Bedingungen schaffen, um Kinder gut zu integrieren

Innen- und Familienministerium berichten der Kinderkommission

28. April 2022

MÜNCHEN.   Die Kinderkommission des Bayerischen Landtags hat sich über die Situation von geflüchteten Kindern in Bayern informiert. Im Fokus standen dabei die spezifischen Herausforderungen für begleitete geflüchtete Kinder und ihre Eltern. Neben der Asylunterbringung ging es auch um die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine.

In erster Linie das Kindeswohl berücksichtigen - Wie ein roter Faden zog sich dieses Bestreben der Mitglieder in der Kinderkommission, kurz KiKo, durch deren Sitzung zur Lage geflüchteter junger Menschen in Bayern. Die Vorsitzende Tanja Schorer-Dremel (CSU) brachte es auf den Punkt: „Wir müssen versuchen, den Kindern und Jugendlichen die Situation zu erleichtern.“

Dazu informierte zunächst Oberregierungsrat Robert Kirschner aus dem Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration zum Thema "Asylunterbringung von Kindern". Nach Kirschners Worten gibt es in Bayern 24.000 minderjährige Flüchtlinge, die in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind. Davon seien 47 Prozent jünger als 6 Jahre, 18 Prozent in der Gruppe der 6- bis 10jährigen, 14 Prozent bei den 10- bis 15jährigen und 22 Prozent bei den 15- bis 21jährigen. Der Anteil dieser jungen Menschen an der Gesamtzahl betrage 38 Prozent. Besonders problematisch sei jüngst die Unterbringung von Kindern aus ganzen Waisenhäusern aus der Ukraine gewesen. „Es handelt sich dabei für uns um völlig neue und komplexe Vorgänge, für die es keine entsprechenden Erfahrungswerte gibt“, sagte der Oberregierungsrat. Begleitete minderjährige Flüchtlinge werden demnach zusammen mit der Fluchtperson untergebracht, wenn diese dazu geeignet sei, und bildeten damit so genannte „Fluchtgemeinschaften“.
Die Staatsregierung fördert Kirschner zufolge ausgewählte Maßnahmen zur Sprachförderung, wie Vorkurse in Deutsch oder Hausaufgabenbetreuung. Im frühkindlichen Bereich gebe es niederschwellige Kinderbetreuungsangebote.

Vorwurf: Anker-Zentren nicht kindgerecht

Aus der praktischen Arbeit mit Flüchtlingen berichteten Nadine Kriebel vom Flüchtlingsrat Bayern und Jürgen Soyer, Geschäftsführer IfF-Refugio München. Zu den Lebensbedingungen geflüchteter Kinder in Deutschland hatte der Flüchtlingsrat vor einigen Wochen eine Fachtagung veranstaltet. Kriebel erklärte, die Kinder kämen traumatisiert sowie belastet mit Gewalterfahrungen und würden in Anker-Zentren untergebracht. Diese seien aber nicht kindgerecht. Sie kritisierte nicht nur fehlende Privatsphäre und Teilhabemöglichkeiten, sondern auch lange bürokratische Prozesse. Zudem werde nicht auf die Bedürfnisse der Kinder geachtet. So müssten beispielsweise viele Schulkinder ohne Frühstück zur Schule, weil Anker-Zentren häufig dezentral untergebracht seien und die Schulbusse deshalb so früh abfahren, dass die Kinder keine Möglichkeit hätten, am zentral ausgegebenen Frühstück teilzunehmen. Gleiches gelte umgekehrt für das Mittagessen. „Kinder und Familien müssen so schnell wie möglich raus aus den Anker-Zentren“, forderte Kriebel. Allerdings seien auch Anschlussunterbringungen nicht immer ideal, Gemeinschaftsküchen dort nicht kindersicher.

Selbstmordversuch einer Achtjährigen

Ebenso wie Kriebel plädierte auch Jürgen Soyer dafür, neben den Kindern auch die Eltern zu stärken. Der Geschäftsführer von IfF-Refugio München, einem Behandlungszentrum für traumatisierte Flüchtlinge, verwies darauf, dass fast ein Drittel aller ankommenden erwachsenen Flüchtlinge unter psychischen Störungen leidet. Für Kinder und Jugendliche gibt es keine Zahlen. Aus seiner Erfahrung berichtete Soyer, dass nur selten die Eltern eine Behandlung für ihr Kind fordern, sondern meist die Schulen Hilfe anmahnen. Das liege daran, dass es auf der Flucht oft nur darum gehe, durchzuhalten. Die Kinder lernten, ihre eigenen Bedarfe zu unterdrücken. Mit fatalen Auswirkungen: So erzählte der Refugio-Geschäftsführer von einem achtjährigen Mädchen, das einen Selbstmordversuch begangen habe. Ebenso wie Kriebel favorisierte Soyer ebenfalls kleine Unterkünfte, weil dort die Integration besser und leichter gelinge. Seinen Vorschlag, als Best-Practice-Beispiel die Unterkunft in München Moosach zu besuchen, griff die Vorsitzende Schorer-Dremel sofort auf.

Warnung vor Aufhebung von Standards

Speziell zum Thema der Betreuung von Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine berichteten aus dem Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales Ministerialrat Hans-Jürgen Dunkl und Regierungsrätin Julia Kropp. Grundlegende Voraussetzung für schnelle und pragmatische Lösungen ist nach ihren Worten ebenfalls die Sicherung des Kindeswohls. Dazu stehe man in wöchentlichem Austausch mit kommunalen Spitzenverbänden, Regierungen und Landesjugendverbänden. Nach Einschätzung von Julia Kropp funktioniert das Verfahren für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gut. Für begleitete minderjährige Flüchtlinge gibt es neben der zentrale Koordinierungsstelle des Bundes, eine Landeskoordinierungsstelle. Dabei empfehle es sich, Gruppen von Kindern und Jugendlichen, die sich kennen, Erfahrungen und Sprache teilen, nicht zu trennen.
Ministerialrat Dunkl stellte die Frage nach Quantität und Qualität. Beides zugleich sei nicht zu verwirklichen. Derzeit seien nicht die Einrichtungen, wohl aber das Personal überlastet. Dunkl warnte davor, „Standards aufzuheben“: „Das ist ein Irrweg, wenn wir noch mehr Kinder in die Einrichtungen reinnehmen und das Personal noch mehr belasten.“
Als erfolgreich sah Dunkl zunächst Brückenangebote wie Spielgruppen oder Sprachkurse für Mütter und Kinder an. „Wir sehen das als Notwendigkeit, damit diese Leute bei uns auch erst einmal ankommen und die Strukturen kennenlernen.“ Das Problem sei allerdings die Finanzierung. Ausgehend von 10.000 Kindern und Jugendlichen rechnet er mit einem jährlichen Bedarf von 89 Millionen Euro.

Sind Anker-Zentren kindertauglich?

Die Versorgung geflüchteter Kinder und ihrer Familien in Anker-Zentren beschäftigte die Ausschussmitglieder mehrerer Fraktionen. So erkundigte sich der stellvertretende Ausschussvorsitzende Johannes Becher (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), wie viele traumatisierte Kinder eine Behandlung erhalten. Seine Kolleginnen Gabi Schmidt von den Freien Wählern und Doris Rauscher (SPD) sprachen die Kindertauglichkeit von Anker-Zentren an. Die FDP-Abgeordnete Julika Sandt fragte nach der Unterbringung von Großfamilien.
Dazu konnte der Mitarbeiter des Innenministeriums zunächst keine Zahlen liefern, versprach aber, die Daten nachzureichen. Die Frage der AfD-Abgeordneten Katrin Ebner-Steiner, nach dem Anteil von Sinti und Roma an den Flüchtlingen in Bayern konnte nicht beantwortet werden, weil es dazu keine Aufgliederung gibt.
Mit Blick auf den Fachkräftemangel in der Kindertagesbetreuung regte die Sozialdemokratin Rauscher an, multiprofessionelle Teams einzusetzen.
Refugio-Geschäftsführer Soyer mahnte: „Wir müssen Bedingungen schaffen, die Kinder und Jugendlichen gut zu integrieren.“

/ Miriam Zerbel

 

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