiator und Beirat vom Verband Bauen im Bestand, ist das Motto schon im Namen enthalten. „Wir legen den Fokus auf Wertschätzung des Bestands auf ökonomischer und ökologischer Ebene“, erläutert er. Die Bau- und Immobilienbranche sei der größte CO2-Emittent. „Und der Lösungsschlüssel liegt im Bestand.“ Dennoch sei es heute immer noch leichter und lukrativer, einen Neubau zu errichten, als im Bestand zu sanieren. Sassen wünschte sich daher eine höhere Förderung und die Betrachtung der CO2-Emissionen einer Immobilie über den gesamten Lebenszyklus – nicht nur während der Nutzphase.
„Wir haben ein Emissionsproblem“, warnte auch der Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer Bau, Prof. Dr.-Ing. Norbert Gebbeken. Um die Menge zu reduzieren, brauche es eine CO2-Bepreisung. Und zwar nicht wie in Deutschland geplant von 60 bis 80 Euro pro Tonne CO2, sondern wie in skandinavischen Ländern in Höhe von 600 bis 800 Euro. Dies schaffe wirtschaftliche Anreize, um die Recyclingquote zu erhöhen. Nicht zuletzt setzte sich Gebbeken dafür ein, die Umbaufähigkeit von Gebäuden schon von Beginn der Planung zu berücksichtigen und die Klimaauswirkungen entsprechend einzupreisen.
Christian Bodensteiner, Architekt bei bodensteiner fest Architekten BDA, beklagte die hohen Hürden beim Bauen im Bestand. „Wir sind laufend mit Anforderungen konfrontiert, die unverhältnismäßige Eingriffe erfordern.“ Diese immensen Kosten würden das Projekt unwirtschaftlich machen – oft zu unwirtschaftlich. Dadurch würde wertvolle Bausubstanz auf dem Müll landen, die zum Beispiel im Fall von Holz handelsübliche Bauteile bei weitem übertreffe. Bodensteiner schlug wie in Baden-Württemberg eine Grundsteuer vor, die sich am Gebäudewert orientiert. Sinnvoll seien ebenso Ideenwettbewerbe für Bauen im Bestand.
Nicht nur Energie-, sondern auch CO2-Beratung
„Energieberatung muss als Standard verankert werden“, meinte Andreas Klingerbeck von der GIH Bayern, einer Interessenvertretung für Energieberater. Ohne entsprechende Fördermittel sei dies aber nicht möglich. Dabei müsse der Schwerpunkt verstärkt auf die CO2-Beratung gelegt werden. Gleichzeitig sei es laut Klingerbeck wichtig, alle Beteiligten von Planern bis zu den Nutzern in den Wandel mit einzubeziehen. Gerade im Flächenland Bayern könne die Förderung regionaler Lösungen eine Schlüsselrolle spielen, etwa alpine Wärmenetze oder Holzbauten aus nachhaltiger Forstwirtschaft.
Eine komplett andere Haltung hatte Architekt Alfred Schmitt von bauXP Bauexpertisen, der sich als AfD-Funktionär vorstellte. „Der gesamte Fragenkatalog basiert auf der Prämisse des Treibhauseffekts“, erklärte er. Dies sei jedoch von verschiedenen Wissenschaftlern schon im Jahr 1909 widerlegt worden. „Es wird immer wieder behauptet, es herrsche Einigkeit beim sogenannten Klimawandel.“ Die vielen Petitionen und Briefe an das UN-Klimasekretariat bewiesen laut Schmitt das Gegenteil. Positiv bewertete er am nachhaltigen Bauen die verstärkte Nutzung von Holz.
In der anschließenden Fragerunde kritisierte Joachim Konrad (CSU), dass einige Sachverständige eine Verschärfung des Gebäudeenergiegesetzes forderten. „Wir müssen günstiger bauen, nicht teurer.“ Auch den Wunsch nach einer Abrissgenehmigung hielt er wegen des bürokratischen Aufwands für unangebracht. Als richtig empfand er, dass es beim Bestandsumbau nicht dieselben Vorgaben geben dürfte wie beim Neubau.
FREIE WÄHLER haben Zweifel beim Abfallrecycling
Martin Behringer (FREIE WÄHLER) konnte sich nicht vorstellen, dass nach einem Hausabriss noch viel Material verwendet werden könne. „Ich finde es wichtig, dass Gebäude erhalten bleiben, aber bei manchen geht das eben nicht.“ Der Abgeordnete betonte, dass bei einem Bestandsumbau im Rahmen des Modernisierungsgesetzes keine neuen Stellplätze geschaffen werden müssten. „Das hat das Ministerium klipp und klar gesagt.“
Markus Striedl (AfD) hielt eine Abrissgenehmigung für den falschen Weg. Aus der Praxis wisse er: „Dann lassen Bauherren die Hütte eben so lange verfallen, bis sie abgerissen werden muss.“ Auch eine Grundsteuer je nach Gebäudewert lehnte er ab: „Welcher Bauherr wird dann noch in seine Wohnung investieren?“ Statt über CO2 zu diskutieren, sollten lieber die komplizierten Auflagen abgebaut werden.
Für Dipl.-Ing. Ursula Sowa (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) liegt die Zukunft des Bauens in einer Umbaukultur. „Angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen wie Klimawandel, Ressourcenknappheit und Energiekrise muss der Kreislauf aus Abriss und Neubau endlich unterbrochen werden“, unterstrich sie. Dafür brauche es eine Bauordnung, die konsequent das Weiter- oder Wiederverwenden von vorhandener Bausubstanz fördere.
Sabine Gross (SPD) wies darauf hin, dass Bayern 200.000 Sozialwohnungen fehlten. Sie schlug vor, die Zahl künftig auch mit Hilfe von Bestandswohnungen zu senken.
/ David Lohmann