Bildung für nachhaltige Entwicklung für Bayern

Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Bildung und Kultus

27. April 2023

MÜNCHEN.     Wie kann in Bayern Bildung für nachhaltige Entwicklung in den Köpfen und Herzen der Menschen ankommen? Welche Rahmenbedingungen sind nötig, um vom Projektstatus zu belastbaren Strukturen zu kommen und das Thema in Kitas, Schulen, Hochschulen und der Erwachsenenbildung zu verankern?

Diese und weitere Fragen diskutierten Expertinnen und Experten aus Praxis und Forschung auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit den Mitgliedern des Ausschusses für Bildung und Kultus. Hinter der eher allgemein klingenden Formulierung „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, abgekürzt BNE, verbirgt sich der Gedanke, dass jede und jeder Einzelne, die Auswirkungen seines Handelns auf die Umwelt nicht nur verstehen, sondern auch verantwortungsvolle Entscheidungen treffen kann. Dabei ist es nach übereinstimmender Meinung der Fachleute wichtig, entsprechende Kenntnisse zu erlernen und sich Wissen anzueignen. Im Fokus stehe aber die Fähigkeit der Menschen zum Handeln und Bewerten.

„Neu denken, neu gestalten“

Die sieben Sachverständigen, die in den Ausschuss für Bildung und Kultus geladen waren, waren sich recht einig, was noch zu tun ist. Sie sehen in der BNE eine Aufforderung, neu zu denken und zu gestalten. Im Mittelpunkt der Anhörung standen Bildungseinrichtungen und Fragen nach dem Weg, wie das Leitbild der Nachhaltigkeit konkret an die Bürgerinnen und Bürger des Freistaates herangetragen werden kann. Ziel des BNE ist dabei, Herausforderungen wie Artenverlust, Klimakrise und globale Gerechtigkeit zu meistern. Seit der internationalen Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro ist „sustainable development“, übersetzt also nachhaltige Entwicklung, Leitbild internationaler und nationaler Umweltpolitik geworden, verbunden mit der Verpflichtung, die Prinzipien der Nachhaltigkeit in den nationalen Bildungssystemen festzuschreiben.

„BNE ist eine Haltungsfrage und kein Add-On-Thema“ sagte Birgit Feldmann, Landesfachbeauftragte Bildung für nachhaltige Entwicklung vom Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV). Ebenso wie etliche weitere Fachleute im Ausschuss sah Feldmann einige Handlungsfelder, in denen es noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt. In den Schulen fehlten die Freiräume, bei den außerschulischen Einrichtungen reiche die Höhe der Förderung nicht, Kommunen müssten konkreter befähigt werden, nachhaltig zu gestalten. Feldmann appellierte an die politisch Verantwortlichen, die Bildungspolitik besser an diesen Nachhaltigkeitskriterien auszurichten und wünschte sich deshalb einen klaren Beschluss des Landtags für BNE.

„Keine Privatangelegenheit, sondern Gemeinwohl“

Nach Ansicht von Dr. Stephan Friebel-Piechotta, sollte die kritische Reflexionsfähigkeit gestärkt werden. Das kommt dem Leiter „Schulpraxis und Unterrichtsforschung“ am Institut für Ökonomische Bildung in Oldenburg bislang zu kurz. „BNE sollte denken ermöglichen in Projekten, wie man nachhaltigere Entscheidungen treffen kann.“ Darüberhinaus müsse an gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen angesetzt werden. Der Experte kritisierte ein „sozio-ökonomisches Vakuum“: die soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Perspektive sei im Zusammenhang mit BNE enorm wichtig, um die Zusammenhänge zu verstehen und in der Schulbildung noch nicht ausreichend verankert. Zudem gelte es, die Lücke zwischen Umwelt-Überzeugung und -Verhalten zu überwinden. Friebel-Piechotta rief dazu auf, auch Personen in den Blick zu nehmen, die sich nicht für BNE interessierten.

Ein Thema, das sich auch die Volkshochschulen auf die Fahnen geschrieben haben. Dr. Regine Sgodda vom Landesvorstand des Bayerischen Volkshochschulverbands (BVV) in München verwies auf die Potentiale der Grundbildungsangebote in der Erwachsenenbildung, über die viele Nachhaltigkeitsziele vermittelt werden könnten. „BNE ist keine Privatangelegenheit, sondern ein gemeinwohlorientiertes Bildungsangebot.“ Diese Angebote müssten kostenlos sein, allen Bürgerinnen und Bürgern offen stehen und als Lern- und Beteiligungsformate einen persönlichen Benefit bieten, auch für gering Literalisierte.
Zentral sei dafür die politische Unterstützung, Kompetenzentwicklung bei den Lehrenden sowie intergenerationelle Formate. Sgodda sieht dabei die örtlichen Volkshochschulen als Partner der Kommunen, um kommunale Nachhaltigkeitsstrategien zu realisieren. Dennoch sei es schwierig, die Lehrkräfte in Fortbildungen zu bekommen, denn die Tätigkeit in den Volkshochschulen sei nur gering honoriert, „ein Ehrenamt mit Aufwandsentschädigung“. 

Whole School Approach als ganzheitlicher Blick auf Schulalltag

Praktischen Einblick gewährte Dr. Andreas Schöps, Schulleiter des Johannes-Gutenberg-Gymnasiums in Waldkirchen, der von engagierten Schülerinnen und Schülern seines Gymnasiums begleitet wurde. Er berichtete vom Fairtrade-Team, der Bewerbung als Klimaschule und vielen Preisen für das Nachhaltigkeits-Engagement. Der Schulleiter sprach sich dafür aus, die Netzwerkbildung zu fördern, beispielsweise mit Projektpartnern oder best-practice-Beispielen und Initiativen zu bündeln. Er wies daraufhin, dass BNE aus der Umweltbildung komme, jedoch wesentlich mehr beinhalte. Schöps Fazit: Wichtig sei eine werte- und handlungsorientierte Methode, die mithilfe konkreter Projektarbeit Schülerinnen und Schüler befähige, eigenverantwortlich reflektierte Entscheidungen zu treffen. Die aktuellen Lehrpläne konzentrierten sich allerdings zu sehr auf theoretisch-wissensbasierte Vermittlung.

Ein zentraler Faktor, den die Sachverständigen immer wieder hervorhoben war der „Whole School Approach“, wonach ein ganzheitlicher Blick auf alle schulischen Aktivitäten nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch praktisches Handeln im gesamten Schulalltag ermöglicht, vom Schulweg bis zur Mensa. Katja Reitmaier, Leiterin des Arbeitskreises Demokratiepädagogik / Partizipation des Netzwerks Zukunft Passau der Staatlichen Schulämter in der Stadt und im Landkreis Passau forderte die kraftvolle Unterstützung des Kultusministeriums, um Kolleginnen und Kollegen für BNE zu gewinnen. Nötig seien beispielsweise mehr Anrechnungsstunden für das Lehrpersonal.

„BNE ist neues Bildungsprinzip“

Ebenfalls mehr personelle und finanzielle Ressourcen forderte Ingrid Hemmer, Professorin mit Ehrenamtsvertrag an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt – dort u. a. für die Koordination des Whole Institution Approach und Fortbildungen im Bereich BNE verantwortlich, zudem u.a. Co-Gründerin des Netzwerk Hochschule und Nachhaltigkeit Bayern und Vizevorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltigkeit an Hochschulen. Hemmer blickte aus wissenschaftlicher Sicht auf die bayerische BNE-Landestrategie, die sie generell befürwortete. Dennoch gebe es noch Luft nach oben. Die Professorin sprach sich für eine schlanke Strategie mit „wenig Prosa“ aus, in die Vertreter aus der Zivilgesellschaft und Jugendvertreter eingebunden werden. Sie plädierte ferner dafür, die Zuständigkeit für die bayerische BNE-Strategie möglichst hoch, am besten in der Staatskanzlei anzusiedeln.
Zu wenig passiert sei bislang zudem in der Aus- und Fortbildung. Einig war sie sich mit ihren Kollegen Schöps und Dirk Uhlemann, dass neben der wissenschaftlichen Begleitung auch der „Whole School Approach“ bzw. der „Whole Institution Approach“ „alternativlos“ sei.

Für Dirk Uhlemann ist BNE ein neues Bildungsprinzip. Der Netzwerkkoordinator für Hessen und Bayern, Schule im Aufbruch, verwies auf die 17 Ziele der Agenda 2030 für eine soziale, nachhaltige, wirtschaftliche und ökologische Entwicklung. Die Ziele gäben allerdings keine Strategie vor, die müssten wir uns selbst ausdenken. Nötig seien nun transformative Bildungsprozesse. Uhlemann sagte: „Es geht nicht um zusätzliche Fächer, es geht darum ein neues Narrativ zu entwickeln: Wie wird gut gelernt?“ Interessensorientiertes Lernen sei dazu ein wichtiges Schlagwort. Rein formal habe Bayern gute Voraussetzungen, um BNE zu realisieren. Aber es gebe zu wenig Gestaltungsfreiraum in den Schulen.

Fragen nach konkreten Vorschlägen

In der vom stellvertretenden Ausschuss-Vorsitzenden Tobias Gotthardt (FREIE WÄHLER) moderierten anschließenden Fragerunde ging es den Abgeordneten immer wieder um konkrete Anregungen und Verbesserungsvorschläge. So forderte Gerhard Waschler von der CSU-Fraktion die Fachleute auf, die Gelegenheit zu nutzen und zu sagen, in welche Richtung die Reise gehen solle. Johann Häusler von den FREIEN WÄHLERN fragte, wie weit der Pakt für BNE in Bayern, ein zivilgesellschaftliches Bündnis von 59 Organisationen, gediehen sei. Eine Frage, die auch den Grünen-Abgeordnete Max Deisenhofer beschäftigte. Deisenhofer wollte darüberhinaus wissen, wie es mit dem Fortbildungsbedarf bei Schulleitungen und Lehrkräften aussehe.

Sein FDP-Kollege Matthias Fischbach hakte nach, was sich die Sachverständigen konkret an Fördermitteln wünschen. Oskar Atzinger, AfD, fragte, ob es für die Nachhaltigkeit nicht geradezu kontraproduktiv sei, wenn Deutschland mit Flüchtlingen geflutet werde. Die Sozialdemokratin Margit Wild interessierte sich für den „Whole Institution Approach“ und wie eine bessere Vernetzung der Akteure erreicht werden könne.

/ Miriam Zerbel

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