„Kino im Landtag“ im Zeichen der Pressefreiheit

Sondervorstellung von "Tausend Zeilen" im Maximilianeum

Ilse Aigner freute sich diesmal ganz besonders, die Reihe „Kino im Landtag“ zu eröffnen. „Ich bin stolz, dieses Star-Ensemble zu begrüßen“, sagte sie angesichts des Aufgebots von Prominenten, das einer Sondervorstellung der Spielfilmkomödie „Tausend Zeilen“ im Steinernen Saal beiwohnte. Denn auch Hauptdarsteller Elyas M’Barek saß im Auditorium. Die Landtagspräsidentin betonte, wie bedeutend Michael Bully Herbigs Interpretation des Falles Claas Relotius – der Hochstapler jubelte dem „Spiegel“ zahlreiche erfundene Reportagen unter – für das Vertrauen in die Medien sei. „Es ist ein Film über Wahrheit“, sagte Aigner, „der hier im Maximilianeum, dem Ort der Demokratie schlechthin, am richtigen Platz ist. Demokratie ohne Pressefreiheit ist nicht denkbar.“

 

Unterhaltungsfilm über einen Hochstapler

Nicht als Dokumentar-, sondern als  Unterhaltungsfilm mit fiktionalen Elementen betrachtet Regisseur Michael Bully Herbig seinen neueste Wurf „Tausend Zeilen“: „Es würde mir gefallen, wenn bei so einem relevanten Thema möglichst viele Leute ins Kino gehen“, begründete er via Live-Schalte in der Diskussionsrunde seine Strategie für ein breites Publikum. „Außerdem wollte ich auch diejenigen Zuschauer noch überraschen, die das Buch von Juan Moreno schon gelesen haben.“ Moreno kam seinem Kollegen Relotius 2018 auf die Schliche, indem er ihm hinterherrecherchierte. Seine Erzählung inspirierte Regisseur Herbig zur Medienkomödie. Auch Jonas Nay, Darsteller des Reportagen-Fälschers (im Fillm „Bogenius“), bezog sich nach eigenem Bekunden weniger auf das Originalvorbild Relotius, sondern auf das Phänomen des Hochstaplers allgemein. „Bogenius spielt in seinem Fach als Betrüger in der Champions-League“, sagt er, ebenfalls auf die große Leinwand zugeschaltet. „Ich habe Techniken von Hochstaplern studiert und die Rolle dann frei gespielt.“

Ein weiterer Aspekt des Films sind Männerseilschaften. Schauspielerin Sara Fazilat, die als einzige Frau im Film eine kluge, aber durch Männertaktiken gefesselte Redakteurin darstellt, machte auf ein ungeschriebenes Gesetz aufmerksam, das in großen Redaktionen ebenso gelte wie in der Filmwelt: „Frauen ab 35 werden unsichtbar gemacht. Zumindest die Filmbranche versucht hier, ein Gleichgewicht zu schaffen.“

 

Aigner: "Schaden an der Demokratie" durch Fall Relotius

Dass der Film von einer wahren Begebenheit inspiriert ist, lässt einen während der 90 unterhaltsamen Minuten doch ein paar Mal schlucken. „Dass in einem Nachrichtenmagazin so lange gelogen werden konnte, hat großen Schaden an der Demokratie verursacht“, fasst Ilse Aigner zusammen.

Wie konnte das passieren, warum lassen sich Menschen von Hochstaplern so bereitwillig blenden? Moderatorin Sissi Pitzer vom BR stellte diese Frage in der anschließenden Podiumsdiskussion an Sonja Veelen, Soziologin und Expertin für die Analyse von Täuschung und Hochstapeln von der Philipps-Universität Marburg. „Wir sind für Dinge, die wir nicht erwarten, nahezu blind. Mit so einer großen Nummer rechnet keiner“, erklärt diese die Spirale des Belogenwerdens. „Hochstapeln funktioniert auch nicht rational, sondern man wird emotional eingesponnen. Der Hochstapler gewinnt das Vertrauen der anderen. Außerdem hält man an dem fest, in das man viel investiert hat.“ Und in Claas Relotius hatten viele Menschen viel Lob und Aufmerksamkeit investiert, er war designierter Ressortleiter und gewann seinerzeit zahlreiche Medienpreise. Sogar Landtagspräsidentin Ilse Aigner hatte ihn 2014 persönlich als CNN Jounalist of the Year ausgezeichnet, wie sie selbst erzählte.

BR: "Recherche ist immer Teamwork"

Die Journalismusbranche hat aus dem Fall Konsequenzen gezogen. So verstärkte auch der Bayerische Rundfunk seine vorher schon große Sorgfalt weiter. Wie in der Investigativeinheit des Senders gearbeitet wird, berichtete Redaktionsleiterin Verena Nierle: „Bei uns recherchiert keiner alleine, es sind immer zwei Reporter an einer Geschichte. Zudem wird jeder Rechercheschritt von zwei Redakteuren betreut, so kann sich keiner einsam vergaloppieren. Im fertigen Beitrag werden alle Fakten und jede Formulierung noch einmal überprüft, zuletzt prüft noch die Rechtsabteilung.“ Darüber hinaus befand Nierle aber auch: „Das Ganze ist nicht nur eine Frage der Wahrheit, sondern auch der Farbe. Die Medien müssen mehr Mut zu Grautönen entwickeln, denn die Welt ist nicht nur schwarz-weiß. Auch wenn dann die Überschrift nicht so schön klickt.“

 

Moreno: "Kein Wahrheitsproblem des Journalismus"

Die Runde war sich darüber einig, dass der Fall Relotius/Bogenius nichts mit Fake News zu tun hat – diese sind ein anderes, eigenes Internet-Phänomen. Reporter Juan Moreno, ebenfalls auf dem Podium dabei, meinte sogar: „Relotius ist kein Symbol für ein generelles Wahrheitsproblem des Journalismus.“ Er nimmt sogar die „Spiegel“-Kollegen in Schutz: „Redakteure und Dokumentare sind keine Polizisten. Wahrheit heißt im Alltag Vertrauen. Man kann sich so etwas einfach nicht vorstellen.“ Worauf er von den anderen Diskutanten trotzdem Lob und Dank erntete. „Die Geschichte gibt ein düsteres Bild von der Presse, aber wir haben Juan Moreno“, meinte Ilse Aigner. Und Produzent und Drehbuchautor Hermann Florin begeisterte sich: „Moreno, im Film Romero, stellt seine Existenz aufs Spiel, weil er das einfache Interesse hat, die Wahrheit wahr sein zu lassen. Das finde ich cool. Das interessiert mich, und das macht die Geschichte für viele Menschen erfahrbar.“

„Viele Zuschauer“ wünschten sich mit einiger Zuversicht auch Hannes Heylmann, Geschäftsführer von Warner Discovery und Sebastian Werninger, Produzent und Geschäftsführer bei Ufa Fiction, die bei dieser Ausgabe von „Kino im Landtag“ anwesend waren, um „1000 Zeilen“ persönlich vorzustellen. Man hoffe, nach der langen Corona-Kino-Depression damit die Millionengrenze an Zuschauern zu knacken.

/Isabel Winklbauer

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