Sachverständige nehmen Stellung zum geplanten Hochschulinnovationsgesetz

Zweitägige Anhörung im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst

11. und 12. Juni 2021

MÜNCHEN.      Mehr Freiheit und Wettbewerbsfähigkeit, weniger Bürokratie, das soll das neue „Hochschulinnovationsgesetz“ bewirken. Zwei Tage lang haben sich die Mitglieder des Wissenschaftsausschusses intensiv mit der Reform des Hochschulgesetzes beschäftigt. In einer Anhörung mit zahlreichen Sachverständigen kam dabei der Gesetzesentwurf auf den Prüfstand.

Zielsetzung des Hochschulinnovationsgesetzes (HIG) ist die Stärkung der Autonomie der Hochschulen. Zudem sollen die Eigenverantwortung gefördert, aber auch Handlungsfähigkeit und Teilhabe miteinander verbunden werden. So sollen die bayerischen Hochschulen im nationalen und internationalen Wettbewerb erfolgreich bestehen können, aber auch für Wissenschaft und Gesellschaft die bestmögliche Wirkung entfalten. Die Fachleute berieten nun darüber, ob der Entwurf des Hochschulinnovationsgesetzes seinem Namen gerecht wird.

An der Verwirklichung der Zielsetzung tauchten bei einigen Expertinnen und Experten massive Zweifel auf. So kam Professorin Dr. Sabine Doering-Manteuffel, Präsidentin der Universität Augsburg zum Schluss, der von Ministerpräsident Dr. Markus Söder angekündigte Forschungsturbo habe mit dem Entwurf nicht gezündet. Doering-Manteuffel, die zugleich Vorsitzende von Universität Bayern e.V. ist, einem Zusammenschluss von elf bayerischen Universitäten, monierte, es gebe noch keine Rechtsverordnung zum HIG, es fehlten die strategischen Handlungsspielräume sowie eine zukunftsweisende Leitidee. Der aktuelle Entwurf des HIG werde die Hochschulen weder im internationalen Wettbewerb stärken noch einen Geist des Aufbruchs bewirken. Verantwortungsträger werden laut Doering-Manteuffel eher geschwächt als gestärkt, ebenso die nötige Flexibilität an den Hochschulen.

Nötig sei dagegen eine Balance zwischen der Partizipation, der Handlungsfähigkeit und der Eigenverantwortung der bayerischen Universitäten im internationalen Wettbewerb. „Nur ein solches ausbalanciertes Modell kann in der akademischen Welt bestehen“ sagte die Vorsitzende von Universität Bayern e.V.. In bestimmten Bereichen müssten die Hochschulen ihre Angelegenheiten selber regeln können, so Doering-Manteuffel. Das helfe auch bei der Profilschärfung. „Dieses Ziel wird mit dem vorliegenden Entwurf nicht erreicht“, machte Doering-Manteuffel deutlich. Sie forderte zugleich ein klares Gesetz, das juristisch so gefasst ist, dass, angesichts der für die Hochschulen bevorstehenden zahlreichen Aufgaben, nicht wieder erneut Debatten ausgelöst werden.

Lob und Tadel

Ein ambivalentes Bild zeichnet Bernhard Emmer vom Landesverband Wissenschaftler in Bayern. Emmer lobte die im HIG vorgesehenen Möglichkeiten für den wissenschaftlichen Mittelbau, wie Karrierezentren und Tenure-Track-Modelle, also die Chance, vor allem für jüngere Wissenschaftler, nach einer befristeten Bewährungszeit eine Lebenszeitprofessur zu bekommen. Vor allem begrüßte der Vertreter des Landesverbands Wissenschaftler in Bayern, dass die Dienstherreneigenschaft für Hochschulbedienstete beim Freistaat Bayern verbleibt. Die im Entwurf des HIG vorgesehene Nachwuchsförderung müsse nun noch mit Leben gefüllt werden. Nachsteuerungsbedarf sieht Emmer allerdings bei der Eigenverantwortung der Hochschulen. Diese müsse durch ein System von Checks and Balances begleitet werden, wodurch die demokratische Beteiligung der Hochschulangehörigen von den Professoren bis zu den Studierenden garantiert werde. „Stichwort Grundordnung als Verfassung der Universität: Das ist etwas, woran wir uns alle beteiligen sollten.“ Mehr demokratische Beteiligung dürfe nicht optional sein, erklärte Emmer.

Nach Ansicht von Professor Dr. Max-Emanuel Geis entschärft der Entwurf zwar viele Bedenken, die im vergangenem Jahr nach dem Eckpunktepapier kursierten, indem nun die akademische Selbstverwaltung als wichtiges Element beibehalten und sogar gestärkt wird. Gleichzeitig verwies der Vorsitzende des Landesverbandes Bayern des Deutschen Hochschulverbandes darauf, dass die Tücke im Detail stecke, die Formulierungen im Entwurf noch auf viele rechtliche Bedenken stießen. Derzeit habe beispielsweise nur die Hochschulleitung das Initiativrecht, die Grundordnung zu ändern. Nehme man die akademische Selbstverwaltung ernst, müsse auch der Senat die Möglichkeit haben, Vorschläge zu unterbreiten. Das Hauptproblem sei das noch nicht gelöste Dreiecksverhältnis zwischen Hochschulleitung, Senat und Hochschulrat. Geis zählte diverse „Geburtsfehler“ der funktionalen Selbstbestimmung auf. Er forderte verfassungsrechtliche Nachbesserungen. Unzufrieden ist Geis auch mit den Regelungen für Promotionen an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW).

Im Fokus der Kritik: interne Entscheidungsprozesse

Bei der Gewerkschaft ver.di gibt es Kritik in puncto Personalbehandlung. Christiane Glas-Kinateder, Landesfachbereichsleiterin Bildung, Wissenschaft und Forschung forderte, die wichtige Rolle des wissenschaftsstützenden Personals stärker zu berücksichtigen: „Ich kann Ihnen hier sozusagen als Sprachrohr für die Kolleginnen und Kollegen mitteilen, wie hoch der Frust bei den Beschäftigten ist.“ Die Hochschulen verfügten eigentlich über gutes und motiviertes Personal, das sich stark identifiziere. Die Reform müsse aber eine Kehrtwende bei den Personalmaßnahmen bringen. Das nicht-wissenschaftliche Personal benötige klare Entwicklungsperspektiven. „Daueraufgaben brauchen Dauerstellen“, erklärte die Gewerkschafterin. Skandalös seien Befristungspraxis und Dumping-Eingruppierungen.

Von einem noch nötigen „Läuterungsprozess“ sprach Professor Dr. Johannes Grabmeier. Der Professor für Wirtschaftsinformatik an der Technischen Hochschule Deggendorf sieht die Arbeitsbedingungen der Professorinnen und Professoren in Gefahr. Nach seiner Einschätzung genießen die Hochschulleitungen in dem Entwurf einen „schier unendlichen Vertrauensvorschuss“ im Gegensatz zu den weiteren Organen und Institutionen der Hochschulen, die nur wenig gesetzlich fixierte Rechte genössen. Dieser Ansatz sei einseitig und kreiere ein Ungleichgewicht: „Unwucht aber erzeugt Probleme, die nicht zu vermeiden sein werden.“ Laut Grabmeier fehlt ein breit angelegter, demokratischer Entscheidungsprozess, ein Senat mit Kompetenzen sowie ein Hochschulrat, der nicht mit externen Mitgliedern besetzt wird.

Weitsicht gefordert

Die Technische Universität München konnte gleich mit zwei Vertretern aufwarten. Professor Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang A. Hermann, Präsident Emeritus, warnte, die als Rechtsform zur Auswahl stehende Körperschaft werde sich als „Rohrkrepierer“ erweisen. Im internationalen Wettbewerb biete der Entwurf des HIG allerdings gute Ansätze. Für den aktuellen Präsidenten, Professor Dr. Thomas F. Hofmann, ist die Zeit für ein HIG richtig. Mit Blick auf „ein zunehmend fragmentiertes Europa müssen wir mehr denn je auf die Stärke der Hochschulen zählen, um wettbewerbsfähig zu sein.“ Das HIG sei zwar gut formuliert, aber an einigen Stellen sei ein Nachschärfen nötig, zum Beispiel was die umfassende Fachaufsicht betreffe. Sie gehöre an die Hochschulen, nicht ans Ministerium. Verantwortungsträger müssten gestärkt werden, so Hofmann, die Schwächung des Hochschulrats sei undemokratisch und nicht akzeptabel und nicht zuletzt fehle eine Experimentierklausel. „Ich plädiere, dass wir die Weichen so stellen, dass die nächsten Generationen ebenso in einer prosperierenden Zukunft leben, wie wir das tun und stolz darauf sein können, weil wir nicht bequem sind, sondern weitsichtig.“

In etlichen Kritikpunkten stimmte auch Professor Dr. rer. pol. Bernd Huber den anderen Universitätspräsidenten zu. Der Präsident der Ludwigs-Maximilians-Universität München bemängelte die Abwahlmöglichkeiten der Hochschulleitung, die dadurch geschwächt werde. An der Experimentierklausel solle festgehalten werden, um neue Ideen umzusetzen, ebenso am bewährten Hochschulrat, für den durch die Neuregelung die Gefahr der Spaltung bestehe. Als Präsident einer Exzellenz-Universität erinnert Huber an den im kommenden Jahr erneut beginnenden Wettbewerb. „Mit diesem HIG, fürchte ich, werden wir unsere Chancen in diesem Exzellenz-Wettbewerb sicherlich nicht verbessern, ich fürchte sogar, dass wir unseren Erfolg gefährden werden.“

Als Vertreter der Professorinnen und Professoren, die einen offenen Brief zur Hochschulreform unterzeichnet hatten, stellte Professor Dr. Stephan Kümmel vom Lehrstuhl Theoretische Physik an der Universität Bayreuth noch Handlungsbedarf fest. Zentrale Anliegen betreffen die akademische Selbstverwaltung, die Erhöhung des Frauenanteils und das Wesen der Professuren. Kümmel und seine Mitstreiter fordern, dass der Senat beteiligt werden müsse, wenn es um die Änderung der Grundordnung geht. Problematisch sei zudem die Detailsteuerung des Frauenanteils vor allem in den MINT-Fächern, wo eine Quote von 50 Prozent nicht erreichbar sei. Und Kümmel trat für die Einheit von Forschung und Lehre ein. Er warnte entschieden davor, in Lehr- und Forschungsprofessuren zu unterteilen. „Die Einheit von Forschung und Lehre ist kein leerer Begriff“, erklärte Kümmel.

Gefahr für die Existenz kleiner Fächer

Mit einem doppelten Mandat sowohl der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Bayern als auch der Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften nahm Dr. Eduard Meusel Stellung zum Entwurf des HIG. Er kritisierte den Gesetzgebungsprozess als überhastet und intransparent und sieht die Befürchtungen aus dem Eckpunktepapier des vergangenen Jahres bestätigt. Ebenso wie viele seiner Vorredner kritisierte Meusel die Schwächung des Senats als eine Schwächung der Wissenschaftsfreiheit und der Mitbestimmung. Darüber hinaus sieht er die Existenz kleinerer Fächer gefährdet. Er verwies auf das Beispiel Halle, wo der Fachbereich der Altertumswissenschaften aus ökonomischen Gründen abgeschafft werden soll. Meusel verwies auch auf den Widerspruch von Diversität und Exzellenz: „Obwohl im Gesetzentwurf häufig von Diversität die Rede ist und das als Ziel ausgegeben wird, muss man sich fragen: Wie ernst kann dieses Ziel gemeint sein, wenn man gleichzeitig nur auf Wettbewerb und Konkurrenz aus ist?“

Blick aus der Schweiz

Mit einer Perspektive von außen, nämlich von der Universität Basel, wartete Professorin Dr. Dr. h.c. Andrea Schenker-Wicki auf. Die Rektorin konstatierte, das HIG sei ein sehr komplexes und detailreiches Gesetz, das Modernes aber auch Althergebrachtes enthalte. Sie vermisst allerdings ein einheitliches Verständnis einer modernen Universität in Bayern. Mehr Autonomie für die Hochschulen bedeute aber, dass sich das Ministerium mehr zurückziehen müsse. Modern wäre eine Rahmenordnung, ergänzt durch einzelne Hochschulverträge. „Es gibt kritische Voten zu Senat, Hochschulrat und -leitung, weil die verschiedenen Autonomie-Status nicht ausdiskutiert sind.“

Der Gesetzentwurf geht nach Meinung von Professor Dr. Walter Schober in die richtige Richtung, muss aber in einigen Bereichen noch klarer formuliert und juristisch angepasst werden. Der Präsident der Technischen Hochschule Ingolstadt und Vorsitzender von Hochschule Bayern e.V. mahnte, die Strukturen der Hochschulen auch mit Blick auf die kommenden 10 bis 15 Jahre zu flexibilisieren. Zudem fehlten Rechtsverordnungen zu wichtigen Regelungen wie der Bauherreneigenschaft oder dem Globalbudget. Ohne die Ausführungsbestimmungen aber sei eine fundierte Stellungnahme gar nicht möglich. Die Option der Körperschaft sei unattraktiv, solange die Kameralistik als Basis der Buchführung festgeschrieben werde. Schober forderte „deutliche Nachbesserungen: ein echter Globalhaushalt, ein klares Bekenntnis zu modernen Methoden der Rechnungslegung.“

Mängel bei der demokratischen Partizipation

Für die Studierenden bezeichnete Anna-Maria Trinkgeld von der Landes-ASten-Konferenz Bayern den Entwurf als Zwischenschritt. Positiv seien die Bauherreneigenschaft, das Kaskadenmodell und die Betonung der Nachhaltigkeit. Defizite sieht Trinkgeld aber bei der demokratischen Beteiligung. Es fehlten klare Leitplanken, die eine demokratische Mindestbeteiligung sicherstellten und die Balance zwischen den Statusgruppen wahrten. Der Wegfall des „Vier-Schultern-Prinzips“ sei kontraproduktiv: Auf die komplexen Sachverhalte der Selbstverwaltung mit zwei Paar Augen schauen zu können, wird die Aufsicht der Hochschulen deutlich verbessern.“ Auch die Belastungen für internationale Studentinnen und Studenten sollten unterbunden werden.

Für die Sprecherin der Landeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an bayerischen Hochschulen ist der Artikel 22, in dem es um Gleichstellungsfragen geht, von der systematischen Positionierung im HIG zu weit hinten angelegt. Dr. Margit Weber begrüßte aber die Einführung des Kaskadenmodells als erprobtes Steuerungsmodell. Die geschlechtergerechte Gremienbesetzung sei ein wichtiger Schritt. „Bei strategischen Weichenstellungen eine große Gruppe an der Hochschule auszuschließen halte ich für falsch.“ Weber verwies darauf, dass beispielsweise der Anteil der Professorinnen in Bayern erst bei 20,3 Prozent liegt.

Appell für Exzellenz und Nachhaltigkeit

In der anschließenden Aussprache diskutierten die Abgeordneten einzelne Kritikpunkte mit den Sachverständigen. So hinterfragte Verena Osgyan von BÜNDIS90/ DIE GRÜNEN die vorgesehenen Checks and Balances und ob die Nachhaltigkeitsregelungen ausreichend seien. Der Vorsitzende des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst, Robert Brannekämper (CSU), zeigte sich erschreckt, dass Exzellenz und Technologieförderung nicht mehr Aufmerksamkeit erhielten. Dies sei zentral, um Wettbewerb und Wohlstand im Land zu sichern. Das sicherte ihm den Beifall der Universitätspräsidenten. Aus eigener Erfahrung kritisierte der AfD-Abgeordnete Professor Dr. Ingo Hahn zu einschränkende Detailregelungen und umfangreiche Bürokratie, worunter die Kernaufgaben dann litten.

Der ehemalige Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst, Dr. Wolfgang Heubisch (FDP), betonte ebenso wie Osgyan die Bedeutung der Nachhaltigkeit und wie wichtig es sei, die kleinen Fächer, nicht nur in den Geistes- und Sozialwissenschaften, aufrecht zu erhalten. Für den Sozialdemokraten Christian Flisek ist es unverständlich, dass Bayern als einziges Bundesland nach wie vor keine verfasste Studentenschaft hat. Zudem sei es ein Geburtsfehler des HIG, dass es gemeinsam mit der Hightech Agenda angekündigt wurde.

Das Wissenschaftsministerium, vertreten durch den Amtschef Ministerialdirektor Dr. Rolf-Dieter Jungk nahm immer wieder Stellung zu Anregungen und Fragen und verwies unter anderem darauf, dass die von vielen vermisste Experimentierklausel auch im HIG noch vorhanden sei, nur nicht mehr so heiße.

Noch nie zuvor hat der Landtag eine so lange Anhörung von Expertinnen und Experten veranstaltet. Der Vorsitzende Brannekämper wies darauf hin, dass es vor der ersten Lesung des Entwurfs im Landtag einen weiteren Termin zum Austausch mit den Kunsthochschulen geben soll.

/ Miriam Zerbel

 

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