„Wir müssen Neugierde wecken“

München, 18.05.2021

Von ‚spitzenmäßig‘ bis ‚eingefroren‘ – so bezeichneten die Teilnehmer in der Expertenanhörung im Europaausschuss die aktuellen Beziehungen zwischen Tschechien und Bayern. Einigkeit herrschte darüber, dass die gemeinsamen Herausforderungen während der Corona-Pandemie jetzt auch eine Chance für eine Intensivierung der Partnerschaft auf verschiedenen Ebenen sein können.

„Ich bin wohl der Einzige hier in der Runde, der live berichten kann, was die grenzüberschreitende Kooperation zwischen Tschechien und Bayern auszeichnet: Wenn ich mein Büro verlasse, treffe ich auf meine tschechischen Kollegen, mit denen ich 24 Stunden unter einem Dach zusammenarbeite“, berichtete Markus Leitl als Koordinator des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit, von seiner täglichen Arbeit in der Grenzregion Petrovice / Schwandorf. Neben Leitl diskutierten Experten aus verschiedenen Bereichen mit den Abgeordneten im Europaausschuss, wie Partnerschaften in Zukunft gestärkt werden können.

Vertrauen zurückgewinnen

Vizepräsident Karl Freller verwies zu Beginn der Anhörung, die die Landtagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN initiiert hatte, auf die Entwicklung der Beziehungen: „Bis vor einem Jahr hätte man sagen können, das Verhältnis zwischen Tschechien und Bayern ist ein Musterbeispiel für die integrative Kraft innerhalb der EU. Doch die Pandemie hat das Verhältnis belastet.“ Gründe dafür seien mitunter mangelnde Abstimmungen gewesen. PhDr. Mikuláš Bek, Senator und Vorsitzender des Europaausschusses im Senat des tschechischen Parlaments, betonte, dass die Zusammenarbeit vor allem im Bereich der Forschung aufgrund von Investitionen ein hohes Niveau erreicht habe. Um diese Ebene des kontinuierlichen Austauschs zu intensivieren, setzt sich Bek dafür ein, Gesprächsforen zu schaffen. Diese Initiative unterstützt auch Dr. Christoph Israng, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Tschechien: „Wir brauchen jetzt Instrumente, die das Vertrauen zurückbringen.“

Kommunikation auf Augenhöhe

154 Unternehmen sind der IHK zufolge in der Region Pilsen tätig und 170.000 Zugriffe aus Süddeutschland erreichte die Informationsseite zum Thema Tschechien des Regionalbüros der Industrie- und Handelskammer (IHK) – mit solchen Zahlen verdeutlichte Richard Brunner, Leiter der IHK Geschäftsstellen Cham, Schwandorf und des IHK / AHK-Regionalbüros Pilsen bei der IHK Regensburg für Oberpfalz und Kelheim, welche Bedeutung Tschechien als Wirtschaftspartner für Bayern besitzt. Er forderte, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern noch viel mehr „auf Augenhöhe“ weiterzuentwickeln. Zu den Zukunftsthemen zählte Brunner die Partnerschaft zur westböhmischen Universität und die Vernetzung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft im Rahmen von Veranstaltungen, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf beiden Seiten aufeinander neugierig machten.

Frühe Sprachförderung

Sowohl Brunner als auch Prof. Dr. Marek Nekula, Leiter der wissenschaftlichen Einrichtung BOHEMICUM an der Universität Regensburg, bedauerten, dass es keinen grenzüberschreitenden Studiengang gibt und nur wenige binationale Studiengänge, die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) finanziert werden. „Eine bayerisch-tschechische Finanzierung gibt es bislang noch nicht. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir durch spezifische Anreize einen gewissen Enthusiasmus in die Regionen tragen können“, sagte Nekula. Dazu zähle auch, dass Kinder bereits in frühen Jahren spielerisch an die Sprachförderung herangeführt werden. Darauf bezog sich Thomas Rudner, Leiter des Koordinierungszentrums Deutsch-Tschechischer Jugendaustausch - Tandem Regensburg. So berichtete Rudner von dem Zuwachs, den Online-Angebote seiner Einrichtung derzeit hätten. „Im Vergleich zu analogen Veranstaltungen haben wir aktuell mehr als doppelt so viele Teilnehmer.“ Petr Bystron, AfD-Bundestagsabgeordneter, der ebenfalls als Experte geladen war, bezweifelte, dass ein Großteil der Schüler in einer globalisierten Welt Interesse daran hätte, Tschechisch zu lernen. „Wenn das Interesse nicht da ist, müssen wir das akzeptieren.“ Bystron befürwortete, die Verbindungen beiden Länder, beispielsweise durch eine schnelle Bahnlinie München-Prag, zu festigen

Gemeinsame Plattform

Harald Ehm, Geschäftsführer der EUREGIO EGRENSIS Arbeitsgemeinschaft Bayern e.V. in Marktredwitz, hob hervor, wie bedeutend Planungssicherheit, klare Regelungen und feste Ansprechpartner für die zukünftige Zusammenarbeit seien. Diese Forderung unterstützte auch Dr. Veronika Hofinger, Leiterin des Centrum Bavaria Bohemia (CeBB) in Schönsee. Hofinger schlug vor, eine Plattform zu etablieren für die grenzüberschreitende und interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Entwicklungstrends, die den unmittelbaren Grenzraum betreffen. Einbezogen werden sollten Akteure aus Politik, Verwaltung, der Wirtschaft, der Kammern, Hochschulen und nichtstaatlicher Organisationen. Auch Kaspar Sammer, Geschäftsführer der EUREGIO Bayerischer Wald - Böhmerwald - Unterer Inn in Freyung sprach sich für eine bessere Vernetzung aus: „Uns würde es sehr helfen, wenn wir gewisse Zuständigkeiten auf digitalem Weg bündeln und Informationen zusammen führen könnten.“ Möglich sei dies beispielsweise durch die Einrichtung einer zweisprachigen Informationsplattform. Mgr. Pavel Hubený, Leiter des Nationalparks Šumava in Vimperk, bezeichnete die Zusammenarbeit zwischen Tschechien und Bayern als „spitzenmäßig“ und „einzigartig“ in ganz Europa. „Unser Vorteil ist, dass wir mit unseren beiden internationalen Parks in der Umweltbildung in einem relativ kleinen Gebiet zusammenarbeiten und persönlich in Kontakt stehen.“ Auf beiden Seiten gebe es ambitionierte Pläne. „Bis zum Jahr 2030 planen wir den Urwaldbereich auf 50.000 Hektar zu erweitern“, kündigte Hubený an.

Freude am Austausch

In der anschließenden Fragerunde brachten die Abgeordneten ihre Wertschätzung gegenüber den tschechisch-bayerischen Beziehungen zum Ausdruck. Florian Siekmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erkundigte sich nach Maßnahmen, um das Interesse an der tschechischen Sprache zu erhöhen. Auch Christoph Skutella (FDP) fragte nach Anreizen an Universitäten, um die Begeisterung am Austausch an Studenten weiterzugeben, damit sich ein neues Verhältnis der Partnerschaft entwickeln könne. Dr. Franz Rieger (CSU), stellvertretender Ausschussvorsitzender, fragte nach konkreten Schlüssen, die die Landespolitik aus dem vergangenen Jahr für die Zusammenarbeit ziehen müsse. Auch Markus Rinderspacher (SPD) erkundigte sich nach Formen der Koordinierung. Jürgen Mistol (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) äußerte den Eindruck, dass die Krise auch Kreativität und Pläne für die Zukunft hervorgebracht habe. Expertin Hofinger bezog sich in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung sozialer Strukturen wie ein vitales Vereinsleben in den Grenzregionen. Sachverständiger Ehm betonte, dass die Zusammenarbeit auf verschiedenen Ebenen institutionell stärker verankert werden müsse. „Wir setzen da auch gerne Akzente bei unseren kommunalen Partnerschaften.“ Ausschussvorsitzender Tobias Gotthardt (FREIE WÄHLER) bilanzierte: „Wir haben jetzt die Chance in der Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen ganz konkret voranzukommen und die heutige Anhörung war der Beweis dafür, dass wir auch die Freude daran haben.“

Die Ausschuss-Sitzungen werden aktuell auf dem YouTube-Kanal des Bayerischen Landtags im Livestream übertragen.

Die Tagesordnungen zu allen Ausschuss-Sitzungen finden Sie unter Aktuelles/Tagesordnungen und kommen hier zum Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie regionale Beziehungen.

/ AS

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