„Gewalt gegen Frauen ist ein gesamtgesellschaftliches Problem!“

Sozialausschuss diskutiert Schutzstrukturen gegen geschlechtsspezifische, sexualisierte und häusliche Gewalt in Bayern

31. März 2022

MÜNCHEN.    Es war einstimmiger Beschluss des Sozialausschusses, eine Anhörung von Expertinnen und Experten zum Gewaltschutz von Frauen und Mädchen durchzuführen. Besonders ausführlich diskutierten die Abgeordneten mit den geladenen Sachverständigen dabei die aktuelle Datenlage zum Ausmaß der Betroffenheit, die bestehende Gewaltschutzinfrastruktur, die Situation der Frauenhäuser und Beratungsstellen sowie die Prävention von Gewalt durch eine effektive Öffentlichkeitsarbeit.

Häusliche Gewalt in Familie und Partnerschaft ist kein Einzelschicksal. Sie existiert in allen gesellschaftlichen Schichten – leider oft unerkannt. Die ganz überwiegende Mehrheit der Opfer von Partnerschaftsgewalt ist weiblich. Nach offiziellen Angaben des Bayerischen Landeskriminalamtes wurden allein im Pandemiejahr 2020 etwa 16.000 Frauen Opfer von häuslicher bzw. Partnerschaftsgewalt in Bayern. Die Dunkelziffer von Gewalt betroffener Frauen dürfte dabei noch deutlich höher liegen. Partnerschaftsgewalt kann unterschiedliche Ausprägungen haben. Den Großteil der Taten in Bayern bilden Körperverletzungen, Beleidigungen und Bedrohungen. Aber auch sexuelle Nötigungen und Vergewaltigungen zählen zu den erfassten Delikten.

Vor diesem Hintergrund betonte Bianca Biwer, Bundesgeschäftsführerin der Opferschutzorganisation „Weißer Ring“, zu Beginn der Anhörung, dass es zwischen 2019 und 2020 zu einem 20-prozentigen Anstieg von Beratungsnachfragen beim Weißen Ring kam. Leider könne man aber nicht allen schutzsuchenden Frauen einen Platz im Frauenhaus anbieten, da diese oftmals an der Kapazitätsgrenze arbeiteten oder bereits ausgelastet seien, so Biwer. Müssten die betroffenen Frauen dann an einen anderen Landkreis verwiesen werden, so sei die daraus resultierende „Entwurzlung ein Riesenthema für die Frauen und Kinder“. Insbesondere die Kinder litten darunter, aus den bestehenden Sozial- und Schulstrukturen herausgerissen zu werden. Die Konsequenz, so Biwer, sei häufig, dass die Frauen Hilfe dann nicht mehr in Anspruch nehmen wollten.

Lydia Dietrich, Geschäftsführerin der Frauenhilfe München ergänzte, dass neben mehr Frauenhausplätzen auch Notwohnungen für Frauen mit ihren Kindern geschaffen werden müssten. Die Aufenthaltsdauer im Frauenhaus läge in ca. 40% der Fälle bei über 6 Monaten. Oftmals suchten die Frauen auch bis zu zwei Jahre Schutz in einem Frauenhaus. Grundsätzlich sei es wünschenswert, Frauen einen unbefristeten Aufenthalt im Frauenhaus zu ermöglichen, da dies eine Rückkehr zum Täter unwahrscheinlicher mache, so Dietrich. Vor allem die Trennung vom Gewalttäter sei die schwierigste und gefährlichste Phase. Die Rückkehr zum Gewalttäter fände in der Regel in den ersten 2 Wochen bis 3 Monaten statt. Je länger die Frauen im Frauenhaus blieben, desto eher entwickelten sie eine eigene Perspektive. Der Aufbau eines eigenen Lebens nach dem Aufenthalt im Frauenhaus scheitere noch zu häufig auch an den praktischen Belangen, wie einer neuen Wohnung, der Bezahlung einer Mietkaution oder Zugriffsmöglichkeiten auf das Konto. Insbesondere Frauen mit Fluchterfahrung seien durch die Sprachbarriere aber auch durch kulturelle Hürden besonderen Herausforderungen ausgesetzt, hob Dietrich hervor.

Stefanie Fraß, Referentin für Frauen- und Fördermittel-/Projektmanagement der Arbeiterwohlfahrt (AWO) des Landesverbandes Bayern e.V., unterstrich, dass „Gewalt gegen Frauen ein gesamtgesellschaftliches Problem“ sei. Dieses zentrale Thema müsse dauerhaft in den Fokus der gesellschaftlichen Debatte gerückt werden. Fraß wies in ihren Ausführungen darauf hin, dass während der Pandemie die Partnerschaftsgewalt zugenommen habe. So hätten die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen zu einem Rückgang der Belegung in den Frauenhäusern geführt, was zu großer Sorge über das Schicksal der betroffenen Frauen geführt habe. Die Pandemie habe gezeigt, dass Frauenhäuser auch nicht derart ausgestattet seien, dass Frauen und Kindern gute Isolationsmöglichkeiten geboten würden oder Quarantänevorschriften eingehalten werden könnten. Vor diesem Hintergrund bedürfte es dringend wieder der Kostenübernahme von Testmöglichkeiten in den Frauenhäusern, betonte Fraß.

Andrea Kleim, Beauftragte für Kriminalitätsopfer des Polizeipräsidiums München, führte aus, dass jedes Polizeipräsidium in Bayern darum bemüht sei, mit Einverständnis der Gewaltopfer, den jeweiligen Beratungsstellen einen kurzen Bericht zu senden, damit diese Stellen proaktiv auf von Gewalt betroffene Frauen zugehen könnten. Die Devise sei, „nicht zu warten bis jemand kommt“. Kleim betonte außerdem, dass nicht nur Frauen Opfer von Gewalt seien, sondern auch viele Kinder durch häusliche Gewalt traumatisiert würden. So seien in 40% der Fälle von häuslicher Gewalt Kinder zur Tatzeit anwesend. Aber auch außerhalb häuslicher Gewalt sei der Anstieg, insbesondere bei Sexualdelikten, auffällig, wobei die meisten Delikte Kinderpornographie zum Gegenstand hätten, so Kleim.

Prof. Dr. Susanne Nothhafft, Professorin für Recht in der Sozialen Arbeit an der Katholischen Stiftungshochschule München gab zu Bedenken, „dass wir in einer Zeit leben, in der Gesellschaften diverser wahrgenommen und Geschlechterverhältnisse und Identitäten liberaler verhandelt werden“. Dies erzeuge so etwas wie einen „maskulinistischen Gegenwind“, der oftmals mit dem Versuch eines massiven Abbaus von Rechten von Menschen aus der LGBTQ-Community einhergehe. Hier müsse die offene Gesellschaft gegenhalten.

Angela Rupp, Geschäftsführerin der Beratungsstelle Frauennotruf Ebersberg, betonte die Wichtigkeit niedrigschwelliger Hilfsangebote für Frauen, um diese einfacher zu erreichen. Gleichzeitig seien die Beratungsstellen mit vielfältigen Aufgaben und Herausforderungen konfrontiert. Besonders im ländlichen Raum verfügten die Beratungsstellen oftmals nicht über die notwendige Spezialisierung für Gewalttraumata, zum Beispiel bei Genitalverstümmelungen oder Zwangsehen. Dies führe dazu, dass betroffene Frauen die dringend notwendigen Therapien nicht erhielten, so Rupp.

Prof. Dr. Nicole Schmidt, Professorin für Gesundheitswissenschaften der Katholischen Stiftungshochschule München, hob in diesem Zusammenhang hervor, wie bedeutend die interdisziplinäre Zusammenarbeit der verschiedenen Stellen sei. Um nachhaltigen Erfolg zu erzielen, müssten die unterschiedlichen Akteure aus dem Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen an einen Tisch, so Schmidt. „Wir brauchen eine echte Verzahnung von Gesundheits- und Sozialsystem, um Betroffene zu schützen.“ Dafür sei auch eine Sensibilisierung verschiedener Berufsgruppen notwendig.

Dr. Klaus Schulenburg, Stellvertreter des Geschäftsführenden Präsidialmitglieds des Bayerischen Landkreistages, sagte, dass es ein großes Manko sei, dass es in Bayern Frauenhäuser gebe, die staatlicherseits nicht gefördert werden könnten, weil bereits Plätze geschaffen wurden, bevor die dafür vorgesehenen Mittel haushaltstechnisch abgerufen werden konnten. Besonders herausfordernd sei auch der hohe Eigenmittelanteil, den die jeweiligen Träger der Frauenhäuser beisteuern müssten. Die kommunalen Träger wollten sich nicht aus der Verantwortung stehlen, aber es müsse ein einheitliches Förderrecht geschaffen werden, das die finanziellen Lasten für die Frauenhäuser angemessen verteile.

Dr. Inken Tremel, Leiterin der landesweiten Koordinierungsstelle gegen häusliche und sexualisierte Gewalt, der Freien Wohlfahrtspflege Bayern, forderte in ihrem Redebeitrag einen Landesbeauftragten, der sich der Thematik sexualisierter Gewalt gegen Frauen gesondert annehme.

Dr. Bärbel Heide Uhl vom Institut für Menschenrechte betonte, dass es wichtig sein, an einer systematischen Datenerfassung zu arbeiten, um ein genaues und präzises Lagebild über das Ausmaß und den Umfang von Gewalt gegenüber Frauen zu erhalten. Sie begrüße es, so Uhl, dass die Innenministerkonferenz aktuell an einer Definition für den Begriff „häusliche Gewalt“ arbeite. Es sei zudem positiv zu bewerten, dass Gewalt gegen Frauen in der Polizeilichen Kriminalstatistik künftig als Teil politisch motivierter Kriminalität erfasst werde. Notwendig sei auch ein bundesweites Monitoring, das eine unabhängige Berichterstattung ermögliche, unterstrich Uhl

Gabi Unverdorben, Leitung Caritas Frauenhaus Landshut, gab zu bedenken, dass viele Frauenhäuser auch mit psychisch erkrankten Frauen umgehen müssten. Hierunter fielen traumatisierte Frauen, aber auch Frauen mit Suchterkrankungen. Betroffene Mütter seien dann oftmals nicht in der Lage, sich um die Kinder angemessen zu kümmern. Trotzdem bräuchten die Kinder ihre Mütter. Daher müssten Frauenhäuser auch immer die Kapazitäten für die Kinder einrechnen. Ferner hob Unverdorben hervor, dass sich das Konzept einer Notfallambulanz am Rechtsmedizinischen Institut der Universität München sehr gut bewährt habe. Hier können sich Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, – unabhängig von einer polizeilichen Anzeige – zur Untersuchung, Spurensicherung und Beratung direkt und kostenlos an die Sprechstunde des Instituts wenden. Diese Möglichkeit sollte auch – wie jüngst in Baden-Württemberg – auf andere Rechtsmedizinischen Institute ausgedehnt werden, forderte Unverdorben.

Opfer von häuslicher Gewalt

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unterstützt und berät Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben: Kostenlos, vertraulich und rund um die Uhr. Das Hilfetelefon ist unter 08000 116 016 zu erreichen. ►Hier geht es zur Webseite des Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen.

/ Eva Mühlebach

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