Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2020 im Innenausschuss

Staatsminister Joachim Herrmann stellte sich den Fragen der Abgeordneten

21. April 2021

MÜNCHEN.    Anfang der Woche hat Innenminister Joachim Herrmann den Verfassungsschutzbericht 2020(Dokument vorlesen) der Öffentlichkeit präsentiert - am Mittwoch begrüßte der Ausschussvorsitzende, Dr. Martin Runge (BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN), den Minister nun im Innenausschuss des Landtags: Dort erläuterte Herrmann den Abgeordneten die Ergebnisse und stellte sich ihren Fragen. Zentrale Erkenntnis des Berichts: Extremisten, Demokratiefeinde und Verschwörungstheoretiker versuchen, im Schatten der Corona-Pandemie unzufriedene und verunsicherte Menschen mit ihrer extremistischen und antidemokratischen Agitation zu infizieren.

Rechtsextremismus, Reichsbürgerszene, Linksextremismus, internationaler islamistischer Terrorismus sowie die Bedrohungslage im Cyberraum waren die Themenfelder, auf die Herrmann in seinem Vortrag einging. Zuvor betonte der Innenminister: „Es ist natürlich nicht Ziel und Aufgabe des Verfassungsschutzes, Menschen zu beobachten, die von ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit Gebrauch machen. […] Der Verfassungsschutz wird dann tätig, wenn jemand zu gewaltsamen Handlungen gegen staatliche Einrichtungen zum Beispiel aufruft oder wenn staatliche Repräsentanten in oder wegen ihrer Funktion als Amts- oder Mandatsträger bedroht werden und Ähnliches mehr.“

Rechtsextremisten nutzten die Auswirkungen der Pandemie, um mit ihren antidemokratischen, rassistischen und ausgrenzenden Zielen in neue Teile der Bevölkerung vorzustoßen. Sie bedienten laut Herrmann das Zerrbild der „Corona-Diktatur“, die die Bevölkerung entrechte. Der Innenminister strich in diesem Zusammenhang die Rolle der sogenannten Sozialen Medien bei der Verbreitung dieser Ideen heraus. Wechselwirkungen zwischen Rechtsextremismus, Verschwörungstheorien und der raschen Verbreitung durch die Sozialen Medien trugen dem Minister zufolge zum erneuten Anstieg der potenziellen Gefährder um 7,7 % auf 2770 bei. Auch die Gesamtzahl der rechtsextremistischen Straftaten stieg im vergangenen Jahr auf 2455. Die schwindende Bindungswirkung von Parteien und Gruppen erschwere die Identifizierung der maßgebenden Personen. Rechtsextremistische Parteien würden nach Aussage des Ministers aber selbstverständlich weiter beobachtet, dies gelte natürlich auch für die JA (Junge Alternative für Deutschland) und den vermeintlich aufgelösten „Flügel“ der AfD.

Zunahme des Personenpotenzials in der Reichsbürgerszene

Auch in der Reichsbürger-Szene treffen dem Bericht zufolge Verschwörungstheorien über eine Corona-Diktatur auf Widerhall. Ein angeblicher Impfzwang werde hier behauptet und mit Kritik an der 5G-Technik verwoben, staatliche Maßnahmen sollen nach Vorstellung dieses Personenkreises auf die totale Kontrolle aller Bürgerinnen und Bürger abzielen. Das Personenpotenzial in diesem Bereich ist laut Herrmann auf 4130 angewachsen. Sicherheitsbehörden werden das Aufklären und Zurückdrängen der Szene auf allen Ebenen konsequent fortsetzen. In diesem Zusammenhang sei insbesondere – wo vorhanden – der Widerruf von waffenrechtlichen Erlaubnissen von zentraler Bedeutung. Insgesamt wurden bislang 433 waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen, dabei wurden 840 Waffen abgegeben.

Die linksextremistische Szene habe auf Grund der Pandemie-Maßnahmen ihre Aktivitäten – unter anderem bei Demonstrationen – stark eingeschränkt. Aber auch in diesen Kreisen sei das Potenzial erkannt worden, über die Kritik an temporären Einschränkungen der Grundrechte linksextremistische Vorstellungen in weitere, nicht extremistische Teile der Gesellschaft zu transportieren. Nach wie vor besorgniserregend sei auch die Gewaltbereitschaft der Szene vor allem gegenüber Polizeibeamten als sichtbarsten Vertretern des Staates. Innerhalb eines Jahres nahm die Zahl linksextremistischer Gewalttaten in Bayern von 47 auf 62 Delikte zu, auch die Gesamtzahl stieg auf 705 an. Festzustellen sei darüber hinaus auch eine zunehmende Verrohung der Sprache in einschlägigen Publikationen.

Gefährdung durch internationalen islamistischen Terrorismus

Keineswegs gebannt ist laut dem Verfassungsschutzbericht die Gefahr, die vom internationalen islamistischen Terrorismus ausgeht. Europa wurde auch im vergangenen Jahr wiederholt von Anschlägen radikalisierter Einzelpersonen, die ihre Taten dem IS widmeten, erschüttert. Der Hass dieser Täter gelte laut Herrmann „unserer Lebensweise an sich“. Darum könne ihm jeder zum Opfer fallen, unabhängig von Geschlecht, Religion oder Ethnie. Vom sogenannten Islamischen Staat IS gehe nach wie vor Gefahr aus. Dieser restrukturiere sich in Kampfgebieten in Afrika und Asien neu und regionale Gruppierungen riefen ihm die Treue aus. Auch die Internetpropaganda nehme hier zu, nicht zuletzt um neue Anhängerschichten – auch mit höherem Bildungsgrad – zu erreichen. Folge dieses Wirkens sei oftmals eine Entfremdung der muslimischen Community von der Mehrheitsgesellschaft, was wiederum den Boden für eine weitere Radikalisierung bieten könne.

Zum Ende seiner Ausführungen ging der Innenminister auf das Themenfeld Cyber-Sicherheit und Cyber-Spionage ein. Auf Grund der Pandemie seien hier weltweit verstärkte Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste gerade auch im Gesundheitssektor festzustellen gewesen. Auch Einrichtungen in Deutschland, die an der Impfstoffentwicklung beteiligt sind und die dazugehörige Logistik hätten im Fokus solcher – auch ausländischer – Akteure gestanden. Anfang 2020 sei mit der Einrichtung der Cyberabwehr-Bayern die bayerische Cybersicherheits-Strategie zukunftsgerichtet und bedarfsorientiert weiterentwickelt worden.

Landesamt für Verfassungsschutz als Frühwarnsystem der Demokratie

Zusammenfassend stellte Herrmann fest: „Die Corona-Pandemie lenkt wie ein Brennglas die Aufmerksamkeit auf in der Gesellschaft vorhandene Bruchlinien. Durch das Aufeinandertreffen mit bereits vorhandenen extremistischen Strömungen entsteht eine Gemengelage, die mittelfristig zu einer ernsthaften Gefahr für unsere Demokratie werden kann.“ Die Aufgabe des Landesamts für Verfassungsschutz als Frühwarnsystem der Demokratie sei darum gerade jetzt wichtiger als jemals zuvor, so Herrmann.

In der folgenden Aussprache äußerte Katharina Schulze (BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN) ihre Besorgnis hinsichtlich des Anstiegs bei den rechtsextremistischen Straftaten und forderte, dass dagegen massiv mit repressiven und präventiven Maßnahmen vorgegangen werden müsse. Schulze lobte, dass bei den Corona-Leugnern nun genau hingesehen werde. Die Vermischung von Rechtsextremisten, Antisemiten und Personen, die die Demokratie destabilisieren wollten, sei hochgefährlich. Zudem fragte die Fraktionsvorsitzende ihrer Partei nach Erkenntnissen im Bereich „Frauenhass“, nach der Entwaffnung der Reichsbürgerszene und nach Informationen, die bezüglich der Organisierten Kriminalität vorliegen.

Stefan Schuster (SPD) erkundigte sich - angesichts der 353 antisemitischen Straftaten, die 2020 in Bayern registriert wurden und mit Blick auf die steigende Tendenz bei derartigen Taten - nach Erklärungen für diese Entwicklung und nach Maßnahmen, die ergriffen werden, um diese zu stoppen.

Der Stellvertretende Vorsitzende des Innenausschusses, Manfred Ländner (CSU), hob die differenzierte Darstellung der Erkenntnisse im Verfassungsschutzbericht hervor. Ländner betonte: „In der Krise zeigt sich die Verfasstheit einer Gesellschaft. Und wir erleben in der Corona-Krise augenfällig, wie antidemokratische Tendenzen mehr werden.“ Er teile die Auffassung, dass mit Verschwinden von Corona diese antidemokratischen Tendenzen eventuell nicht verschwinden werden. Darüber hinaus könne er nur ermutigen, die Maßnahmen, Mittel und Werkzeuge, die unsere wehrhafte Demokratie habe, auch in vollem Umfang einzusetzen. Pläne oder Ideen verschiedener Akteure, den Verfassungsschutz zu schwächen oder gar abzuschaffen, seien abzulehnen und mit Argumenten zu bekämpfen.

Maßnahmen zur Zurückdrängung demokratiefeindlicher Tendenzen

Joachim Hanisch (FREIE WÄHLER) verwies in seinem Redebeitrag auf die insgesamt steigenden Zahlen im Bericht: „Die Extremisten und die Demokratiefeinde nehmen offensichtlich zu, zumindest auch die Straftaten, die sie ausüben.“ In diesem Zusammenhang fragte Hanisch, inwieweit geplant sei, die Maßnahmen, die dagegen ergriffen werden, in einigen Bereichen zu verändern, um den Erscheinungen Rechnung zu tragen. Hier erwähnte er das präventive Vorgehen im Bereich des islamistischen Terrors: Der kürzlich beschlossene Wahlpflichtunterricht in islamischer Religion schaffe die Voraussetzung dafür, dass der Staat nun die Vermittlung entsprechender Kenntnisse in der Hand habe und die Gefahr, dass islamistische Organisationen Einfluss ausüben, sei dadurch vermindert.

Stefan Löw (AfD) wollte unter anderem wissen, auf welcher Grundlage die Personenanzahl des sogenannten „Flügels“ der AfD angegeben wurde, da es keine Mitgliederliste gebe. Zudem warf Löw die Frage auf, warum nur Teile der ANTIFA vom Verfassungsschutz beobachtet würden und nicht die komplette Gruppierung. Und er erkundigte sich nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes, wie die türkische Regierung Einfluss auf islamische Verbände in Deutschland nimmt.

Ob und inwieweit die QAnon-Bewegung in Deutschland und Bayern Fuß fasst, interessierte abschließend den FDP-Abgeordneten Alexander Muthmann. Und er fragte im Zusammenhang mit der Entwaffnung der Reichsbürger nach der personellen Ausstattung der zuständigen Stellen gerade mit Blick auf die zusätzlichen Aufgaben und Herausforderungen, die die Beschäftigten in Landratsämtern in den vergangenen Monaten durch die Corona-Pandemie zu bewältigen hatten.

Zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2020 und zur Beantwortung der Fragen der Abgeordneten war neben Staatsminister Herrmann auch Dr. Burkhard Körner, seit 2008 Präsident des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz, in die Sitzung des Innenausschusses des Landtags gekommen. In ihren Ausführungen zu den in der Aussprache thematisierten Aspekten gingen Herrmann und Körner unter anderem darauf ein, dass hinsichtlich des Frauenhasses in Bayern noch keine konkreten Zahlen vorlägen. Dies sei aber ein wichtiges Thema. Darum werde ein System entwickelt, durch das frauenfeindliche Straftaten besser erfasst werden können und das ein verlässlicheres Bild zu dem Thema bieten werde. All dies werde entsprechend dann auch mit der Arbeit des Verfassungsschutzes vernetzt.

Bezüglich der antisemitischen Straftaten gebe es keine unmittelbaren, konkreten Drohungen. Gleichwohl bestehe eine generelle Gefahr. Gerade der Anschlag in Halle habe gezeigt, wie schnell die Situation umschlagen könne. Darum gebe es ein umfassendes Programm, jüdische Einrichtungen besser zu schützen.

Zur Einflussnahme der türkischen Regierung in Deutschland wurde berichtet, dass diese vor allem auf die türkische Community in Deutschland abziele. Im Wesentlichen geschehe dies durch DITIB und Imame, die in der Türkei ausgebildet wurden. Diese sind auch innerhalb Deutschlands noch der türkischen Religionsbehörde zugeordnet. Es sei festzustellen, dass auch innerhalb der türkischen Community Beziehungen entstünden entsprechend der türkischen Politik zwischen Nationalisten und islamischen bis islamistischen Bewegungen.

/ PR

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