Bürgerpreis 2015: Landtag ehrt bürgerschaftliche Initiativen für Menschen auf der Flucht


Das Motto des Bürgerpreises 2015 lautete: „Willkommen! Bürgerschaftliche Initiativen für Menschen auf der Flucht“

Donnerstag, 22. Oktober 2015

„Heit gwinna mia!“ rief Moderator Christian Springer und meinte damit nicht bestimmte Preisträger, sondern das große Ganze: Die Humanität stehe beim Bürgerpreis im Vordergrund, und das setze ein Zeichen gegen alle, die in diesen Zeiten Unmenschlichkeit predigen würden. Springer, seit langem selbst in der Flüchtlingshilfe tätig, spielte damit auf das diesjährige Motto des Bürgerpreises an: Der Bayerische Landtag zeichnete ehrenamtliche Initiativen aus, die sich um Flüchtlinge kümmern.

Siehe dazu auch das Video zur Preisverleihung

Ein Thema, das aktueller kaum sein könnte. Landtagspräsidentin Barbara Stamm war vor allem von der Kreativität der ehrenamtlichen Helfer beeindruckt. Über alle Fraktionsgrenzen wäre man sich im Landtag einig gewesen, als man sich entschieden hätte, 2015 Ehrenamtler im Flüchtlingsbereich auszuzeichnen. „Ohne ehrenamtliche Hilfe hätten wir die dramatische Situation nicht bewältigt“, sagte Stamm. So anstrengend es für die jeweiligen Helfer auch war, gerade bei der Flüchtlingshilfe habe sich gezeigt, dass Ehrenamt quer durch alle Gesellschaftsschichten und Altersklassen selbstverständlich geworden ist, konstatierten die Jurymitglieder einhellig. Jurymitglied Uli Bachmeier, Vorsitzender des Vereins der Landtagspresse, brachte es auf den Punkt: „Ehrenamtliches Engagement ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“


„Ehrenamt ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“

Einig waren sich alle, dass es ohne Ehrenamt nicht geht, aber einige Ehrenamtler fühlen sich mitunter ausgebremst von der Bürokratie. Als Erwin Bartsch stellvertretend für die Asylgruppe St. Rochus den 2. Preis entgegen nahm und davon erzählte, wie ehrenamtliche Helfer einsprangen als es für die Lehrerin im Aufnahmelager einfach zu viele Kinder wurden, da bekam er langen und lauten Applaus, als er sagte: „Wir haben das gemacht, ohne erst groß die Zuständigkeiten zu klären. In so einer Situation hat man für so etwas wirklich keine Zeit.“ Barbara Stamm zeigte Verständnis: „Manchmal wäre etwas weniger Bürokratie hilfreich.“ Günter Reichert, der für seine Asylothek ausgezeichnet wurde, rief die Politik dazu auf, die Flüchtlinge nicht sich selbst zu überlassen: „Die brauchen jeden Tag Ansprache, Bewegung, Arbeit!“ Wenn man den Flüchtlingen vom ersten Tag an Anreize biete, sei Hilfe zur Selbsthilfe viel besser umzusetzen.

Und richtig politisch wurde es, als die Gemeinschaft Sant'Egidio mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurde und forderte, Flüchtlingen die legale Einreise nach Europa zu ermöglichen. „Wir haben alle die Bilder toter Flüchtlinge gesehen und können nicht sagen, wir wüssten von nichts.“ /zg

Die Preisträger:

Mit dem 1. Preis im Wert von 8.000 Euro wird ausgezeichnet:

Flüchtlingshilfe der Gemeinschaft Sant´Egidio in Bayern, Würzburg/Unterfranken
Die Gemeinschaft Sant’Egidio bietet praktische Lebenshilfe für Asylsuchende rund um das Thema Sprache und Schule. Kerninhalt sind Deutsch-Sprachkurse für Asylbewerber. Darüber hinaus bereitet sie Schülerinnen und Schüler auf Abschlussprüfungen vor, organisiert Begegnungsmöglichkeiten und unterstützt bei rechtlichen, gesundheitlichen, religiösen und sonstigen sozialen Angelegenheiten. Zudem helfen die ehrenamtlich Engagierten in der Gemeinschaft, Schriftsätze zu erstellen oder gehen als Dolmetscher mit zu Behörden. Ein wichtiger Schwerpunkt ist die Unterstützung von psychisch und schwer körperlich behinderten Flüchtlingen. Herausragend war auch die Dauer und Nachhaltigkeit des Projekts: Schon seit 1989 wird diese Unterstützung für Asylbewerber durch die Ehrenamtlichen der Gemeinschaft Sant’Egidio angeboten. Siehe zu diesem mit dem 1. Preis prämierten Projekt auch das Video

Den 2. Preis im Wert von je 6.000 Euro erhalten jeweils:

Asylgruppe St. Rochus, Zirndorf/Mittelfranken
Seit über 20 Jahren unterstützt die Asylgruppe der evangelischen Kirchengemeinde St. Rochus in Zirndorf  Asylsuchende in allen Lebenslagen mit ihrem Projekt unter der Überschrift „Heimat auf Zeit“. Gemeinsame Feste werden organisiert, Begegnungen im „Café International“ gefördert und auch Deutschkurse angeboten. Zweimal im Monat veranstalten die Ehrenamtlichen einen „Frauentreffpunkt“, der helfen soll, weibliche Asylsuchende untereinander besser bekannt zu machen, zu vernetzen und eine Gemeinschaft herzustellen. Wichtiger Inhalt ist die Begegnung der Bürgerinnen und Bürger vor Ort mit den Asylsuchenden. Dazu veranstaltet die Gruppe Treffen und bietet Führungen in der zentralen Aufnahmeeinrichtung in Zirndorf an. Auch Deutschkurse und Begleitung bei Behördengängen haben die Ehrenamtlichen von St. Rochus im Angebot. Siehe zu diesem Projekt auch das Video

ASYLOTHEK Bildungs- und Kultureinrichtung, Nürnberg/Mittelfranken
Als im Juli 2012 eine Asylbewerberunterkunft im Nürnberger Stadtteil Gostenhof eröffnet wurde, entstand die Idee, eine ehrenamtlich initiierte und betriebene Bibliothek im Asylbewerberheim Kohlenhofstraße auf Spendenbasis – ohne jegliche städtische oder staatliche Zuschüsse – zu errichten, eben eine „Asylothek“. Rund 40 aktive Ehrenamtliche und über 200 passive Unterstützer zwischen 16 und 78 Jahren unterstützen mittlerweile den ehrenamtlichen Aufbau, die Einrichtung und den Betrieb der Bibliothek für Asylsuchende. Das Engagement der Ehrenamtlichen erschöpft sich aber nicht in der Bibliotheksbetreuung. Vielmehr werden an fünf Tagen in der Woche Betreuungsprogramme mit Sprachkursen, Schreib- und Lesekursen, kommunikationsfördernden Maßnahmen, Hausaufgabenbetreuung, Malen und Basteln oder Sport angeboten.

Der 3. Preis im Wert von 4.000 Euro geht jeweils an:

„tun.starthilfe für flüchtlinge“, Landkreis Eichstätt/Oberbayern
Die tun.starthilfe ist eine von Studierenden ins Leben gerufene Initiative mit dem Ziel, Flüchtlingen im Landkreis Eichstätt Starthilfe zu bieten. Diese umfasst Sprachunterricht und individuelle Begleitung, Kooperation mit den Sozialarbeitern der Caritas, aber auch die Zusammenarbeit mit den Gemeinden des Landkreises und mit der Katholischen Universität Eichstätt/Ingolstadt. Beim Deutschunterricht fahren einmal in der Woche die ehrenamtlichen Lehrer in die Unterkünfte und fördern die Deutschkenntnisse der Flüchtlinge. Die individuellen Begleiter unterstützen die Flüchtlinge im Alltag. Bei Angelegenheiten wie Arztbesuchen, Behördengängen oder auch Einkaufen bieten sie ihre Hilfe an. Die Arbeit von tun.starthilfe wird auch durch ein wissenschaftliches Modul an der Katholischen Universität Eichstätt begleitet.

Haus International e.V., Landshut/Niederbayern
Die rund 130 ehrenamtlich Engagierten des Vereins „Haus International“ haben sich die Vernetzung der hauptamtlichen Asylsozialhilfe mit anderen Projekten der interkulturellen Arbeit und Akteuren der Zivilgesellschaft zum Ziel gesetzt. Der Verein widmet sich dem Aufbau eines Modells einer haupt- und ehrenamtlichen Vor-Ort-Betreuung auf dem Areal der Alten Kaserne unter Einbeziehung der Nachbarschaft und bei Vernetzung zu weiteren Landshuter Projekten. Zielgruppe sind Asylsuchende und Menschen mit Migrationshintergrund. Die ehrenamtlichen Angebote umfassen Alphabetisierungs- und Deutschkurse, Hausaufgabenhilfe, Spielangebote, Patenschaften für Jugendliche, Familienbegleitung, wöchentliche Spielgruppen für Kinder und Schülercoachings durch Studenten der HAW Landshut und das „Café grenzenlos“ (wöchentlicher Treff, gemeinsames Essen, ca. 5.000 bis 6.000 Gäste). Siehe zu diesem Projekt auch das Video

Mit einem Sonderpreis im Wert von 2.000 Euro wird ausgezeichnet:

Nähprojekt „Homeless“, Netzwerk Asyl e.V., Wittislingen/Schwaben
Ein Sonderpreis geht an das Nähprojekt für asylsuchende Frauen, die überwiegend aus Afghanistan kommen. Dabei wurde eine Näh- und Schneiderwerkstätte in der Gemeinschaftsunterkunft eingerichtet, mit Nähmaschinen, Bügelbrettern, Zuschneidetischen und Regalen ausgestattet.
Die Vision lautet: Potenziale erkennen und Perspektiven schaffen. Das Schneiderprojekt soll helfen, das Selbstbewusstsein asylsuchender und vielfach traumatisierter Frauen zu stärken und den Einstieg in eine wirtschaftliche Lebensgrundlage zu ermöglichen. Das Projekt betreut eine Gruppe des Vereins Netzwerk Asyl e.V. Wittislingen. Siehe zum Nähprojekt auch Video

Eine besondere Würdigung wird zuerkannt:

Bellevue di Monaco eG, Gemeinnützige Sozialgenossenschaft, München/ Oberbayern
Eine besondere Würdigung durch die Jury wird dem Projekt BELLEVUE DI MONACO aus München für das ganzheitliche und besonders zukunftsgerichtete Konzept zuerkannt. Die gemeinnützige Sozialgenossenschaft ist ein breites Bündnis aus Flüchtlingsunterstützern und Juristen, Profis aus der Sozialarbeit, Kulturschaffenden und Politaktivisten. Die Genossenschaft soll der Träger des Willkommenszentrums Bellevue di Monaco sein. Aus Gebäudeteilen der ehemaligen Müllerstraße 2-6 in München soll eine Begegnungsstätte für Menschen aus unterschiedlichen kulturellen und sozialen Milieus werden. Zudem sollen in den Gebäuden auch Wohnraum für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge entstehen. Die Wohnungen werden von Trägern der Jugendhilfe angemietet und den Jugendlichen zur Verfügung gestellt.

Aufnahmen der Preisträger sowie der Preisverleihung stehen unter Pressefotos zur Verfügung.

 

 

Zum Hintergrund:

Seit 15 Jahren vergibt der Bayerische Landtag jährlich einen Preis zur Würdigung des großen ehrenamtlichen Engagements der Menschen in Bayern. Das Leitthema des Bürgerpreises 2015 lautete:

„Willkommen!
Bürgerschaftliche Initiativen für Menschen auf der Flucht“

Bayern ist seit einiger Zeit verstärkt Zufluchtsort für Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, um Krieg, Gewalt, Not oder Verfolgung zu entfliehen. Damit sie in Bayern gut aufgenommen werden können, braucht es neben den Anstrengungen von Politik und Verwaltung das Engagement der Bürgerinnen und Bürger vor Ort und eine gelebte Willkommenskultur. Menschen auf der Flucht für die Zeit ihres Aufenthalts bei uns zu unterstützen – diese Herausforderung können wir nur gemeinsam bewältigen. Dank des beeindruckenden ehrenamtlichen Engagements gelingt dies schon heute in vielen Orten.

Der Bürgerpreis des Bayerischen Landtags 2015 richtete sich an bürgerschaftliche Initiativen, die Menschen auf der Flucht die Ankunft und die erste Zeit ihres Aufenthalts in Bayern erleichtern wollen. Gesucht und honoriert wurden ehrenamtlich durchgeführte und auf Dauer angelegte Projekte, die zeigen, dass Asylsuchende in Bayern willkommen sind und auf vielfältige Art und Weise unterstützt werden: z.B. durch langfristige Sammlungs- und Benefizaktionen, durch die Organisation gemeinschaftlicher Freizeit- und Kulturprojekte, durch Beratungs- und Versorgungsleistungen, Angebote zur Integration u.v.m.

Anerkennung erhielten vor allem Initiativen, die ein besonderes freiwilliges Engagement aufweisen und über institutionalisierte Hilfeeinrichtungen hinausgehen. Bei Projekten im Rahmen bestehender Organisationen sollen die ehrenamtlichen Aktivitäten der Bewerberinnen und Bewerber über den Rahmen der bewährten Verbandsarbeit deutlich hinausgehen – etwa durch Vernetzung und das Zusammenwirken vorhandener Strukturen. Flyer 2015 (Dokument vorlesen)

Der Bürgerpreis 2015 des Bayerischen Landtags ist mit insgesamt 30.000 Euro dotiert. Bewerbungen konnten bis zum 15. Mai 2015 eingesandt werden. Die Preisverleihung findet am 22. Oktober 2015 im Bayerischen Landtag statt. Die Preisträger werden von einem Beirat ausgewählt, der sich aus je einem Vertreter/einer Vertreterin der Fraktionen im Bayerischen Landtag, je einem Vertreter/einer Vertreterin des Bayerischen Gemeindetags und des Bayerischen Städtetags sowie dem Vorsitzenden des Vereins „Bayerische Landtagspresse“ zusammensetzt. Den Vorsitz des Beirats hat die Präsidentin des Bayerischen Landtags inne.

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