Masterplan für die Humanmedizin

München, 10.06.2021

Wie lassen sich noch mehr Studierende für die Humanmedizin gewinnen und welche Instrumente wirken gegen den Fachkräftemangel? Diese Fragen standen im Fokus der gemeinsamen Anhörung mit dem Thema „Studium der Humanmedizin an bayerischen Universitäten“ des Wissenschafts- und Gesundheitsausschusses.

Bernard Seidenath (CSU), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses, stellte zu Beginn der Expertenanhörung heraus, dass der Fachkräftemangel im Bereich der Humanmedizin in erster Linie ein „hausgemachtes Problem“ sei. Im Rahmen der Diskussion erläuterten die Teilnehmer die Chancen, die sich aus dem Entwurf für die neue Approbationsordnung für Ärzte und Ärztinnen des Bundesgesundheitsministeriums ergeben. Zudem nahmen sie zum aktuellen Umsetzungsprozess des „Masterplans Medizinstudium 2020“ Stellung. Beide Initiativen fanden Zuspruch – doch laut der Experten bestehen noch wesentliche ungelöste Fragen zur Finanzierung. „Was ausgehandelt wurde, muss jetzt auf die Gleise kommen – wenn zu viel debattiert wird, droht das großartige Projekt nicht umgesetzt zu werden“, appellierte Prof. Dr. Jochen Gensichen, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Diskussion um Ärztebedarf

Dass Bayern mehr Nachwuchsmediziner brauche, darüber herrschte Einigkeit. Doch Unsicherheit zeigte sich darüber, welche Auswirkungen dies auf die Anzahl der Studienplätze im Freistaat haben sollte. So spielen sowohl der Trend zu Teilzeit und Anstellung, aber auch der Mangel an Landärzten, die Fachrichtung der Spezialisierung und der Zugang sowie die Organisation des Studiums eine Rolle. Eine sehr konkrete Prognose skizzierte Dr. Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer. So seien 150 bis 200 Studienplätze nötig, um – nach zwölf Jahren Ausbildung - 100 bereits praktizierende Ärztinnen und Ärzte zu ersetzen. „Allein aufgrund von Teilzeit und Anstellung brauchen wir heute schon 130 Personen für ehemals 100“, sagte Dr. Quitterer. Prof. Dr. Martina Kadmon, Gründungsdekanin und Fakultätsleitung der Medizinischen Fakultät Augsburg, plädierte für Modellierung, um den Bedarf zu prognostizieren.

Exklusive Studienplätze auf dem Land

Jochen Mauerer, Leitung des Referates Strategische Versorgungsstrukturen & Sicherstellung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, nannte als effektivste Maßnahme, um dem Ärztemangel entgegenzuwirken, die Erhöhung der Medizinstudienplätze. Denn sollte sich die Zahl der Medizinstudienplätze nicht erhöhen, droht gerade in ländlichen Regionen das Wegbrechen einer signifikanten Zahl von Arztpraxen. Ein erster wichtiger Schritt könnte daher laut Mauerer darin bestehen, die Landarztquoten-Studienplätze nicht aus dem bereits bestehenden Medizinstudienplätze-Kontingent zu entnehmen, sondern zusätzlich zu schaffen. Prof. Dr. Antonius Schneider, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung der TU München, plädierte dafür, Studienplätze in ländlichen Regionen exklusiver auszustatten und gleichzeitig an Verpflichtungen zu koppeln.

Attraktivität für das Praktische Jahr

Einigkeit äußerten die Experten auch in Bezug auf die hohe Bedeutung des Praktischen Jahrs (PJ) – nicht nur für die Ausbildung der Studierenden, sondern auch für die Besetzung der Landarztstellen. Ruth Waldmann (SPD), stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, fragte in diesem Zusammenhang, wie das PJ für Studierende - möglicherweise durch verpflichtende Bezahlung - attraktiver gestaltet werden müsse. Prof. Dr. Martin Fischer, Direktor des Instituts für Didaktik und Ausbildungsforschung in der Medizin am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, sieht die Verantwortung der medizinischen Fakultäten in Bayern darin, Vertiefungsmöglichkeiten in den Fächern und Bereichen für Interessierte schon vor dem PJ zu ermöglichen. Melissa Seitz, Bundeskoordinatorin für Gesundheitspolitik bei der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e. V., forderte eine flächendeckende Aufwandsentschädigung im Rahmen des PJs in Höhe des BAföG-Höchstsatzes.

Palliativmedizin im Fokus

Prof. Dr. Christoph Ostgathe, Studiendekan und Leiter der Palliativmedizinischen Abteilung des Universitätsklinikums Erlangen, forderte eine stärkere Verankerung der Palliativmedizin in der Lehre. Da aufgrund der längeren Lebenserwartung diese Medizin bei 30 - 45 % der Patienten, die versterben, zum Einsatz käme, müsse die Palliativmedizin zentraler Inhalt des Studiums sein. Dafür sparch sich auch Dr. Wolfgang Ritter, Mitglied im Geschäftsführenden Vorstand des Bayerischen Hausärzteverbandes, aus. Er plädierte dafür, die Palliativmedizin und auch die Psychosomatik sowohl an Lehrstühlen für Allgemeinmedizin als auch während der Ausbildung in den Praxen verstärkt in den Fokus zu nehmen.

Work-Life-Balance erhalten

In der anschließenden Diskussion erkundigte sich Robert Brannekämper (CSU), Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses, wie mehr Kontinuität zwischen Ausbildung und Weiterbildung hergestellt werden könne. Sein Stellvertreter Dr. Wolfgang Heubisch (FDP) fragte, wie die Quote der Studienabbrecher gesenkt werden könnte. Prof. Dr. Fischer von der LMU München bemerkte dazu, dass der Großteil der Studierenden ihr Studium zu Beginn abbrechen würden. Sie müssten daher besser aufgeklärt werden. Prof. Dr. Matthias Frosch, Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg, machte deutlich, dass durch Abbruch freigewordene Plätze umgehend an Wartende vergeben werden und dies keinen Einfluss auf die Anzahl der angebotenen Plätze habe. Verena Osgyan (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) erkundigte sich nach dem geeigneten Umgang mit Regionalisierung. Schneider betonte, dass Krankenhäuser im ländlichen Raum auch mehr PJs anbieten müssten, damit Studierende „in den Regionen kleben bleiben“. Dr. Dominik Spitzer (FDP) fragte, wie der Stellenwert der Allgemeinmedizin in der Gesundheitsbranche einen höheren Stellenwert erhalten könne. Prof. Dr. Winfried Bausback (CSU) stellte die Frage, wie der Fokus auf verschiedene Organisationsmöglichkeiten (z. B. gemeinschaftliche Zentren) bereits in der Ausbildung stärker gelegt werden könne. Der sektorenverbindenden Medizin wurde von den Experten in diesem Zusammenhang ein großes Potential eingeräumt. Die Etablierung von Gemeinschaftspraxen – u. a. aufgrund flexibler Anstellungsverhältnisse – könne auch zu einer Work-Life-Balance beitragen, deren Erfüllung für angehende Ärzte immer wichtiger werde.

Die Ausschuss-Sitzungen werden aktuell auf dem YouTube-Kanal des Bayerischen Landtags im Livestream übertragen.

Die Tagesordnungen zu allen Ausschuss-Sitzungen finden Sie unter Aktuelles/Tagesordnungen und kommen hier zum Wissenschaftsausschuss und Gesundheitsausschuss.

/ AS

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