Ovationen bei „Kino im Landtag“ für „Das schweigende Klassenzimmer"

28. Februar 2018

— Von Christoph Gröner — 

Lang anhaltender Applaus bei der neuesten Ausgabe von „Kino im Landtag“: In einem bis auf den letzten Platz gefüllten Senatssaal des Maximilianeums wurde „Das Schweigende Klassenzimmer“, der neueste Film von Lars Kraume, gezeigt, mit dem der renommierte Filmemacher („Der Staat gegen Fritz Bauer“) ein Manifest für politische Standhaftigkeit geschaffen hat – und einen Film über eine entschiedene Geste mit immensen politischen Auswirkungen. Unter den anwesenden 200 Gästen waren auch viele Schüler und damit Altersgenossen der im Film porträtierten Heranwachsenden. 

Das Werk erzählt nach wahren Begebenheiten: 1956 sehen zwei Abiturienten aus der DDR bei einem Kinobesuch in Westberlin in der Wochenschau dramatische Bilder vom Aufstand der Ungarn in Budapest. Am nächsten Morgen organisieren sie in ihrer Klasse eine solidarische Schweigeminute für die Opfer des Aufstands. Die spontane Geste zieht unerwartet weite Kreise. Schließlich schaltet sich sogar der DDR-Bildungsminister ein und spricht von einem konterrevolutionären Akt – ein brandgefährlicher Vorwurf. Die Klasse soll den Rädelsführer benennen, sonst wird sie vom Abitur ausgeschlossen. Loyalität, Freundschaft und Vertrauen werden auf die Probe gestellt.
 
„Einer der Schüler von 1956 war zu Gast im Landtag“

Unter den Zuschauern waren neben prominenten bayerischen Filmschaffenden wie Regisseur Jo Baier oder den Schauspielern Günther-Maria Halmer und Jutta Speidel auch Schüler, Wissenschaftler und Studenten. Neben Vize-Präsidentin Ulrike Gote (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) nahmen für den Landtag Nikolaus Kraus (FREIE WÄHLER), Kathi Petersen (SPD), Kathrin Sonnenholzner (SPD), Bernhard Roos (SPD) und Hans Ritt (CSU) teil. In ihrem Grußwort zog Barbara Stamm, Präsidentin des Landtags, eine Verbindungslinie vom historischen Drama hin zum heutigen Fundament der Demokratie: „Vielleicht überrascht es Sie, an einem Kino-Abend zunächst einmal mit der Bayerischen Verfassung konfrontiert zu werden. Aber dort steht ein ganz wunderbarer Satz: Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden – so heißt es dort in Artikel 131.“ An diesen Satz müsse sie denken, als sie von der Geschichte des Films gehört habe, so die Landtagspräsidentin. „Denn die Schüler damals haben Herz und Charakter gezeigt: Herz, weil sie mitfühlten mit den Opfern des Ungarn-Aufstands von 1956. Und Charakter, weil sie sich nicht einschüchtern haben lassen, weil sie zusammengestanden haben als Gemeinschaft und niemanden ausliefern wollten.“

Stamm sprach von einer besonderen Freude, nicht nur Macher des Films willkommen zu heißen, sondern auch einen Zeitzeugen. Dr. Dieter Portner war damals in der engagierten Klasse von insgesamt 19 Schülern und sah bei Kino im Landtag den Film zum ersten Mal. Lars Kraume, nach dem Abspann des Films zuerst auf der Bühne, begrüßte Portner entsprechend erwartungsvoll: „Ich habe hier die Ehre, jemanden vorzustellen, den ich selber noch nicht kenne.“

„Unsere Ängste vor dem System des Staates sind sehr gut getroffen“

Kraume hat für den Film hauptsächlich mit Dietrich Garstka, dem Autor des Buchs, und Mitschüler von Portner gearbeitet. „Ohne ihn würde ich heute nicht hier sitzen“, würdigte Portner den Autor und das Buch. Moderatorin Ulrike Frick (Münchner Merkur, Filmfest München) fragte ihn umgehend nach seiner Reaktion auf den Film. „Ich bin sehr beeindruckt, natürlich nimmt sich der Film auch seine künstlerische Freiheit. Wir waren vielleicht etwas ruhiger, aber viele Einzelheiten stimmen mit meinem Erleben überein. Die Ängste vor den Systemen des Staates, unsere Angst wie die unserer Eltern, sind sehr gut getroffen.“ Manche Überzeichnung des Films sei notwendig, ordnete Lars Kraume ein, um aus 250 Seiten Buch einen Film zu kreieren. Genauigkeit sei wichtig, zugleich müsse das Ganze als Film funktionieren. 

Die anschließende Diskussion beleuchtete weitere Aspekte des Entstehungsprozesses. Die Herausforderungen einer historischen Produktion für junge Schauspieler beschrieben zwei der Hauptdarsteller, Lena Klenke und Leonhard Scheicher. „Wir konnten unserem Regisseur jederzeit alle Fragen stellen“, sagte Klenke. Das Team hätte zusammen Filme aus den 1950er Jahren angeschaut, aber etwa auch Tanzstunden gehabt, um den Zeitgeist zu treffen. Auch Leonhard Scheicher beschrieb die Produktion als regelrechte „Geschichtsstunde“. 

Nach dem Erscheinen des Buches vor 12 Jahren hatte Produzentin Miriam Düssel sich die Rechte am Stoff gesichert. Besonders wichtig bei der Kinoumsetzung sei ihr eine differenzierte Erzählweise gewesen, die auch die Aufbruchsstimmung in der DDR in den 1950er Jahren nicht aussparen sollte: „Der Sozialismus war ein Traum, den viele geträumt haben.“ Ihr war ein Film wichtig mit spannenden jungen Menschen, die junge Menschen heute inspirieren könnten. Dafür hat sie in Lars Kraum den richtigen Regisseur gefunden, der schon mit „Der Staat gegen Fritz Bauer“ sein Gespür für historische Stoffe bewiesen hat – und dafür 2016 den Deutschen Filmpreis gewann. Auch wenn beide Filme in den 50er Jahren spielten, stellt diese Geschichte aus Deutschlands Osten doch besondere Herausforderungen. Ob es Vorbehalte gegen ihn gegeben hätte als Filmemacher, der in Frankfurt/Main geboren sei, fragte die Moderatorin. Die Vorbehalte gäbe es, kommentierte Kraume, aber er hatte den Film als Autor und Regisseur unbedingt selbst umsetzen wollen. „Ich sehe mich als Werkzeug für Garstkas Geschichte.“ Die Besetzung der älteren Generation des Films mit ostdeutschen Schauspielern sei ihm aber ein Anliegen gewesen.


Die Schüler von damals treffen sich immer noch regelmäßig


 
Die tatsächliche Schweigeminute hielten die Schüler 1956 in Storkow ab, etwa 60 Kilometer von Berlin entfernt. Dort sei heute aber alles bunt gestrichen, so Kraume, 50er Jahre-Settings könne man dort nicht mehr filmen. Unter anderem deshalb verlegten die Filmemacher den Handlungsort nach Stalinstadt, dem heutigen Eisenhüttenstadt. Die Stadt sei als riesiges Flächendenkmal, als Symbol für die Utopie der jungen DDR, konzipiert worden. Dies sei heute noch spürbar. In den sechs Drehwochen habe die Stadt das Team bestens unterstützt.

Dieter Portner gewährte schließlich weitere Einblicke in „das Leben danach“. Die Abiturklasse sei zusammengeblieben, habe den Abschluss in einem West-Internat gemacht. Viele Verwandt seien nachgekommen, und dort, wo sie nicht mitkamen, hätten sie wie im Film reagiert und gesagt: Kommt bloss nicht zurück, ihr habt keine Perspektive hier. Übrigens träfen sich die Schüler auch heute noch, alle zwei Jahre und „quer durch die Republik“. Einmal auch in Storkow.  „Einige wurden Apotheker, ich ging zur Luftwaffe“, erzählte Portner von seinem Leben. Der Vater dreier Kinder habe später als Management-Trainer gearbeitet und wohne heute in Starnberg. Er habe anderen beigebracht, wie man Mitarbeiter positiv führt. Man darf davon ausgehen: Ohne den Druck, den Portner selbst erlebt hat. 

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