„Kino im Landtag“ mit preisgekröntem Film „ELSER“

„Man darf nichts durchgehen lassen“ – „Kino im Landtag“ feiert Zivilcourage als wichtige Tugend – und zeigt den Film ELSER

Dienstag, 5. Mai 2015
– Von Christoph Gröner –


Kino im Landtag

sucht stets und nun zum achten Mal erfolgreich den Dialog zur Filmbranche. Selten aber passten Film und politische Tagesthemen so gut zusammen wie in diesem Fall: Fast auf den Tag genau 70 Jahre nach der Befreiung der letzten Konzentrationslager in Bayern wurde ELSER – ER HÄTTE DIE WELT VERÄNDERT gezeigt. Das Drama feiert den Mut eines Einzelnen, der bereits im Jahr 1939 versuchte, das Regime zu stürzen – und kurz vor Kriegsende in Dachau ermordet wurde. Die selbst gebaute Zeitbombe Georg Elsers hatte ihr Ziel Adolf Hitler um 13 Minuten verfehlt. „Dieser Abend steht unter der großen Überschrift Zivilcourage“, sagte Barbara Stamm, Präsidentin des Bayerischen Landtags, in ihrem Grußwort.



„Nicht wegsehen

„Nicht wegducken, nicht wegsehen“, das sei weiterhin gefordert. Stamm gab zu Bedenken, dass jüdische Einrichtungen auch heute unter besonderem Schutz stünden, dass sich Bürger gegen Flüchtlingsunterkünfte formierten. Rassistisch und antisemitisch motivierte Straftaten haben auch laut Bayerischem Verfassungsschutz zuletzt stark zugenommen: „Bleiben wir zu oft still aus Bequemlichkeit, aus falsch verstandener Gelassenheit? Wir müssen uns den Fragen dieses Films stellen“, insistierte Stamm.

Klaus Schaefer, Geschäftsführer des Filmfernsehfonds Bayern, bestätigte in seinem Grußwort: „Dieser Film ist wichtig. Er zeigt, dass es schon früh Widerstand gegen Hitler gegeben hat.“ Nach einer ersten Verfilmung 1989 sei es jetzt an der Zeit gewesen, „mit den Möglichkeiten des heutigen Kinos für die junge Generation neu zu erzählen“. Deshalb habe der FFF dem Förderantrag genau dieses Projekts entsprochen.

Es ging um die Verbindung zum Heute

Dass der Film generationenübergreifend berührt, zeigte der Zuspruch zu dem Abend: Hauptdarsteller Christian Friedel, Drehbuchautor Fred Breinersdorfer und die Produzenten Boris Ausserer und Oliver Schündler erhielten langen, lebhaften Applaus nach der Vorstellung. Der Zuspruch zur Veranstaltung war derart groß, dass der Plenarsaal für das Publikum zusätzlich geöffnet werden musste. Zu den Gästen zählten nicht nur zahlreiche Ausschuss- und Fraktionsvorsitzende des Landtags, auch der Oberste Richter des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, Peter Küspert, hatte die Einladung angenommen. 

Um die Verbindung zum Heute ging es sowohl vor als auch nach dem Screening des Films. Am Anfang der Abendveranstaltung stand der von Schülern am gleichen Tag gestaltete Kurzfilm „Gegen den Strom“ (siehe Video unten). „Schüler und Schülerinnen einzubinden war uns wichtig. Sie haben ELSER gesehen, diskutiert, einen Film erarbeitet“, zeigte sich Barbara Stamm begeistert. 200 Schülerinnen und Schüler aller Schularten aus ganz Bayern waren über den Tag dabei und hatten sich mit dem Team von ELSER ausgetauscht. „Da ging es immer darum: Wie würden wir uns heute verhalten? Die Schüler und Schülerinnen empfinden Georg Elser auf Augenhöhe, das habe ich nicht erwartet“, bekannte Fred Breinersdorfer: „Elser kam von freiheitlichen weltoffenen Haltung, er war kein grantiger Wutbürger. Wenn man das erkennt, versteht man den Charakter und seine Entscheidungen besser.“

„Auf Zivilcourage der Bürger angewiesen

Breinersdorfer und sein Hauptdarsteller Christian Friedel diskutierten nach dem Film zusammen mit Dr. Miriam Heigl, Leiterin der Fachstelle gegen Rechtsextremismus der Stadt München, und Karl Willi Beck, Bürgermeister der Stadt Wunsiedel, über Zivilcourage. Friedel zog eine direkte Verbindung von seiner Hauptrolle zur heutigen Verantwortung der Menschen: „Elser war ja kein politischer Mensch. Politik und Haltung fängt in der Familie an.“ Das Beispielhafte des Films für die heutige Zeit bewertete Heigl vorsichtig: „Es ist eine andere Zeit, eine andere Eskalationsstufe. Wir müssen auf subtile Veränderungen der Gesellschaft achten, auf Einstellungsmuster in der Bevölkerung.“ In ihrer koordinierenden Arbeit für die Stadt sei man auf Augenhöhe mit den Bürgern: „Wichtig ist, dass bei rechten Demos schnell Gegenmaßnahmen greifen. Ohne die Zivilcourage der Bürger kann man nicht präventiv arbeiten.“
Bei den großen Anti-Pegida-Demos in München hätten die Bürger der Stadt Haltung bewiesen. „Wichtig ist, dass die Netzwerke gegen Rechts funktionieren. Wir müssen ein schleichendes Kippen verhindern.“

„Man darf nichts durchgehen lassen

Das völlige Kippen einer Kommune hat Willi Beck als Augenzeuge erlebt. Der heutige Bürgermeister der Stadt Wunsiedel sah die Aufmärsche am Hess-Grab in der Stadt. „Am Ersten Todestag 1988 wirkte die Stadt wie im Kriegszustand.“ Auch wenn die Grabstätte mittlerweile aufgelöst ist: Nazi-Aufmärsche finden immer noch in Wunsiedel statt, in den letzten Jahren zum Volkstrauertag. Zuletzt wurden sie mit „pfiffigen Aktionen“ konterkariert. So wurde eine Demonstration der Rechten kurzerhand als Spendenlauf für die Aussteigerorganisation Exit deklariert. „Man muss immer auf der Hut sein. Das ist unsere Wunsiedel-Doktrin nach zwölf Jahren, in denen ich Oberbürgermeister bin: Man darf nichts durchgehen lassen“, resümierte Beck. „Hinschauen verändert die Kultur in einer Stadt. Wir haben heute viele  Flüchtlinge und Asylbewerber in der Stadt – und wir haben eine Willkommenskultur.“ Wenn man Bürger, Kirchen und andere Institutionen involviere, entstehe diese Kultur.
Heigl stellte weitere Maßnahmen vor, um bürgerschaftliches Engagement gegen Rechts von kommunaler Seite zu unterstützen: Rechtsschutz auf städtische Kosten für ehrenamtliche Aktivisten sei ein Weg, damit diese sich etwa vor digitaler Diffamierung auf rechtsextremen Internet-Seiten schützen könnten. Das nächste Projekt der Stadt gegen Rechts sei nun, mit der Wirtevereinigung in Kontakt zu treten und knapp 7000 Wirte der Stadt darüber zu informieren, wie man sich vor potentiellen Einmietungen von Rechtsextremen schützen könne.

„Die Reaktionen der Menschen inspirieren mich natürlich auch zu weiterem Engagement

Auch die Kreativen auf dem Panel sehen mit ELSER ihr Engagement für eine bunte Gesellschaft nicht beendet. Breinersdorfer engagiert sich bei Filmmakers in Prison für verfolgte Filmemacher etwa im Iran und in China. Und Friedel ist Teil der politischen Initiativen des Staatsschauspiels Dresden, das seinen kompletten Spielplan umgestellt hat, um auf die Pegida-Demonstrationen in der Stadt zu reagieren: „Ich bin als Schauspieler wie auch als Musiker ein kleiner Teil dieser ganzen Aktionen. Und ELSER habe ich jetzt in 47 Städten präsentiert. Die Reaktionen der Menschen inspirieren mich natürlich auch zu weiterem Engagement.“

 


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Schüler-Kurzfilm „Strom“ – produziert unter Anleitung von Filmprofis des Filmworkshops

Das filmende Klassenzimmer

der Bavaria Film, die das Schulforum von „Kino im Landtag medienpädagogisch unterstützt hat.

Forum „Kino, Film und Schule“ zum Auftakt

Im Vorfeld des medienpolitischen Dialogs zwischen Filmschaffenden und Abgeordneten hatten dieses Mal auch jugendliche Zuschauer die Möglichkeit, sich mit Experten aus der Filmbranche – genauer mit den Filmemachern von „ELSER“ – auszutauschen. Rund 200 Schülerinnen und Schüler nahmen dazu an den Panels und Workshops von „Kino, Film und Schule“, einem Forum für die schulische Filmbildung, im Landtag teil.



Landtagspräsidentin Barbara Stamm hieß die Schülerinnen und Schüler im Maximilianeum willkommen  – sie freute sich über die gelungene, medienpädagogische Erweiterung von „Kino im Landtag“. Martin Güll, Vorsitzender des Ausschusses für Bildung und Kultus, sowie Prof. Dr. Michael Piazolo, Vorsitzender des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst, diskutierten im Anschluss mit Dr. Thomas Negele, dem Vorstandsvorsitzenden HDF Kino e.V., und Michael Jahn von Vision Kino über die Zukunft der Filmwirtschaft in Bayern. „Film bildet“ und „Film braucht Förderung“ zeigten sich die Teilnehmer dieser Impuls-Runde überzeugt.

Auch wenn die Handlung in „Elser“ auf historischen Ereignissen vor über 75 Jahren beruht, ist das Thema des Films – „Zivilcourage“ – hochaktuell. „Was heißt es, „Zivilcourage zu zeigen“? Wie hätte ich mich im Herbst 1939 verhalten? Und: Wie erkennen wir heute, wogegen wir uns stellen müßten? Die Schülerinnen und Schüler aus Sonthofen, Abensberg, Germering, Kempfenhausen und Markt Schwaben setzten sich im Laufe ihres Projekttages mit Fragen wie diesen intensiv auseinander. Für sie hatte es im Senatssaal vorab eine Extra-Vorführung des Films gegeben.

Filmemacher gewähren Blick „hinter die Kulissen“

In Panels und Workshops ging es anschließend um das „Filmemachen“. Hierbei standen die „Gewerke“ eines Films – wie „Produktion“, „Drehbuch“ und „Produktionsdesign“ – im Mittelpunkt. Die Schülerinnen und Schüler konnten dazu Oliver Schündler und Boris Ausserer, die Produzenten von „ELSER“, und die „ELSER“-Drehbuchautoren Fred Breinersdorfer und Léonie-Claire Breinersdorfer direkt befragen. Einblicke „hinter die Kulissen“ gewährten außerdem Benedikt Herforth und Thomas Neudorfer. Der Szenenbildner und der Art Direktor von „ELSER“ erklärten, wie und wo einzelne Aufnahmen entstanden sind, welche Requisiten und Effekte genutzt wurden. Schlüsselszenen im Bürgerbräukeller etwa wurden gar nicht in München, sondern in einem Filmstudio in Südtirol gedreht. „Ich habe zum Film selten so viel auf einmal erfahren wie hier“, meinte eine Schülerin der 11. Klasse des Max-Born-Gymnasiums aus Germering begeistert zum Abschluss. /kh



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