Kino im Landtag zeigt "The Zone of Interest"

Große Resonanz für mehrfach preisgekrönten Film

21. Februar 2024

MÜNCHEN.    Noch nie war die Veranstaltungsreihe Kino im Landtag so schnell ausgebucht wie diesmal. Im gut gefüllten Senatssaal im Maximilianeum sahen die Zuschauerinnen und Zuschauer noch vor dem offiziellen Kinostart eine Sondervorstellung von "The Zone of Interest", einem Film des britischen Regisseurs Jonathan Glazer. In dem für fünf Oscars nominierten Historiendrama geht es um die Familie von Rudolf Höß, Kommandant im Konzentrationslager Auschwitz, und deren Leben in einem schönen Haus mit paradiesischem Garten direkt neben dem Vernichtungslager.

Sie sei stolz, sagte Landtagspräsidentin Ilse Aigner, diesen Film ins Maximilianeum, "ins Herz der Demokratie", geholt zu haben, und sie freue sich über die hohe Resonanz auf die Einladung. Zugleich warnte Aigner das Publikum, in dem neben den beiden Vize-Landtagspräsidenten Ludwig Hartmann (BÜNDINS 90 / GRÜNE) und Markus Rinderspacher (SPD) auch etliche Abgeordnete sowie bayerische Filmschaffende, Herzog Franz von Bayern und Vertreter aus Justiz, Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft vertreten waren. "The Zone of Interest", auf Deutsch "Interessengebiet" sei eine Zumutung, so Aigner und sie bezeichnete das Werk als "harte Kost".

 

"Wer anfängt wegzuschauen, der wird blind"

Aber aktuell dürften und könnten wir uns nicht schonen. Die Landtagspräsidentin rief eindringlich dazu auf, aus dem Versprechen "Nie wieder!" einen Auftrag zu machen. Antisemitismus dürfe nicht relativiert oder gar toleriert werden. "Überall und für jeden in unserem Land muss gelten: Antisemitismus ist eine rote Linie!" Der Film mache deutlich: Wer anfange wegzuschauen, der werde blind, sehe nicht das furchtbare Grauen, das nebenan stattfindet.

Der Film zwinge uns zum Handeln und sei eine Mahnung, sagte Aigner, denn wir wüssten, wohin Faschismus führe und wie er anfinge. "Und wir sehen sie doch, die Anfänge." Zugleich mahnte die Präsidentin des Landtags, Verantwortung zu übernehmen, auch im Kleinen, wenn Menschen angefeindet werden, die Demokratie verächtlich gemacht wird. Dass viele für unsere Demokratie einstehen, das zeigten derzeit Hunderttausende auf den Straßen. Aigner sieht darin aber auch Signal und Auftrag an die Politik. "Nie wieder" erfordere das Ende der Gleichgültigkeit.

 

Familienidyll neben Vernichtungslager

Das Werk handelt vom Leben, das Rudolf und Hedwig Höß mit ihren fünf Kindern in einem Haus Mauer an Mauer zum Konzentrationslager Auschwitz führen. Während die Kinder im Garten spielen und Hedwig sich um Blumen- und Gemüsebeete kümmert, stört sich niemand an Schüssen oder Geschrei von deutschen Soldaten und Wehklagen von Gefangenen nebenan. Die Familie genießt gemeinsame Pick-Nicks mit Freunden am Flussufer, das Baden im heimischen Swimming-Pool, während nicht weit entfernt die Krematorien-Öfen brennen und in der Nacht den Himmel rot erleuchten. Als Rudolf mit seinen Kindern im Fluss schwimmt und einen menschlichen Kieferknochen entdeckt, befiehlt er seinen Kindern schlicht, nach Hause zu laufen, um sich die Asche von der Haut abschrubben zu lassen. Das Familienidyll droht erst zu zerbrechen, als Höß nach Oranienburg versetzt werden soll, denn Hedwig "die Königin von Auschwitz" weigert sich, ihr "Traumhaus mit Paradiesgarten" zu verlassen. Der Film aus der Perspektive der Täter, wirkt dokumentarisch, wenig inszeniert, die Zuschauerinnen und Zuschauer werden zu Beobachtern, die ganz nah am Geschehen sind.

Kommende Woche soll "The Zone of Interest", in dem Christian Friedel und Sandra Hüller das Ehepaar Höß spielen, in Deutschland in die Kinos kommen.

Wie war kollektive Verdrängung möglich?

Im anschließenden Filmgespräch, moderiert von der Schriftstellerin Amelie Fried, zeigten sich alle Diskussionsteilnehmer erschüttert und beeindruckt. Eine Situation, in der es zunächst schwerfiel, sachliche Worte zu finden. Dennoch drängte sich die Frage auf, wie der im Film thematisierte kollektive Verdrängungsprozess möglich war, der die millionenfache industrielle Vernichtung von Menschenleben nicht wahrnahm.

Dieter Frey, Professor für Sozial- und Wirtschaftspsychologie an der LMU München, erklärt sich die Schizophrenie damit, dass diese Gesellschaft ein Wertesystem hatte, wonach es zwei Arten von Menschen gibt: wertvolle und unwürdige Menschen. Leute, wie Höß, seien überzeugt, ihre Pflicht zu tun, gemäß dem von Hannah Arendt geprägten Begriff der "Banalität des Bösen", arbeiteten nach dem Prinzip Befehl und Gehorsam, sähen das Unrecht gar nicht.

Für Alexandra Senfft, Autorin, freie Publizistin und Enkelin eines NS-Täters, zeigt "The Zone of Interest" das Paradies neben der Hölle, die man nicht sieht, nur hört. Sie sagte: "Hedwigs Wahrnehmung geht bis zur Mauer." Senfft, die sich intensiv mit der eigenen Familiengeschichte auseinandergesetzt hat, wies darauf hin, dass auch Frauen zu Mittäterinnen wurden, durch ihr Schweigen und Wegschauen.

 

Wie können junge Menschen erreicht werden?

Mitgenommen, vom Film zeigte sich auch der Kulturwissenschaftler Professor Jörg Skriebeleit, und dass, obwohl der langjährige Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg seit vielen Jahren zu diesem Thema arbeitet. Das Werk nähere sich der Thematik auf eine neue und sehr gelungene Weise. Skriebeleit verwies zudem auf seine Erfahrung, wonach Erinnerungsstücke an diese Zeit zunehmend aus der zweiten und dritten Generation von Täterfamilien kommen. "Man hat geschwiegen, man hat sie weggeschlossen, man hat sie aber nicht weggeschmissen und entsorgt. Und irgendwann tauchen sie wieder auf. Verdrängung ist etwas anderes."
Einen generellen Masterplan Erinnerungskultur sieht der Kulturwissenschaftler nicht. "Wir müssen uns immer wieder selbst beunruhigen, so wie das dieser Film tut, wir müssen uns immer wieder versuchen anzunähern."

Um junge Menschen zu erreichen, empfahl Frey, der auch Leiter des LMU Center for Leadership and People Management ist, Multiplikatoren auszubilden, die Werte wie Toleranz, Offenheit, Menschenrechte vertreten und den Mut haben, zu widersprechen. Es gehe darum, so Frey, die Zivilcourage zu stärken.

/ Miriam Zerbel

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weitere Informationen: Kino im Landtag "The Zone of Interest"

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