„Bildung 2030 – Perspektiven für die kommende Bildungsdekade“

Expertenanhörung im Ausschuss für Bildung und Kultus

25. November 2021

MÜNCHEN.    Unabhängig von den Corona-Belastungen stehen Bayerns Schulen in den kommenden Jahren vor großen Herausforderungen. Die zunehmende Heterogenität der Schülerschaft muss bewältigt werden, es braucht Initiativen zur Digitalisierung und damit verbunden den Einsatz neuer pädagogischer Arbeitsmethoden. Mit einer Expertenanhörung blickten die Abgeordneten des Bildungsausschusses in die Zukunft.

Der Unterricht an Bayerns Schulen wird sich in den kommenden Jahren stark verändern müssen, um die Herausforderungen einer digitaleren und lösungskompetenzorientierten Gesellschaft annehmen zu können. Das war die einhellige Meinung einer Expertenrunde, die im Bildungsausschuss zum Thema "Bildung 2030 – Perspektiven für die kommende Bildungsdekade" Stellung bezog. Konkret sprachen sich die Fachleute aus Praxis und Wissenschaft für moderne Unterrichtsformen ohne ständige Präsenz im Klassenzimmer, mehr Zeit und Freiräume für die Lehrkräfte, eine spürbare Aufrüstung bei der digitalen Ausstattung und eine modifizierte Lehrerbildung aus.

Wie die Schule der Zukunft aussehen könnte, schilderte Stefan Ruppaner, Schulleiter der Alemannenschule im württembergischen Wutöschingen. In der mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichneten Gemeinschaftsschule gebe es keine festen Klassenzimmer und keine Schulbücher mehr, dafür jahrgangs- und leistungsübergreifende Klassen mit Inklusionskindern, hybridem Unterricht und viel Freiraum für Lehrkräfte und Schüler innerhalb festgelegter Regeln, schilderte Ruppaner. "Dafür ist das Digitale unabdingbar", sagte er. Jeder Schüler habe ein digitales Endgerät, die Ausstattung sei zu einem großen Teil von Sponsoren aus der Wirtschaft finanziert. "Wenn man das alles gescheit organisiert, ist es sogar billiger als an herkömmlichen Schulen", berichtete Ruppaner. Man habe den Weg weg von einer Lehr- hin zu einer Lernkultur beschritten, die von den Schülern auch mehr selbstorganisiertes Lernen verlange. Durch den engen, auch digitalen Kontakt zu den Lehrkräften funktioniere dies gut.

Verzahnung von Digitalem und Analogem

Ein anderes Beispiel zeigte Kai Wörner, Seminarrektor an der Realschule am Europakanal Erlangen, auf. An seiner Schule gebe es seit 2011 "Tablet-Klassen" und hybriden Förderunterricht in Präsenz und über digitale Medien. Auch Wörner betonte, dass dies ohne ein Endgerät für jeden Schüler nicht machbar sei. Voraussetzung sei zudem eine neue Lehrerrolle. Die Lehrkräfte verstünden sich mehr als Moderatoren und Förderer. Um sie darauf vorzubereiten, forderte Wörner eine entsprechend ergänzte Lehreraus- und -fortbildung. Dass die Digitalisierung auch an Grundschulen Vorteile bringen kann, schilderte Simone Hell, Leiterin der Erich-Kästner-Grundschule Neu-Ulm. Mit der Hilfe digitaler Medien könne individueller auf Leistungsstand und Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler eingegangen werden. Auch ließen sich Sprachbarrieren von Kindern mit Migrationsbiographie durch digitale Übersetzungsprogramme leichter überwinden. Bildung werde zudem zeit- und raumunabhängiger. Am besten sei eine "optimale Verzahnung von Digitalen und Analogem", erklärte Hell, da vor allem jüngere Schüler noch auf den direkten Kontakt zur Lehrkraft angewiesen seien.

Für Simone Fleischmann, die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), ist die Digitalisierung eine große Chance für die Schulen. Sie schaffe neue Möglichkeiten zum selbständigen Lernen sowie zur individuellen Wiederholung und Vertiefung des Lehrstoffes. Das unterstrich auch der Eichstätter Didaktik-Professor Heiner Böttger. "Digitalisierung und Individualisierung sind Best Buddies", sagte er. Ein moderner digitaler Unterricht könne sich von festen Lernzeiten entkoppeln und damit besser auf die im Tagesrhythmus unterschiedliche Lernbereitschaft und Aufnahmefähigkeit von Kindern abgestimmt werden. Bei entsprechender technischer Vollausstattung trage die Digitalisierung auch zu mehr Chancengleichheit bei, erläuterte Böttger. Er plädierte für eine individualisierte Leistungserhebung und Kompetenzdiagnose. Damit ließen sich Kinder besser fördern und motivieren. Die Erziehungswissenschaftlerin Gabriele Weigand ergänzte, es brauche mit Blick auf die Digitalisierung überarbeitete Lehrpläne sowie neue Zeitmodelle für Lehrkräfte. Deren Einsatz könne sich künftig nicht mehr an einem festen Stundendeputat orientieren.

Nicht an den Lehrkräften sparen

An die Politik stellten die Experten einen klaren Forderungskatalog. Der Schulpsychologe Andreas Wohlgemuth vom Ortenburg-Gymnasium Oberviechtach forderte wie Weigand leistungsfähige Internet-Anschlüsse und eine moderne Digitalausstattung für alle Schulen. Diese bräuchten dann kompetente Systembetreuer, um die Lehrkräfte von technischen Aufgabenstellungen zu entlasten. Digitalisierung dürfe auch nicht dazu führen, Lehrpersonal einzusparen, warnte Wohlgemuth. "Die Aufgaben der Lehrkräfte werden nicht weniger, sie ändern sich nur", sagte er. Ruppaner plädierte dafür, Schulen und Lehrkräften im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben mehr Freiräume zu lassen. "Ich bin immer froh, wenn man mich in Ruhe arbeiten lässt", erklärte er. Dem pflichtete Fleischmann bei. Mit mehr Zeit und Freiraum für Schulleitungen und Lehrkräfte werde "Innovation möglich".

Abgeordnete der Opposition sahen sich in den Aussagen der Experten in ihren Forderungen an die Staatsregierung bestätigt. Es habe sich gezeigt, dass Bildung künftig viel mehr von den Schülerinnen und Schüler her gedacht werden müsse, erklärte Gabriele Triebel (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN). Für das digitale Lernen brauche es im Sinne der Chancengleichheit endlich landesweit gleiche Rahmenbedingungen. Dr. Simone Strohmayr (SPD) betonte, ein digitales Endgerät müsse für alle Schüler zur Normalität werden. Wie auch Matthias Fischbach (FDP) forderte sie eine entsprechende Ausweitung der Lernmittelfreiheit.

Auf Lehrplankonformität achten

Der Ausschussvorsitzende Markus Bayerbach (AfD) erkannte Grenzen der Digitalisierung. Der Distanzunterricht während Corona habe gezeigt, dass die Bildungsschere weiter auseinandergehe, wenn es an der häuslichen Unterstützung fehle. Dieses Problem müsse gelöst werden. Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU) mahnte die "Lernplankonformität" der digitalen Unterrichtsformen an. Zudem dürften Lehrerkompetenz und -persönlichkeit als Garanten guter Bildung nicht vernachlässigt werden. Skepsis äußerte Waschler zu individualisierten Lernstanderhebungen. Tobias Gotthardt (FREIE WÄHLER) brachte in die Debatte die Notwendigkeit ein, Lehrer- und Elternschaft eng in den Prozess der Digitalisierung und Modernisierung des Unterrichts einzubinden. Andernfalls werde das Projekt nicht funktionieren.

/ Jürgen Umlauft

 

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